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verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 37.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



„Um meinetwillen!“

Novelle von Marie Bernhard.
 (4. Fortsetzung.)

Als Oberlehrer Claassen seine Jüngste auf dem Arm seiner Gattin sah, eilte er mit strahlendem Gesicht auf die beiden zu. „Hurra, die Grete!“ rief er fröhlich, nahm die Kleine, die ihm mit allen Gliedern entgegenzappelte, und schwang sie hoch durch die Luft. „Du Taugenichts – Du Unband – Du loser Strick! Mehr, immer mehr? Wir gehen doch noch ’mal unter die Kunstreiter, ich seh’ es kommen, wir verrathen eine ganz bedenkliche Neigung zu körperlichen Kraftübungen!“

„Ach Gott, Gustav,“ unterbrach ihn seine Frau, „laß’ doch das Kind, es ist so schon wild genug mit den drei Jungen! Ich bin so in Sorge –“

„Theures Weib, gebiete Deinen Thränen! Was denn nun wieder für Sorgen? Wirf sie getrost auf meine starken Schultern, ich fahr’ damit ab wie mit der Grete. Reiß’ mir nicht die Haare vom Kopf, Wildfang! Na, also – heraus damit!“

„Ach, denk’ Dir, die Eleonore von Schmieden, vielmehr ihre Mutter, hat die Pension aufgekündigt, sie soll schon zu Neujahr –“

„Herrlich, mein Frauchen, prachtvoll! Ist nicht die Eleonore von Schmieden jederzeit das schwarze Schaf unseres sonst mustergültigen Pensionats gewesen und war nicht ihre Mutter, mit Respekt zu vermelden, eine alte Gans, die uns hundertmal mit ihren lächerlichen Anmaßungen das Leben sauer gemacht hat?“

„Das wohl, das schon – aber nun so schnell – es ist ja kein Gedanke daran, daß ein Ersatz …“

„Hier haben wir ihn!“ Der Oberlehrer schlug mit der flachen Hand so kräftig auf den Brief, daß er mitten durch riß. „Hier in diesem verrückten Brief meines alten Gregory steckt der Ersatz drin! Hör’ mir zu! Grete, lauf’ spielen – Du kannst den großen Atlas ansehen; wenn Du eine Seite entzweireißt, kriegst Du auf die Finger! Also hier: junge Dame seiner Bekanntschaft, alter Adel, arm, Malstudien behufs späteren Erwerbs – lieber Gott, was will sie damit erwerben? – alte adelsstolze Großmutter, sehr schwierig zu behandeln, soll nichts von Sparen und Geldverdienen hören, man soll ihr schreiben, wie wenn die Enkeltochter ein reiches Mädchen wäre, das etwa nur zum Vergnügen … na, die Alte hat also einen Sparren zu viel, das ist sicher. Daß Gregory sich zu solchen Geschichten hergiebt!“

„Ach, Gustel, das ist ja alles egal – wenn ich einen Ersatz bekäme –“

„Bekommst Du! Hier steht es doch schwarz auf weiß! Wenn wir der verdrehten alten Schraube den Willen thun –“

„Wie heißt sie denn?“

„Die Alte? Wart’ mal, hier: verwitwete Generalin, Excellenz von Guttenberg.“

„Bei uns zu Hause war zuweilen von einer Familie von Guttenberg die Rede, die war aber sehr reich!“

„Wird ein anderer Zweig gewesen sein, ein grüner, während dies vermuthlich ein dürrer ist! Das junge Fräulein heißt Annaliese.“

„Solch hübscher Name!“

„Natürlich, der ganze alte Dessauer und seine Liebste stehen einem da vor Augen! Was thut übrigens der Name? Name ist Schall und Rauch – und so weiter.“

„Und wann will sie kommen?“

„Ja, denk’ Dir, noch vor dem Weihnachtsfest! Scheint es ungeheuer eilig zu haben, scheint es gar nicht erwarten zu können, die Welt als eine zweite Rosa Bonheur zu verblüffen. Ich werde mich also sofort nach meinem wohlverdienten Mittagsschlaf niedersetzen und, ehe ich meine Tertianer-Aufsätze

Von der Weltausstellung in Chicago: Die Wasserburg im „Deutschen Dorf.“
Nach einer Originalzeichnung von Rudolf Cronau.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 613. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_613.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2023)