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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Fingerzeig geben können, wie diese mir völlig unerklärliche und unvermuthete Wandlung –“

„Ich? Nein, mein Lieber! Eine alte Frau von siebenundsechzig Jahren ist für ein junges Mädchen von zwanzig nicht die Vertraute. Ich habe wohl einer Persönlichkeit, die ich für geeignet hielt; Auftrag gegeben, das kleine launenhafte Ding auszuforschen . . . aber ich habe diesen Jemand seither noch nicht allein gesprochen, fürchte auch, daß er ebenso klug ist wie wir, denn was junge Mädchen nicht freiwillig sagen wollen, das sagen sie einmal nicht, und wenn man sie auf die Folter spannt. Wer wird aus ihren Ueberspanntheiten klug? Neuester Plan der Kleinen ist nun, fortzugehen und das Malen aus dem Fundament zu erlernen – und wenn sie nicht bald Vernunft annimmt und mit sich reden läßt, dann habe ich nicht übel Lust, ihr den Willen zu thun. Mag sie die Strafe für ihren Eigensinn haben und sehen, wie sie in der Fremde zurechtkommt!“

„In der Fremde? Wo ist’s denn?“

„Königsberg in Ostpreußen!“

„Um Gotteswillen – das ist ja die Verbannung! Das Schreckgespenst aller Kameraden – Königsberg! Und da hinein will sich das gnädige Fräulein freiwillig begeben?“

„Denken Sie sich: ja! Ich kann allerdings nicht leugnen, daß ich es der Kleinen mehrfach nahegelegt habe, den Winter auswärts zu verbringen, falls sie mir nicht die Freude machen wollte, sich zu verloben. Man wird alt, mein lieber Steinhausen – nein, nein, widersprechen Sie nicht! – und das gesellige Treiben bis in die Nacht, oft bis in den hellen Morgen hinein, fängt an, mir schwer zu werden, Ich hätte gern einmal Ruhe – so oder so! Würde das Kind vernünftig sein, so könnte ich Ihre liebe Mama bitten, sie für diesen Winter unter ihre Flügel zu nehmen – sie ist bedeutend jünger als ich, und jedermann würde es natürlich finden, wenn sie die zukünftige Schwiegertochter zu den Gesellschaften begleitet. So aber . . . eine Entfernung wäre am Ende ganz heilsam, Ortswechsel und Zeit haben schon manchem eigensinnigen Mädchenkopf gut gethan. Sie hat eine Einladung zu einer sehr lieben Freundin nach Wien – Sie wissen, die reizende Komtesse Minnie Rödern, die den Oberlieutenant Wallbach geheirathet hat – aber wenn Annaliese sich durchaus weigert, dahin zu zu gehen, was soll, was kann ich dann thun?“

„Aus welchem Grunde weigert sich die Baroneß, wenn man fragen darf?“

„Ach, es ist gar kein eigentlicher Grund – wer wird aus all den Gründen klug! Noch heute früh hieß es: ,Zu Minnie fahr’ ich in keinem Fall – Militär hier, Militär dort; Schaustück hier, Schaustück dort!‘ Sagen Sie selbst, liegt da irgend ein Sinn drin?“

Steinhausen sah beunruhigt aus und strich mechanisch sein weiches blondes Bärtchen. Er hatte keinen bestimmten Verdacht, aber es war ihm sehr unbehaglich zu Sinn. Die „Partie“ mit Annaliese von Guttenberg war nachgerade eine Art Lebensfrage für ihn geworden, seine Gläubiger hatten sich so hübsch darauf hin vertrösten lassen ... in neuester Zeit lebte er sehr solide, aber er hatte einige alte Schulden, die ihm allmählich ungeheuer lästig wurden. Und welch eine Karriere würde er machen können, welch einen Sporn für seinen Ehrgeiz würden diese weit hinaufreichenden Verbindungen seiner Braut für ihn abgeben! Dann dies stolze Vermögen – wie sicher und geborgen man sich fühlen, welches Haus man machen und wie man den Seinigen das dürftige Leben erleichtern könnte! Auch für sein Herz, das ihn immer noch gewaltig zu der schönen Erna von Torsten zog, für sein Gewissen, das ihm doch oft recht böse Stunden bereitete, wäre diese Verlobung der sicherste Damm gewesen! Und es wußten so viele davon, man erwartete das Ereigniß allgemein – die Kameraden fingen schon an, schnöde Bemerkungen zu machen. Fatal! Und das alles vielleicht nur um einer kindischen Laune willen, und zwar ihm, Konstantin von Steinhausen gegenüber, dem elegantesten Kavalier, dem begabtesten Offizier, dem Liebling aller Damen – ihm, der die Großmutter des Mädchens, die einflußreiche alte Excellenz, ganz und gar auf seiner Seite hatte! Mit finsterem Vorwurf warf er einen Blick über die Schulter zurück und seine Augen blieben auf dem reizenden Profil Annaliesens haften – mehr konnte er nicht sehen. Aber das Gesicht des Herrn, in den sie eben so eifrig hineinredete, war ihm voll zugewendet; es war ein kluges, energisches Gesicht, nicht gerade schön, aber –

„Ihr Neffe scheint eine vorzügliche Unterhaltungsgabe zu besitzen,“ sagte Steinhausen mit zusammengezogenen Brauen zu der alten Excellenz und deutete mit einer leisen Bewegung des Kopfes rückwärts zu dem nachfolgenden Paar.

„Nicht daß ich wüßte – er ist ja ein sehr guter, achtungswerther Mensch, ich habe sogar eine Vorliebe für ihn – aber was ist denn dabei so sorgenvoll auszusehen? Ah so, Sie meinen, die Unterhaltung sei zu angelegentlich? Da können Sie sehr ruhig sein, mein Lieber – das hat keine Konsequenzen!“

„Excellenz haben sicher recht – ich – ich – bin nur etwas nervös und entmuthigt –“

„Schämen Sie sich, Steinhausen, so etwas nur auszusprechen! Nervös und entmuthigt, ein Mann wie Sie – ist es erhört? Zu meiner Zeit kannte man das nicht, da gab es keine Offiziere, die Nerven hatten und entmuthigt waren! Guter Gott, haben denn die Herren Offiziere von heutzutage gar kein Selbstvertrauen mehr?“

„Doch, Excellenz, doch, sie haben! Und ich für meine Person – man hat mir sogar oft gesagt, ich hätte zuviel davon. Indessen – in diesem besondern Fall – das gnädige Fräulein hat ein Benehmen mir gegenüber, das eigentlich sonnenklar beweist, wie sie gesonnen ist, und nur die Erinnerung an frühere Zeiten sowie die Größe und Tiefe meines Gefühls ... ich meine, mein inniges Bestreben – die wichtigste Frage meines Lebens –“ Steinhausen hatte sich beim Betonen des großen und tiefen Gefühls verwirrt – „das alles läßt mich die Hoffnung noch nicht gänzlich aufgeben. Die Baroneß ist mir gegenüber von einer Unbefangenheit, einer kameradschaftlichen Vertraulichkeit, die mich unter anderen Verhältnissen sehr erfreuen würde, die mich aber jetzt schmerzlich niederdrückt. Sehe ich doch deutlich daraus, daß, wenn jemals ein flüchtiges Interesse für mich vorhanden war, dasselbe jetzt spurlos verflogen ist. Ich bin nicht ohne Erfahrung auf solchem Gebiet –“

Die Generalin drohte leicht mit dem Finger. „Ist man wirklich ein solcher Don Juan gewesen, wie Frau Fama behauptet?“

„Frau Fama pflegt in solchen Dingen gründlich zu übertreiben – das Studium des weiblichen Herzens ist indessen ein so anziehendes und vielgestaltiges –“

„Und man hat Ihnen dieses Studium nicht allzusehr erschwert, nicht wahr, mein guter Steinhausen?“

„Ich hätte nie gedacht, daß Excellenz so satirisch werden könnten!“

„Wir werden noch mancherlei Neues an einander entdecken, wenn wir in nähere Beziehungen treten, ein Gedanke, den ich durchaus nicht aufgebe, Wenn es aber so ist, wie Sie sagen – dann – hm – ich schicke dann alles Ernstes die Kleine nach Königsberg. Mag sie da Vergleiche ziehen zwischen den Offizieren dort und einem Konstantin Steinhausen – nun, ich will Ihnen keine Komplimente machen. Ob sie übrigens dort viel mit Offizieren verkehren wird, scheint mir fraglich; ich habe, auf eine vorläufige Anfrage, einen Brief von Königsberg erhalten – sonst nicht übel geschrieben – der mir über diesen Punkt nicht genügende Auskunft giebt.“

„Excellenz meinen bestimmst bei der Baroneß käme nur das militärische Element in Betracht?“

Die Generalin lachte ihr tiefes, etwas rauhes und kurz abgebrochenes Lachen. „Wie kommen Sie mir vor, mein lieber Steinhausen? Sie wissen, wie weit zurück die Guttenbergs datieren, ich brauch’s Ihnen nicht erst zu sagen. Nun, die gerade Linie hat auch nicht eine einzige nichtmilitärische Heirath aufzuweisen . . . nicht eine einzige! Diese Stammtafel ist meine ganze Freude, mein ganzer Stolz. Und Annaliese hat nicht ein versprengtes Tröpfchen unmilitärischen Blutes in ihren Adern, auch ihre Mutter stammte aus einem alten Soldatengeschlecht, mein Sohn hatte diesen Umstand bei seiner Wahl besonders berücksichtigt. Nein, in diesem Punkte bin ich sicher. Und eben darum mag sie ihre Vergleiche anstellen.“

Unterdessen war bei dem andern Paar das Gespräch nicht minder eifrig geführt worden.

„Bis jetzt geht alles nach Wunsch!“ hatte Annaliese mit strahlendem Gesicht begonnen. „Großmama ist halb und halb entschlossen, mich nach Königsberg zu schicken; sie wird sich ganz entschließen, ich weiß es, denn sie ist ärgerlich auf mich, daß ich ihr nicht den Willen thue – Sie wissen schon, was ich meine – und darum will sie mich los sein. Ihr Freund hat an Großmama einen herrlichen Brief geschrieben, ich hab’ ihn gelesen – er ist so famos, so zweckentsprechend, Sie müssen ausgezeichnet vorgearbeitet haben! Schönsten Dank!“ Aus dem kleinen Muff schlüpfte ein niedliches Händchen hervor und schmiegte sich warm in des Professors Rechte – es war ein angenehmer Augenblick, leider nur, wie das meiste Angenehme im Leben, sehr kurz!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_615.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2022)