Verschiedene: Die Gartenlaube (1893) | |
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nicht ganz zufriedener Franzose, und ingrimmig knurrten einige danebenstehende Engländer und Amerikaner: „These Germands beat us all to pieces! Diese Deutschen schlagen uns alle in Stücke!“ Dieser großartige Erfolg Deutschlands, der gewiß nicht weniger in die Wagschale fällt als glänzende Siege der Armeen, ist natürlich in erster Linie den Leistungen der deutschen Industrie zu verdanken, dann aber auch der Reichsregierung, die es als ihre Pflicht erkannte, ihrerseits die Leitung in die Hand zu nehmen. Sie sah ein, daß Chicago der Platz sein werde, wo die Völker der Erde um die Herrschaft auf dem Gebiete des Welthandels streiten würden. Daß der Wettkampf heftig und die Palme des Sieges nur durch eisernen Fleiß, durch Anspannung aller Kräfte zu erringen sein werde, war gewiß, und in dieser Erkenntniß hat die Reichsregierung nicht gezögert, ihr Bestes zu thun. Ein Beweis dafür ist schon das herrliche, hart am Ufer des Michigansees errichtete deutsche Staatsgebäude, das nicht wie die Repräsentationsbauten der anderen Völker nur aus Holz und „Staff“, sondern massiv aus Stein, Eisen, Holz und Stukk ausgeführt wurde und Jahrhunderte überdauern kann. Dieses Bauwerk ist unstreitig das malerischste und eigenartigste des ganzen Platzes; es verdankt seine Entstehung dem Baumeister Radke.
Augenscheinlich war es dem Urheber dieses „Deutschen
Hauses“ weniger darum zu thun, ein Kunstwerk von
bestimmtem, streng durchgeführtem Stil zu schaffen, sondern
er beabsichtigte, eine jener wunderbar pittoresken Bauten
vor Augen zu führen, wie sie das deutsche Mittelalter
geschaffen hat und wie sie bei uns noch oft genug gefunden
werden. Wie verschiedene Jahrhunderte, verschiedene Bauherren
an derartigen Schlössern, Burgen und Rathhäusern je
nach Bedürfniß oder Laune da einen trotzigen Thurm, dort
einen lauschigen Erker erstehen ließen, wie man neben den
stolzen Hauptbau die Wohnungen
für die wehrhafte Besatzung und das Gesinde klebte und wie man
auch dem religiösen Bedürfniß durch Anfügung einer Kapelle Rechnung
trug – so sollte das „Deutsche Haus“ das alles zusammenfassen.
Darum entlehnte der Architekt den Schlössern und Rathhäusern zu
Aschaffenburg, Goßlar und Rothenburg ob der Tauber die schönsten
Motive, verschmolz dieselben in geschickter Weise zu einem harmonischen
Ganzen, schmückte die Giebel mit bunten Arabesken und
sinnigen Sprüchen und schuf so ein Bauwerk, das wie eine Verkörperung
der mittelalterlichen Romantik vor uns steht. Selbst
in dem träumerischen alten Nürnberg sucht man vergeblich eine
entzückendere Vereinigung all jener märchenhaft anmuthenden
Eigenthümlichkeiten, über welche die mittelalterliche Baukunst verfügte.
Auf den mit bunten glasierten Ziegeln gedeckten Dachfirsten drehen
sich groteske Wetterfahnen; die Traufen endigen in grimmige
Drachenköpfe; das Sonnenlicht fällt durch Fenster mit Butzenscheiben
und Glasgemälden, und aus den Fresken, welche die Außen- und
Innenwände des Hauses schmücken, schauen jene verführerischen
Nixen und reckenhaften Helden auf uns herab, von denen die deutsche
Sage so viel zu erzählen weiß.
Und auch das Innere des Gebändes hält, was das Aeußere verheißt. Das Haus beherbergt die trefflichsten Leistungen der Bildschnitzerei und Kirchenkunst, ganz besonders aber fesseln uns die reichen Geistesschätze, die in den weiten Hallen von den Buchhändlern, Schriftstellern, Zeichnern und Komponisten Deutschlands ausgebreitet wurden.
Wie viel frohe Tage sind schon über dies „Deutsche Haus“ dahingezogen, wie viel schöne Feste hat das herrliche Glockenspiel eingeläutet, das, für die Kaiserin Augusta-Gedächtniskirche zu Berlin bestimmt, im Glockenthurm des Hauses aufgehängt ist! Aber einen ganz besonders feierlichen Klang hatten diese Glocken, als sich am 15. Juni dieses Jahres Tausende und Abertausende von Deutsch-Amerikanern in Chicago versammelten, um in Gemeinschaft mit ihren deutschen Brüdern die Liebe und Anhänglichkeit zum alten Vaterlande zu beweisen und den „Deutschen Tag“[1] festlich zu begehen. Von weit und breit, von Wisconsin und Minnesota, von Indiana, Michigan, Ohio und New-York, von Missouri, Kentucky und selbst vom fernen Texas waren Angehörige sämtlicher deutschen Stämme herbeigeströmt, um vormittags an dem imposanten Festzug durch die Straßen Chicagos theilzunehmen und nachmittags vor dem „Deutschen Hause“ den von mächtigen Chören vorgetragenen heimathlichen Liedern oder den Rednern zu lauschen, deren Worte alle in dem einen Spruch zusammenklangen, welcher hoch über ihren Häuptern an der Stirnseite des mächtigen Baues prangte:
„Wehrhaft und nährhaft,
Voll Korn und Wein,
Voll Kraft und Eisen,
Klangreich, gedankenreich,
Dich will ich preisen,
Vaterland mein!“ -
Bildet das „Deutsche Haus“ mit seinen Schätzen den Kernpunkt der deutschen Ausstellung, so enthalten doch die in den verschiedenen offiziellen Gebäuden der Kolumbischen Weltausstellung untergebrachten deutschen Sektionen nicht weniger großartige Werke schöpferischen Geistes. Ganz besonders feiert in dem Palast für Industrie die deutsche Kunstfertigkeit einen glänzenden Triumph. Ja sogar in ihrer äußeren Anordnung läßt hier die deutsche Abtheilung diejenigen der anderen Völker hinter sich, die der Franzosen, dieser Meister der Dekoration, nicht ausgenommen. Drei gewaltige eiserne Thore, Meisterwerke der Kunstschlosserei, von denen das mittlere Hauptthor elf Meter hoch ist und viele Centner wiegt, schließen die Stirnseite der deutschen Sektion gegen die Columbia Avenue ab, welche das Gebäude seiner ganzen Länge nach durchschneidet. Durch ihr reiches, entzückend gearbeitetes Gitter- und Blumenwerk hindurch gewähren sie dem Auge einen ungehinderten Einblick in den weiten Ehrenhof, dessen Rückseite durch einen Kuppelbau geschlossen wird, welcher nach rechts und links Seitenflügel entsendet. Hoch über dieser Kuppel thront die für das neue deutsche Reichstagsgebäude bestimmte, von Reinhold Begas modellierte und von dem Münchener Heinrich Seitz in Kupfer getriebene Gruppe der Germania.[2]
Vor dem Kuppelbau und seinen Seitenflügeln haben die herrlichen Erzeugnisse der Königlichen Porzellanmanufaktur in Berlin Aufstellung gefunden, während der Ehrenhof die kostbarsten Schätze des Hohenzollernmuseums enthält, ferner Prunkgeräthe und Ehrengeschenke aus dem Besitz der Kaiserin Friedrich, des Fürsten Bismarck und der Familie Moltke. Das alles sind überaus werthvolle Arbeiten, hergestellt von Künstlern und Kunsthandwerkern ersten Ranges.
Neben diese glänzende Darbietung stellt sich ebenbürtig die von unserer Reichsregierung mit einem Aufwand von 270000 Mark geschaffene Universitäts- und Allgemeine Unterrichtsausstellung.
- ↑ Die Behörden der Weltausstellung haben die Vereinbarung getroffen, daß jedem Volk, das sich offiziell an der Weltausstellug betheiligt, ein besonderer Festtag eingeräumt werde, den es mit seinen eingeladenen Gästen in nationaler Weise begehen kann. Der „Deutsche Tag“ fiel auf den 15. Juni.
- ↑ Eine genaue Abbildung dieser Gruppe ist auf S. 133 des laufenden Jahrgangs der „Gartenlaube“ enthalten.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_624.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2023)