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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

„Daran hab’ ich oft denken müssen! Und dabei sind Sie ein Mann und haben von vielen Dingen, die uns Damen wichtig sind, kaum eine Vorstellung. Gleich mein Haar! Daheim frisierte mich natürlich die Kanapé, in knapp zehn Minuten war’s fertig. Sie hätten den Bau sehen sollen, den ich mir hier am ersten, zweiten Tage auf den Kopf setzte! Und wie lange das dauerte und wie ich mich zausen mußte – entsetzlich! Dabei war natürlich allgemeines Erstaunen, daß ich etwas so Selbstverständliches nicht konnte, daß ich nicht einmal mit meinem Anzug allein zurechtkam. Meine arme Großmama muß hier jeder für geistesgestört halten, daß sie sich in ihren beschränkten Verhältnissen eine so verwöhnte Enkelin großziehen konnte. Auch meine Kleider scheinen immer noch nicht einfach genug zu sein, obgleich ich wahrhaftig schon in Sack und Asche gehe. Meinen sämtlichen schönen Schmuck habe ich zu Hause gelassen, auch die Straußenfederboa, die Sie so kostbar fanden, und meinen Blaufuchspelz – dennoch sieht mich Frau Claassen bei allem und jedem, was ich kaufen möchte, warnend an und fragt, ob das nicht meine Verhältnisse übersteige. Haben Sie denn damals geschrieben, ich sei so arm wie eine Kirchenmaus?“

„Kirchenmaus? Ich kann mich nicht entsinnen, diesen Ausdruck gebraucht zu haben. Sie wollten, ich solle Ihre Armuth betonen –“

„Mein Gott, ja, gewiß wollte ich das, und ich bin Ihnen dankbar, daß Sie es thaten – aber – aber – ich muß deswegen so viele Freuden entbehren, und das ist doch hart!“

Gregory zuckte die Achseln. „Das läßt sich ja alles später doppelt und dreifach nachholen!“ Es klang ein wenig scharf – sie war doch ein gefallsüchtiges, genußdurstiges Persönchen!

„Ja, was für Freuden meinen Sie denn? Bälle und Theater und ähnliches? Das meine ich nicht! Es sind ganz andere Dinge, um die mich meine Vermummung bringt – meine selbstgewollte Vermummung, ich weiß es wohl, Sie brauchen mich nicht so grimmig anzusehen! Also gleich Weihnachten! Welch ein reizendes Fest gab es hier! Besinnen Sie sich vielleicht, wie ich mich beklagte, bei Großmama sei alles so förmlich und kalt, und wie ich mir alles anders wünschte? Ja? Nun, hier gab es ein Fest nach meinem Herzen. Sie hätten die Kinder sehen sollen, wie sie um den Baum tanzten und aufschrieen vor Jubel und von einem zum andern liefen und alle umarmten – und wie das Gretchen seine Puppe küßte und jedem von uns zum Küssen hinhielt und sie dann in den Schlaf sang – und wie die Jungen ihre Soldaten exercieren ließen und der Kleinste glückstrahlend sein erstes Schaukelpferd bestieg . . . stundenlang könnte ich davon erzählen, ich hab’ immer durcheinander lachen und weinen müssen wie ein Kind, ich hatte ja das noch nie gesehen! Und vorher wurden arme Kinder beschenkt, kleine elende Geschöpfe, die Röcke und Schuhe bekamen und Aepfel und Nüsse. Wie die mit gefalteten Händen dastanden und vor lauter Entzücken zu danken vergaßen und ihre Gedichtchen aufzusagen! Daß ich da nicht geben konnte, viel, viel, mit vollen Händen, wie ich’s für mein Leben gerne wollte, das hat mir bitter weh gethan. Mein Nadelgeld ist so überreichlich, und wieviel gebe ich daheim für hübsche Nichtigkeiten und dummes Zeug aus! Als ich aber hier etwas schenkte, den kleinen Claassens ein paar Spielsachen und so weiter – mir kam alles lächerlich wenig vor – da sah ich große Augen und mißbilligende Mienen. Frau Oberlehrer sagte, ich würde es nie im Leben zu etwas bringen, wenn ich so verschwenderisch sei, und was ich mir eigentlich dabei denke, soviel Geld hinzugeben, ich müsse doch wissen, daß ich ein armes Mädchen und in Zukunft auf den eigenen Erwerb angewiesen sei! Und er, der Doktor – er ist ja sonst eine Seele von einem Mann – hat mir eine lange Rede gehalten: daß die Mildthätigkeit eine der schönsten Eigenschaften des weiblichen Gemüths sei und daß sie ihn bei mir rühre und erfreue – sie dürfe aber nicht in völliges Selbstvergessen übergehen, man habe auch Pflichten gegen sich selbst und so weiter und so weiter. Mußte ich mich noch in den Himmel heben lassen wegen meines Edelmuthes und hatte doch nichts weiter gethan, als von meinem Ueberfluß ein winziges Scherflein abgegeben! Ich bitte Sie – es war eine beschämende Lage!“

Der Professor sah gerührt in das aufgeregt zuckende Gesichtchen; er fühlte die stärkste Versuchung, es sanft zwischen seine Hände zu nehmen und zu küssen, zärtlich und leidenschaftlich, aber er nahm sich zusammen. „Sie werden mich entsetzlich pedantisch finden, Fräulein Annaliese, aber ich muß Ihnen wiederholen: das sind eben die Folgen Ihres Handelns, tragen Sie sie in Geduld! Uebrigens kann ich Sie ein wenig beruhigen: die Kinder meines Freundes Gustav sind wenig verwöhnt und sicher überglücklich mit Ihren Geschenken gewesen – sie mit Kostbarkeiten zu überschütten, wäre gar nicht richtig, sogar bedenklich gewesen, und bei den armen Kindern ist es ähnlich – vom pädagogischen Standpunkt!“

„Ach, gehen Sie mir mit dem pädagogischen Standpunkt! Ich will Freude bereiten und vergnügte Gesichter sehen! Sie glauben nicht, wie schrecklich viel Armuth hier in Königsberg herrscht. Die Stadt ist arm, heißt es immer, sie hat zu Napoleons des Ersten Zeiten gar zu sehr bluten müssen. Das muß wohl wahr sein. Claassens sind sehr gut, sie helfen, soviel sie können. Ich bin auch mit Frau Oberlehrer in die Wohnungen armer Leute gegangen – Großmama würde schön schelten, wenn sie das wüßte! Aber sie weiß es nicht!“ Annaliese nickte siegesgewiß vor sich hin. „Und Ihr Freund, der gute Doktor, ist damit auch ganz einverstanden, er findet es egoistisch, sich vor dem Elend und der Armuth zu verstecken, und meint, ich könne eine solche Thätigkeit gut für mein künftiges Leben brauchen. – Wissen Sie, daß er mich alles Ernstes fragte, ob ich denn noch nie in meinem Leben einen Heirathsantrag bekommen hätte?“

„Und was haben Sie ihm geantwortet?“

„Ich konnte gar nicht antworten, es war so drollig! Denken Sie ’mal, zu Hause nannten sie mich immer die Turandot, und nun kommt dieser Oberlehrer daher und fragt, ob ich denn noch nie einen einzigen Heirathsantrag gehabt hätte! Und als ich diese Gewissensfrage unbeantwortet ließ, da hat er mich so recht treu und väterlich besorgt angesehen und hat mir gerathen, ich möchte das Lehrerinnenexamen machen und Gouvernante werden!“

Das junge Mädchen kam bei der Erwähnung dieses Vorschlags aufs neue so ins Lachen, daß sie den Professor mit ansteckte – ihr Lachen hatte etwas Unwiderstehliches. Sie wollte fortfahren, zu erzählen, er wollte allerlei bemerken, fragen . . . umsonst. Sowie sie einander ansahen, brach das Lachen aufs neue hervor – Annaliese warf nur zuweilen ein halb ersticktes: „Gouvernante! Ich – Gouvernante!“ dazwischen.

„Gustav hat es mir auch schon erzählt, und er fügte hinzu, daß Sie seinen Gedanken schon damals mit strahlender Heiterkeit begrüßt hätten!“

„Ja, der Doktor muß mich für verrückt gehalten haben, aber ich konnte mir nicht helfen! Er meinte, da es doch mit dem Malen nichts sei –“

„Aber warum denn nicht?“

Annaliese sah mit einem Mal ernsthaft aus. „Weil ich im Recht war mit meinem Verdacht, man könnte der reichen Erbin, der Enkeltochter der alten Excellenz Guttenberg, auch das Maltalent gutgeschrieben haben! Wissen Sie noch, wie Sie mich damals in meinem Salon auslachten, als ich davon sprach, und es meine fixe Idee nannten, daß ich alles und alles damit in Verbindung brachte? Nun, als ich frank und frei mit meinen Bildern und Studien zum hiesigen Vorstand der Kunstakademie ging – ein reizender alter Herr und berühmter Maler – und ihn bat, mir aufrichtig, aber ganz aufrichtig seine Meinnug zu sagen, da guckte er mich aus seinen scharfen geistreichen Augen durchdringend an und sagte wörtlich: ‚Mein liebes Fräulein, wenn Sie Lampenglocken und Briefmappen und Fruchtteller machen wollen, nur zu, ich habe nichts dawider! Sie werden solche Dinge, die ja auch zu brauchen sind, ganz niedlich herstellen. Aber um Bilder zu malen, wirkliche Bilder, die etwas bedeuten wollen, dazu gehört mehr, und wer Ihnen zu Hause gesagt hat, Sie hätten dieses Mehr, der hat Ihnen eine Unwahrheit gesagt . . . wenigstens ich kann nicht finden, daß aus diesen Proben irgend welcher schöpferische Geist spricht. Es ist etwas sehr Ernstes um die Wahl eines Berufes, und wenn Sie mich fragen, ob Sie Ihre Zukunft auf die Kunst gründen sollen, so sage ich Ihnen, nach meiner ehrlichen Ueberzeugung: nein! Es wäre schade um die Kunst und auch schade um Sie!‘ Dann haben die klugen Augen des prächtigen alten Herrn schelmisch zu zwinkern angefangen, und er hat mit einem recht wohlwollenden Ton hinzugefügt:

‚Sollte denn für eine Erscheinung wie Sie wirklich nur der dornenvolle Weg der Kunst vorhanden sein? Besinnen Sie sich einmal! Es braucht ja nicht ein Pinsel zu sein – für solche junge Damen giebt es doch auch noch andere Chancen!‘ Ich mußte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_651.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2022)