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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Villa Borghese.

Humoreske von Johannes Wilda.

So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage,“ pfiff der „Privatarchitekt“ Arnold vor sich hin, während er den auf einem Reißbrett ausgespannten Entwurf zu einer Kapelle farbig austuschte.

Nach diesen frohen Tönen und den lustigen Farben zu urtheilen, die sein Pinsel hervorzauberte, hätte man Eduard Arnold für einen Menschen halten sollen, der so recht in behaglicher Glücksfülle sein Dasein genoß und doch lehnte an dem Thürpfosten des ärmlichen Zimmers seine junge Frau mit Thränen im Auge und doch zog sich sein Herz in tiefem Schmerz zusammen. „Sie soll’s nicht merken!“ dachte er und pfiff weiter.

Ach, sie merkte es doch! Und wie schnitt ihr seine erheuchelte tapfere Lustigkeit in die Seele! Durch den kleinen Raum irrte ihr Blick zu dem einzigen Prachtstück, einem schön polierten Pianino. Es war ihr Heiligthum. Ihr Gatte hatte es ihr am ersten Weihnachtsfest nach der Hochzeit geschenkt. Wie viele frohe Stunden hatte ihnen die gemeinsame Hausmusik verschafft! Allein was half’s? Es war am werthvollsten und zugleich am entbehrlichsten – die fällige Miete konnte nur so gedeckt werden. O, dieser Mensch, dieser Gumprecht! So schmählich seinen besten Freund im Stich zu lassen! Wer würde das von ihm gedacht haben!

Plötzlich richtete sie sich mit einem Ruck auf und wischte sich die Thränen von den Wimpern. „Vielleicht kommt Gumprecht doch noch, Eduard. Ich kann nicht glauben, daß er sein Wort bricht.“

Arnolb schüttelte den blondgelockten Künstlerkopf. Er fand sich genöthigt, erst ein wenig zu schlucken, ehe er fest zu reden vermochte. Dann brummte er, sich tiefer über das Brett neigend: „Schreiben wir’s in den Rauch, Magda! Wenn er hätte zahlen können, wäre er längst hier gewesen. Im übrigen – bring’ mir ein Butterbrot! Aber nicht zu sehr aufstreichen; ich kann das übermäßig Fette nicht vertragen!“

Das war ihr zu viel, daß er nun schon anfangen wollte, sich den Pfennig am Munde abzusparen. Schluchzend stürzte sie auf ihn zu und umschlang seinen Hals. „O Gott, daß es so weit mit uns kommen mußte! Es ist mir ja nicht meinetwegen. Aber Du, der Unermüdliche, Du hast es anders verdient! Und Toni, unsere süße kleine Toni! Wenn sie nun wirklich hungern müßte! Welch ein schauerlicher Gedanke!“

„Und das alles wegen eines Butterbrots?“ entgegnete ihr Mann lachend, während auch ihm eine Thräne über die Wange rollte. „Geh’, Magda, Du bist doch sonst so tapfer! Unsere dicke Toni und verhungern! Ich bitte Dich um alles in der Welt, kannst Du Dir das vorstellen? Wir werden einfach Vegetarianer, Kind. Das Gemüse ist augenblicklich riesig billig. Der Himmel wird mir jede Zwiebel segnen, die ich ohne verwerfliches Beefsteak verzehren werde!“

Mitten in ihrem Kummer mußte Magda lächeln. Ein wenig beruhigter fragte sie: „Aber die Miete, Schatz – wie bringen wir die zusammen?“

Ein Schatten flog über sein gutes Gesicht. „Hm, ja, die Miethe! Eigentlich sollte den Gumprecht doch der Teufel holen! Wenn es noch ein Darlehen von zwanzig Mark gewesen wäre, aber meine sämtlichen Ersparnisse, fünftausend Mark! Und das in meiner Lage! Dabei soll ein Christenmensch sich nun seine Ideale bewahren! Fortan pfeife ich auf die Freundschaft!“

„Ach Mann, das soll Dir gelingen, Dir mit Deiner grenzenlosen Gutmüthigkeit? Ich will Dir freilich nichts vorwerfen, ich hab’ dem Gumprecht auch vertraut. Und wie er damals so herzbewegend bat, uns so heilig der pünktlichen Rückzahlung versicherte und wir das Geld gar nicht nöthig zu haben glaubten, da freute ich mich ja mit Dir, daß wir ihm helfen konnten. Mein Gott, was giebt es doch für schlechte Menschen in der Welt!“

„Nein, Kind, schlecht ist er nicht, nur bodenlos leichtsinnig, und ich bin eben ein Esel gewesen, daß ich es für unanständig hielt, von jemand, der mir brüderlich nahestand, eine hypothekarische Sicherheit zu verlangen. Immerhin stecke ich lieber in meiner Haut als in der seinigen. Ich hab’ mein reines Gewissen und einen Schatz – einen Schatz, wie ihn kein König hat!“

„Aber Eduard, so hör’ doch auf mit dem Küssen! Horch nur – Toni ist schon darüber aufgewacht! Laß mich, damit ich Dir erst Dein Brot schneiden kann!“

Nach einer Weile kam sie wieder aus der Küche zurück.

Mißbilligend schüttelte er die Locken. „Nennst Du das die Butter sparen?“ fragte er vorwurfsvoll.

„Nun sie einmal da ist, muß sie doch gegessen werden,“ entgegnete Magda und ging zu ihrem Kind ins Nebenzimmer, wo sie ihr verstecktes trockenes Brot hervorzog.

Arnold arbeitete pfeifend weiter, rastlos, rastlos.

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Abends, nach dem bescheidenen Nachtessen, überlegten Eduard und Magda, was sie zu thun hätten, aber guter Rath war theuer. Magda suchte Erholung auf der glücklichen Insel Erinnerung.

„War das eine schöne Zeit, Eduard, als Du an der Baugewerkschule angestellt warst! Wie reich fühlten wir uns mit dem kleinen Gehalt! Weißt Du noch, wie Papa endlich ‚ja‘ sagte, als Du die Stelle bekamst?“

„Ich hielt ihn eigentlich bis dahin für einen Barbaren, Kind. Unter uns gesagt, ein wenig war er’s auch. Und doch – wer weiß, ob es nicht vorsichtiger von ihm gewesen wäre, wenn er einen solchen Schwiegersohn einfach zum Tempel hinausgeworfen hätte. So einen Hans Ungeschick, wie ich es bin!“

„Eduard, so redest Du? Du, den seine Schüler fast vergöttert haben!“

„Und den sein Direktor an die Luft setzte.“

„Weil er ein eifersüchtiger einfältiger Mensch war! Die Leute sind alle auf Deiner Seite gewesen!“

„Aber keiner hat mich wieder in eine Stellung gebracht.“

„Aus eigener Kraft hast Du Dir dann den Posten als Zeichner verschafft.“

„Der nicht einmal ausreicht, um uns vor Nahrungssorgen zu schützen. Und nun ist der letzte Rettungsanker entzwei! O dieser Gumprecht!“ Sich in die Ecke des kleinen Sofas zurückwerfend, auf dem er mit seiner Frau saß, fuhr Arnold mit allen zehn Fingern durch seinen wallenden Haarschmuck.

„So, jetzt spielen wir verkehrte Welt, Eduard! Nun verzweifelst Du und ich tröste. Soll ich Dir jetzt etwas vorpfeifen?“

„Soweit braucht Dein Edelmuth nicht gerade zu gehen. Aber mit der Musik hast Du recht, die macht uns wieder flott. Komm’ ans Klavier, wir wollen etwas Fideles singen! Den Rodensteiner heraus!

,Pfaffenbeerfurt ist hin, Pfaffenbeerfurt ist fort,
Pfaffenbeerkurt, der fromme, der züchtige Ort,
Pfaffenbeerfurt ist vertrunken!‘“

Etwas Fideles! Du lieber Gott! Heimlich streichelte Magda über die glatte Politur des geliebten Instruments. Wenn Eduard eine Ahnung davon hätte, daß sie es für die Miethe opfern wollte! Aber sie begann tapfer zu spielen und bald darauf erklang es im launigen Baß:

„Pfaffenbeerfurt ist hin, ist hin,
Pfaffenbeerfurt ist fort, ist fort,
Pfaffenbeerfurt ist vertrunken!“

„Höre nur, wie die Arnolds oben wieder singen; ich denke, es soll ihnen so schlecht gehen,“ bemerkte einen Stock tiefer die Steuerräthin Hinkeldey zu ihrem behäbigen Gatten.

„Und immer Kneiplieder!“ knurrte der Steuerrath.

„Das läßt tief blicken. Natürlich alles durch die Gurgel gegangen! Solche Leute kann man wahrhaftig nicht bedauern.“

*  *  *

Am nächsten Morgen – Arnold hatte eben einen Brief erhalten – stellte er sich mit aufgeblasenen Backen, die Hände ungeheuer wohlhabend in die leeren Taschen versenkt, vor seine Frau hin. „Wie sehe ich aus, Magda?“

„Abscheulich großspurig!“

„Bin ich auch! Du kannst es ebenfalls sein! Toni als Erbin dito! Schneiden Sie nicht ein so verblüfftes Gesicht, Madame, sondern bemächtigen Sie sich jenes Schreibens. Lesen Sie es und bestätigen Sie mir, daß ich alle Ursache habe, mich für einen Oberprotzen zu halten. Ich bin Großgrundbesitzer geworden!“

Während Magda las, wandelte ihr Mann, sie scharf beobachtend, in unnachahmlicher Würde auf und ab.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_658.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2023)