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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Das Schreiben lautete:
„Lieber Eduard! Du wirst mich für ehrlos halten, daß ich Dich im Stich ließ. Aber wenn man von schlechten Menschen gehetzt wird wie ein Stück Wild, muß auch der Beste zum Schuft werden. Wer’s nicht erlebt hat, kann nicht mitreden. Doch, um es kurz zu sagen: es ist mir rein unmöglich, Dir die 5000 Mark zurückzustellen. Komm’ zu mir, sieh’ selbst in meine Bücher! Ich will aber nicht, daß Dein Edelmuth Dich in Schaden bringt. Ich besitze an der Landstraße nach Pappelfelde eine Baustelle von 250 Quadratruthen. Die Ruthe kostet zur Zeit in jener Gegend ungefähr zwanzig Mark, das Grundstück wird also Deine Forderung gerade decken. Wenn Du damit einverstanden bist, überlasse ich es Dir und wir betrachten uns dann als quitt. Bricht der Krach über mich herein, was, unter uns gesagt, demnächst der Fall sein wird, so könnte ich keinen Pfennig für Dich retten, Also entscheide Dich schleunig! Ich selbst würde das Grundstück freiwillig unter keinen Umständen veräußern und kann Dir nur rathen, das auch nicht zu thun. Ich weiß sicher, daß in Pappelfelde eine Villenkolonie angelegt werden soll, durch die der Bodenwerth gehörig steigen wird; ich stehe Dir für den dreifachen Werth binnen zwei Jahren.

Verzeihe mir und, wie bemerkt, laß mich Deine Antwort sofort wissen! Dein alter Freund G.“ 

„Nun, Magda, was sagst Du nun?“

„Gott sei Lob und Dank, daß doch nicht alles verloren zu sein scheint,“ stammelte sie. „Ich kann freilich nicht beurtheilen, wie es mit solchen Grundstücken ist. Ich denke, Du solltest erst Onkel Meinhard fragen, dann aber Gumprecht heute noch aufsuchen.“

Arnold hatte seine scherzhafte Aufgeblasenheit abgelegt und wieder ein ernsteres Gesicht aufgesetzt. „Das meine ich auch, Magda. Die Vormittagsstunden müssen zu diesem Zweck geopfert werden. Kind, Du sollst sehen, es wird noch alles gut!“

Also Aruold ließ Reißbrett Reißbrett sein, da er die Kapelle für die Firma, die ihn beschäftigte, dennoch rechtzeitig fertig zu stellen hoffte, und fort war er. Bei Steuerraths unten besaß man keine Ahnung, daß es ein Großgrundbesitzer sei, der so vergnügt auf der Treppe pfiff. – –

„Toni, lauf’ doch nicht immer an die Thür, Papa kommt ja gleich! – Aber so bleib’ doch endlich einmal bei Deiner Puppe! – Himmel, was hast Du nun da wieder? Willst Du Dich denn mit Gewalt vergiften?“ Mit diesen Worten entriß Magda dem quecksilberigen Stolz der Familie den blaugefärbten Pinsel, den Toni auf einem Stuhl gefunden und sofort auf seine Schmackhaftigkeit untersucht hatte.

„Gar nicht gut, gar nicht gut!“ meinte sie, den Kopf schüttelnd und mit dem Ausdruck äußersten Abscheus in den entrüsteten Mienen.

„Also! Warum steckst Du ihn dann in den Mund? Balg, Du! Schau, hier hast Du eine warme Kartoffel, die schmeckt besser!“

Endlich kehrte Arnold wieder zurück, den Spitzhut schief auf den Locken, zu jeder lustigen Dummheit geneigt. Wahrscheinlich würden Magda und Toni diesen hohen Barometerstand der väterlichen Stimmung in allerlei Streichen zu spüren bekommen haben, wenn nicht Onkel Meinhard ihn begleitet hätte.

Onkel Meinhard, übrigens nur ein Onkel „honoris causa“, war ebenfalls Baubeflissener und zwar auch ein herzlich wenig begüterter. Sein Aeußeres war mehr auffällig als berückend. Er zeigte sich so kahlköpfig, wie nur ein Mensch werden kann, besaß ein Paar kleiner treuer Augen, eine Vertrauen erweckende rothe Stülpnase und als besonderes Kennzeichen einen ergrauenden mangelhaft ausrasierten Bart von äußerster Ursprünglichkeit. Trotzdem fand Toni den Onkel wunderschön, wodurch sie schon frühzeitig ihr Talent als Menschenkennerin bekundete.

„Abgemacht, alles abgemacht, Magda! Nach allen Formen des Rechtes!“ jubelte Arnold. „Meinhard sagt, wir fahren famos dabei. Hast Du das nicht gesagt, Meinhard?“ Onkel Meinhard nickte zur Bestätigung. Doch vorsichtig erläuterte er: „Nur verhältnißmäßig famos, natürlich! Wenn Du Dein bares Geld erhalten hättest, wäre es besser gewesen. Gumprechts Angaben sind ja im ganzen richtig, augenblicklich ist das Grundstück aber schwer verkäuflich und deshalb schwer beleihbar. Immerhin glaube ich auch, daß es über kurz oder lang einen hübschen Batzen werth sein wird.“

Magda fühlte sich zunächst beruhigt, konnte jedoch im stillen den Gedanken nicht los werden: ja, wovon leben wir denn bis dahin? Reich und gleichzeitig arm zu sein, das ist doch eine schnurrige Sache! Noch bedenklicher wurde es ihr, als der Onkel nun obendrein von allerlei Lasten und Steuern zu reden begann, die nothwendig getragen werden müßten.

Doch Arnold erklärte fröhlich: „Der Exekutor wird jetzt schon Respekt vor uns haben! Einstweilen biete dem Onkel Meinhard ein Glas Wein an, Frauchen!“

Magda machte ein Gesicht wie ein sehr peinlich in die Länge gezogenes Fragezeichen.

„In der Küche steht er ja. Sieh doch nach, Kind!“

Mechanisch gehorchte die junge Frau, ohne zu wissen, wie sie sich bei dieser Spiegelfechterei ihres Eheherrn vor ihrem Gaste mit Anstand aus der Sache ziehen sollte. Aber siehe da! Auf dem Küchentisch stand leibhaftig eine Flasche Wein, die im durchfallenden Sonnenlicht gleich eitel Purpur glühte. Und daneben lag ihre Leibspeise, eine Bratwurst.

„Der Verschwender!“ flüsterte sie. „Das hat er nun heimlich unter seinem Mantel mitgeschleppt. Wein! Du meine Güte, wie lange haben wir den nicht im Hause gesehen! Wenn’s nur nicht zu leichtsinnig gewesen ist!“

Dennoch lächelte sie glückselig, während sie die Flasche entkorkte und nebst zwei blanken Gläsern säuberlich auf ein Theebrett stellte.

„Zwei Gläser? Unsinn, drei!“ rief Arnold, als sie wieder eintrat.

„Aber Eduard –“

„Selbstverständlich! Mein bester Verbündeter in allen Lebensnöthen muß doch mit anstoßen, wenn wir einmal etwas draufgehn lassen können, wie –“

„– Großgrundbesitzer“, neckte Meinhard.

„Gewiß!“ rief Arnold sehr von oben herab. „Onkel Meinhard, der zukünftige Gast auf unserer fürstlich eingerichteten Villa bei Pappelfelde – er lebe hoch!“

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„Ja, das ist nun soweit ganz schön, Eduard, und der Wein war nothwendig und Dir heilsam, aber, lieber Schatz, wovon leben wir bis zum Ersten? Und vor allem: wie steht’s mit der Miete?“

Arnold lag mit dem einen Knie auf dem Stuhle, mit dem Oberkörper schier auf dem Reißbrett und zeichnete und tuschte, was das Zeug halten wollte. Auf diese bedenkliche Frage hin richtete er sich auf, warf die Mähne zurück und sagte. „Wir hätten ja jetzt einigen Kredit, Kind. Aber –“

„Aber Schulden machen wir nach wie vor nicht!“

„Das ist es! Wir müssen uns vorläufig so durchhungern.“

„Als Großgrundbesitzer?“ erwiderte sie in schmerzlich launigem Spotte.

„Ja, obgleich es ein Skandal ist.“

„Und die Miete?“

„Ach zum Henker mit Deiner unglückseligen Miethe!“

Er schwieg. Seine Blicke irrten durch das Zimmerchen. Große Exkursionen konnten sie sich da allerdings nicht erlauben. Sie bewegten sich im engsten Kreise nach allen möglichen Gegenständen, nur über das auffälligste Stück, das Klavier, glitten sie beharrlich hinweg. Endlich blieben sie an einer alten, mit Elfenbein und Perlmutter eingelegten Reiterpistole haften, die er hoch in Ehren hielt und allen Fährlichkeiten bisher entrissen hatte: „Das Ding muß weg da!“ knurrte er, die Oberlippe verächtlich emporziehend. „Es paßt schon lange nicht mehr zu unserem ‚Stil‘, wäre auch später, wenn Diebe in unsere Villa einbrechen sollten, zu keinem einzigen Schusse zu gebrauchen. Also – verkaufen wir es! Dann ist die Magenfrage bis zum Ersten erledigt.“

Magda stellte sich vor ihn hin, schlang ihre Hände um seinen Nacken, und, ein wenig von ihm abgerückt, schaute sie ihn mit klaren Augen an und schüttelte langsam, aber nachdrücklich den Kopf.

„Nun, warum denn nicht?“

„Weil’s nicht lohnt!“

„Hast Du etwa noch einen verborgenen Diamantschmuck?“

„Nein. Aber das Klavier!“

Arnold riß die Augen entsetzt auf. „Bist Du toll? Ich kann mir meine Kneiplieder auch pfeifen. Aber wie Du ohne Mozart und Beethoven durch dieses irdische Jammerthal weiter pilgern wolltest, begreife ich schlechterdings nicht. Da benutze den Klimperkasten lieber noch zum Stundengeben!“

„Eduard, Du weißt, wie Fräulein Müller und Fräulein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_659.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2023)