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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

wahrzunehmen, und da sollen es andere für Sie thun? Sie haben keine Ahnung von Geschäften!“

Zornroth ballte Arnold die Hände

„Schatz, Schatz, bitte, rege Dich nicht auf,“ flehte Magda, „warte doch erst andere Beweise ab! Und schlimmsten Falls –“

„Ganz wie Sie meinen, Madame,“ fiel der Fremde hämisch lächelnd ein, „Warten Sie nur getrost die anderen Beweise ab! Im übrigen, meine Herrschaften, thut es mir leid, Ihre Ruhe gestört zu haben. Aber bitte, genieren Sie sich durchaus nicht, hier auf meinem Eigenthum Ihre Siesta fortzusetzen. Ich habe die Ehre!“

Den grauen Cylinder schwenkend, ging Herr Pistor ebenso katzenartig davon, wie er sich vorhin den friedlichen Akazien genähert hatte.

Arnold warf sich nieder auf den Boden und vergrub sein Gesicht in die Hände.

„Lieber Eduard, nimm’s Dir nicht so zu Herzen! Sieh’, wir brauchen es ja eigentlich gar nicht mehr. Damals, als der Hunger vor der Thür stand, war es doch weit schlimmer.“

„Du hast recht, Magda, Ich will mich an Dir aufrichten. Mit Dir komme ich auch wohl über das neue Unglück hinweg,“

Das war ein trauriger Abschluß des Nachmittags, der so glücklich begonnen hatte! Nur die so plötzlich ihrer Würde entkleidete Erbtochter hatte die schwere Viertelstuude in ungeschmälerter Heiterkeit verbracht. Sie hatte einen Schuh ausgezogen, füllte ihn mit Sand, den sie dann wieder herausrinnen ließ, und lachte und lachte.

„Und wenn der alte Kerl doch recht hat, Schatz, dann bauen wir das Haus in drei Tagen!“ rief Magda, wie elektrisiert beim Anblick der ruhigen Fröhlichkeit ihres Töchterchens.

Arnold lächelte trübe. „Kind, rede doch nicht solchen Unsinn! Heutzutage geschehen keine Wunder mehr.“

„Warum nicht, wenn man’s richtig angreift? Onkel Meinhard muß Rath schaffen!“ – 0000

In der Frühe des nächsten Morgens rannte Arnold sogleich zu dem Freunde. Da aber eben erst die Sonne aufgestanden war, so konnte man die gleiche Leistung unmöglich schon von Onkel Meinhard erwarten. Sein polierter Schädel und seine rothe Nase starrten dem aufgeregten Fachgenossen höchlich überrascht aus den Federn entgegen. In zehn Minuten aber hatte er aus dem krausen Vortrag Arnolds ungefähr herausgefunden, um was es sich handle. „Donnerwetter!“ brummte er, „an das verflixte Grundbuch hab’ ich auch nicht gedacht! Der Bursche aber, der Gumprecht, hat Dir diese verteufelte Bedingung verschwiegen, um ohne Schwierigkeiten schnell von Dir loszukommen. Da ist guter Rath theuer, Verehrtester!“

Arnold fuhr mit allen Fingern durch seine langen Locken, während Meinhard halb angekleidet auf dem Bettrand saß und überlegte. Da sprang dieser auf; seine guten listigen Aeuglein funkelten.

„Da steht der Spirituskocher, Arnold! Bereite uns einen nervenstärkenden Mokka, inzwischen kleide ich mich stilvoll an und mache meinen Plan!“

Beides führte er mit ungeheuerer Geschwindigkeit aus. Das Wasser kochte noch nicht einmal, als er schon, den Schlußstein seiner Toilette, die Kravatte, befestigend, sich vor dem Freund aufpflanzte. „Dem altem Blutsauger, dem Pistor, wird eine Nase gedreht und Deine Villa in drei Tagen aufgebaut!“

„Meinhard, nimm mir’s nicht übel, Du bist ebenso verrückt wie Magda!“

„Mit diesem Vergleich bin ich zufrieden! Du glaubst also nicht, daß man in drei Tagen ein Haus bauen kann?“

„Möglich mag’s sein; aber es würde auch danach werden.“

„Das ist in diesem Falle gleich!“

„Und nur, wenn man ein reicher Mann ist.“

„Du bist reich!“

„Das erste;. was ich höre!“

„Jawohl, Du bist reich – reich an Freunden! Und ich darf wohl behaupten, daß der alte Meinhard auch einiges unter den Kollegen gilt.“

Arnold steckte die Hände tief in die Tasche und warf die Locken zurück. „Hebe Dich weg von mir, Satan, Du willst meinen heiligsten Grundsatz erschüttern?“

„Arnold, Du bist ein Kind! Doch gut – wenn Du Deinen Widerwillen gegen alles Leihen nicht überwinden kannst, so nehme ich meinen eigenen Kredit in Anspruch!“

Lächelnd und doch bewegt schaute Arnold auf den schäbig gekleideten Freund. „Ach Meinhard, selbst wenn wir unseren Kredit in einen Topf werfen, wie sollen wir uns das Geld verschaffen?“

„Geld, Geld! Wer spricht denn groß von Geld? Ein paar Silberlinge müssen wir natürlich in der Hand haben – im übrigen geht es auch ohne das!“

„Das verstehe, wer kann!“

„Gieb mir Vollmacht und Du wirst bald verstehen!“

„Hm, ich weiß nicht – so ohne weiteres –“ „Unsinn, alter Junge! Zu was noch Bedenken? Kannst Du mehr verlieren, als so wie so schon zum Henker gehen will? Hier ist meine Hand, alter Junge, schlag’ ein! Es geschieht zu Euerem Besten!“

Und Arnold schlug ein.

„So,“ sagte Meinhard zufrieden, „jetzt wollen wir Dein Gebräu genießen und dann zum Grundbuchamt, damit wir uns von der unangenehmen Richtigkeit der Bedingung überzeugen! Und dann –“

„Und dann?“ fragte Arnold gespannt.

„Hast Du zu allem, was ich abmachen werde, Ja und Amen zu sagen!“

„Meinhard, ich glaube wahrhaftig, ich habe Dir meine Seele verschrieben.“

„Wenig genug! Wenn ich Deine Haare hätte bekommen können, wär’ mir’s lieber gewesen!“

Und der überall beliebte und nie etwas für sich fordernde Onkel Meinhard lief, nachdem er mit Arnold die Aussage Pistors nur zu richtig befunden hatte, von Kollege zu Kollege und stellte jedem mit Feuereifer die üble Lage seines Freundes und seinen Bauplan dar. Und siehe da – gereizt durch die Sonderbarkeit des Falles, gerührt durch Meinhards Beredsamkeit, verweigerte niemand die verlangte Hilfe: was der Bauplatz eines jeden an entbehrlichem Material besaß, sollte sofort nach Pappelfelde geschafft werden. Der eine stellte dies, der andere das zur Verfügung; Fuhrwerke, Arbeiter, Baugeld – kurz alles Nöthige war in schnellster Frist beschafft; ein paar junge Regierungsbauführer, die nichts anderes bieten konnten, steuerten ihre eigene Arbeitskraft bei. Eine solch begeisterte herzliche Theilnahme hatte man im Baugewerke noch nicht erlebt.

Meinhard ordnete das Chaos mit bewundernswerther Umsicht, so daß schon am Montagnachmittag die Fundamentierungsarbeiten begannen. Den anfangs sprachlosen Arnold hatte er fast beim Kragen nehmen müssen, um ihn mit zur Baustelle hinauszuschleppen. In Gottes freier Natur, bei einem Wetter, das den Leichtsinn in der Menschenbrust geradezu herausforderte, war ihm die Beruhigung des Freundes dann schnell gelungen.

Als unbezahlbarer Verbündeter für die erforderliche Nachtarbeit stellte sich in Ermangelung elektrischer Beleuchtung das herrlichste Mondlicht ein, und am Dienstag sah man bereits, daß es „etwas wurde“. Ein des Weges ziehender Fremder hätte sich nach Amerika versetzt fühlen können. Das war ein Sandsieben, Kalklöschen, eine Steinschlepperei und Maurerei von einer in Europa bisher unbekannten Emsigkeit! Onkel Meinhard, der geistige Schöpfer des werdenden architektonischen Kunstwerkes, nahm sich in seinem gelbgrünen verschossenen Flaus wie ein gebietender Feldherr aus. Arnold, in Hemdsärmeln, den zerdrückten Filz heroisch auf den Locken und die Maurerkelle in der Hand, arbeitete mit einer Thatkraft, um die Herakles bei Ausführung seiner zwölf Aufgaben ihn beneidet haben würde. Und die jungen Regierungsbauführer standen ebensowenig zurück wie die bunt zusammengewürfelte Schar der Gesellen und Handlanger, die im hellen Spaß an der Sache einen Eifer entwickelten, als wenn es dem lohnendsten Accord gegolten hätte.

So geschah denn das „Wunder“: am Donnerstagnachmittag stand die einstöckige „Villa“ nach wohlwollender Auffassung „fertig“ da. Aber es war ein überaus scheußliches Wunder geworden. Die jungen Bauführer lachten darüber, bis ihnen die Thränen aus den Augen liefen. Bei dem ganz oberflächlichen Plan, bei der bunten Vermengung der verschiedensten Baubestandtheile, bei der geringen Zahl von Thüren und Fenstern und der Fülle wenig brauchbarer oder fehlerhafter Ornamente hatte nothwendigerweise

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_662.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2023)