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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

vierjähriges Mädchen jubelnd hervorgestürzt. „Papa, Papa! Wir essen heute Eierkuchen, und morgen besucht uns Onkel Meinhard!“

„So? Das sind ja ausgezeichnete Nachrichten! Bist Du auch artig gewesen, dicke Toni?“ Und sein eifrig bejahendes Töchterchen an der Hand führend, betritt Arnold das Haus. Alles ist hier klein, aber wohnlich. Die inneren Spuren des übereilten Baues sind ausgebessert, und von Außen schützt die Pappe vortrefflich.

Im behaglich ausgestatteten Wohnzimmer steht ein Klavier, dessen blanke Politur dem früheren Arnoldschen nichts nachgiebt.

„Nun, Schatz, was machst Du? Schläft der Junge noch?“ fragt Arnold seine Frau.

„Freilich! Geh’, schau ihn Dir an – wie ein Borsdorfer Apfel sieht er aus! Pappelfeld ist zu einem wahren Luftkurort für ihn geworden.“

„Ein Glück, daß wir herausgezogen sind, gelt, Magda? Und jetzt hab’ ich zwei Neuigkeiten für Dich im Sack.“

„Und?“

„Erstens ist der Pistor gestorben; er hat eine Million hinterlassen. Seit er den Prozeß gegen uns verlor, ist es mit seiner Gesundheit bergab gegangen.“

„Ach! Darüber kann ich – der Himmel verzeih’ mir – nicht allzu betrübt sein, Eduard. Hoffentlich erweckt Deine zweite Neuigkeit aber angenehmere Gefühle.“

„Zweites bekomme ich den Bau der Nazarethkirche! Onkel Meinhard werde ich mit heranziehen, selbstverständlich!“

„Herrlich!“ jubelte Magda.

„Ja, siehst Du, und wenn die Grundstücke so weiter steigen, werden wir noch einmal steinreiche Leute und ich baue hier nebenan die ‚Villa Magda‘!“

„Schön, Herzensschatz! Vorläufig bin ich übrigens ganz damit zufrieden, in unserem lieben verachteten Häuschen wohnen zu können. Wenn wir aber je einmal ausziehen, erhält es der Onkel Meinhard – der ist der einzige, der es zu schätzen weiß!“

„Einverstanden, Magda! Lieber Gott – Weib, Kinder, ein eigenes Haus und dann eine solche Nachbarschaft, was könnte sich der Mensch auf Erden noch mehr wünschen!“

Aus dem Nebenzimmer erscholl ein urkräftiges Geschrei. „Hurra, der Junge ist wach!“ rief Arnold und eilte hinein, um gleich darauf mit seinem nunmehr beruhigten jüngsten Sprößling wieder aufzutauchen. Er ließ ihn auf dem Arme tanzen, schüttelte die Locken und pfiff dazu: ‚So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage!“

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Da steht nun das wunderliche häßliche Ding an der Pappelfelder Straße, geliebt von seinen heutigen Bewohnern, geliebt auch in Zukunft, denn sein einstiger Besitzer ist ja der Onkel Meinhard, der es geschaffen hat. Uebrigens ist der fremde Name „Borghese“ dem Volksmund nicht geläufig geworden. Wer Interesse an der Familie Arnold genommen hat und ihr seine freundschaftliche Antheilnahme auszudrücken wünscht, der schreibe lieber auf die Adresse: „Villa Pappschachtel“. Dann weiß der Briefträger Bescheid.


Originalgestalten der heimischen Vogelwelt.[1]

Thiercharakterzeichnungen von Adolf und Karl Müller.
10.0Zwerge.
a.0Der Zaunkönig.


Einer unserer volksthümlichsten Vögel ist der Zaunkönig, der uns nicht bloß im Schatten der Wälder an Bächen, in Schluchten und an Teichen, in Feldgehölzen und an umbuschten Rainen unmittelbar am Walde begegnet, sondern auch in unseren Feldgärten, in den Zäunen und Hütten unserer Hausgärten, in Oekonomiegebäuden und im heimlichen Düster der epheumrankten Burgmauern. Die Ebene wie das Gebirge, die Einsamkeit wie die bewegten Städte und Dörfer beherbergen den kleinen, kecken, ewig munteren, launigen Gesellen, der eine charakteristische Figur bildet durch das hochgetragene, im Affekt über die senkrechte Stellung emporgerichtete Schwänzchen und seine häufig wiederholten Bücklinge, welche bei lebhafter Erregung von dem allbekannten Laute „Zerr“ begleitet sind. Wer hat den gewandten Burschen nicht schon durch Gestrüpp, aufgeschichtetes Holz, durch Wirrsale aller Art, durch Löcher und Mauerritzen geschickt hindurchschlüpfen sehen, wer fand sich nicht gleichsam geneckt von dem kleinen Schelme, der wie ein versteckspielender Knabe bald hier bald dort hervorlugt, rasch verschwindet und auf geheimen Wege in einiger Entfernung wieder zum Vorschein kommt! Da sitzt das Kerlchen, der Kleinste unter dem europäischen Vogelgeschlecht, auf der Oberseite in einem Kleide von dunkelrostbraunem Grunde, über den schwärzliche Querstreifen laufen, mit bräunlich-weißer Brust und Bauchmitte, am übrigen Körper hellroth-grau oder blaßroth-gelblich gefärbt, überall aber mit verloschenen dunklen Querlinien, namentlich auf den Seiten des Leibes und an den unteren Schwanzdecken, versehen. Nimmermüde Unruhe und rastloses Suchen nach Nahrung bilden einen Grundzug seines Wesens. Jetzt fliegt das Zwerglein einer andern Stelle zu. Seine kurzen runden Flügel lassen es nur schwerfällig in schnurrendem Flug dicht am Boden hin weiterflattern. Selten erhebt sich sein Flug zu den oberen Baumkronen, nur die Minne treibt es zur Höhe.

Schon im Februar scheint das kleine Herzchen ein Vorgefühl von Lenz und Liebe zu verspüren, denn wir hören an sonnenhellen Tagen, selbst mitunter bei Schnee, den männlichen Zaunkönig vom hohen Dachfirst aus sein hübsches Kanarienvogelliedchen in verkürzter Ausgabe vortragen, wobei sich das Schnäbelchen dem leuchtende Himmel zurichtet. Kommt aber erst der März, dann nimmt der Zwergkönig öfter den hohen Thron ein und wirbt mit größerer Kunstentfaltung, mit höflicheren Verbeugungen und schmeichelnderem Gebahren um die tiefer und bescheidener sich haltende Gefährtin. Das verliebte Hähnchen bietet einen wahrhaft possierlichen Anblick. Bolzenartig aufgeblasen, scheinbar flügellahm, zitternd, mit aufgerichtetem Schnabel liegt es gleichsam flehend dem Gegenstand seiner Wünsche gegenüber und stößt unter Zuckungen seine Sehnsuchtslaute aus. Zur Zeit der Minne beobachtet man bei dem Männchen eine eigenthümliche Beschäftigung. Es baut sich besondere Wohnungen, die theils unvollendet bleiben, theils mehr ausgeführt und sehr fest gefügt erscheinen. Wir haben solche ganz von grünem Moos verfertigte Nester sehr häufig gefunden und niemals ein Polster darin entdeckt; auch sind sie kleiner als die spätere Familienwohnung. Offenbar handelt es sich hier nur um wohlige Spielereien des Männchens, die sofort aufhören, wenn das Weibchen in der Stille ein Plätzchen zur Anlegung des Familiennestes erwählt und den Gefährten zur Theilnahme zugezogen hat. Nun gehört die ganze Thätigkeit des geschäftigen Zwergpaares der wichtigen Bauarbeit.

Der Zaunkönig ist ein recht vielseitiger Baukünstler. Wir wissen von einem Neste zu erzählen, welches einzig und allein aus Platanenblättern und Spinnweben bestand und an die senkrechte Wand einer Brücke mit Vogelspeichel als einzigem Bindemittel fest angeheftet war. Ein anderes Nest sahen wir an dem Rain einer alten Steinkaute (Steinbruch) kunstvoll angebracht. Als ovaler Beutel hing es an der wurzelreichen Lehm- und Steinwand. Die Hauptstoffe bildete Moos mit durchgeflochtenen Halmen und Bastschnüren. Inwendig fanden wir ein Polster von hellgelben Hahnenfedern. Verhältnißmäßig groß wie das Nest sind auch die 6 bis 8 rundlichen gelblich-weißen Eier, die mit kleinen rothbraunen und blutrothen Pünktchen bedeckt sind. Eigenthümlich ist die Art und Weise, wie die Eltern zuweilen die ihnen zu lange im Neste verbleibenden Jungen herausnöthigen; sie zerren an ihnen herum, bis die Kleinen nach und nach dem Neste entfliehen und nun irgendwo in der Nähe desselben eine anmuthige Familie mit den Alten

  1. Vergl. „Die Gartenlaube“ 1893, Nr. 25.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 664. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_664.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2023)