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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

bilden. Nach mehreren Wochen wandelt schon jedes für sich seine eigenen Wege.

Durch alle Altersstufen besteht ihre Nahrung aus Kerbthieren, die sie von Blättern, Zweigen, vom Boden, aus Mauerspalten, Löchern, unter Rindenblättchen hervor erbeuten. Namentlich lieben die Zaunkönige Spinnen; die ihnen ja auch in ihren Schlupfwinkeln in Menge begegnen. Als treue Anhänger bestimmter Oertlichkeiten wiederholen sie täglich fast dieselbe Wanderung. An den Meisenzügen nehmen sie einen gewissen Antheil, indem sie ihnen in der Tiefe, an Hecken und Büsche sich haltend, eine Zeit lang folgen, dann aber hinter den Weitereilenden zurückbleiben. Auch im Herbste suchen sie gerne die Gesellschaft beerenfressender Vögel, aber doch immer nur so, daß sie in sehr losem Verband mit ihnen stehen.

Der Zaunkönig bleibt uns auch im Winter treu, und erfreut uns durch seine Beweglichkeit und Heiterkeit, die ihn nicht verlassen trotz aller Ungunst der Witterung.

Zaunkönige beim Nest.
Nach einer Zeichnung von Adolf Müller.

b. Das Goldhähnchen.

Auch die Goldhähnchen sind Zwerge, denn ihre Größe stimmt mit der des Zaunkönigs überein. Auch sie sind schlanke niedliche Geschöpfchen welche von der Natur mit der Unruhe und Flinkheit der Meisen ausgestattet sind, bald oben, bald unten auf den Bäumen alles durchsuchen und in Stellungen jeglicher Art sich sehen lassen. Das Nadelholz wird immer von ihnen bevorzugt, hauptsächlich die Fichte. Selbst in Gärten ober Parkanlagen nistet das Goldhähnchen, wenn ihm ein Fichtenwäldchen oder auch nur einzelne Fichtenbäume sich bieten. Man kennt zwei Arten, die sich äußerlich durch die Färbung unterscheiden.

Das „safranköpfige Goldhähnchen“ hat eine zeisiggrüne Oberseite, olivenbräunlich-weiße Schläfen und Halsseiten, hellere Augenbrauenstreifen und eine ebenfalls etwas heller gefärbte Stirne. Inmitten des Scheitels läuft ein safrangelber, nach den Seiten ins Hochgelbe übergehender und endlich schmal schwarz eingefaßter Streifen. Auf den Flügeln treten zwei helle Binden hervor.

Das „feuerköpfige Goldhähnchen“ trägt oberseitig ein dunkleres und lebhafteres Grün, ist an den Halsseiten orangegelb, an der Stirn rostbraun, hat einen schwärzlich-grauen Augenrand sowie einen gleichfarbigen Strich durch das Auge und unter demselben. Der feuerrothe Scheitelstreifen, welcher auf beiden Seiten in Feuergelb übergeht, wird von dem Vögelchen in der Erregung gelüftet und bietet dann in seiner Entfaltung und Verbreiterung einen entzückenden Anblick. Beide Arten unterscheiden sich auch noch insofern, als die erste im Winter bei uns bleibt, die zweite nicht.

Während der Minnezeit leben die Goldhähnchen abgeschlossen zu Paaren. Betritt man im Frühling ein Fichtenwäldchen, worin sie herbergen, so vernimmt man die feinen Locktöne und vor allem die trillerartige Gesangsstrophe des feuerköpfigen Hähnchens. Die Vögelchen geben sich voll und ganz dem Genuß der heiteren Sonnentage hin und umtrippeln mit gesträubten Kopffedern, hängenden Flügeln und hochaufgerichtetem Oberkörper die Gefährtinnen. Oefters entsteht auch Eifersucht, Zank und Streit unter den verliebten Hähnchen, welche sich begegnen. Ihre Bewegungen sind immer gewandt, flink, anmuthig. Allerliebst sieht es aus, wenn ein Vögelchen einem Insekt bis in die Tiefe, ja bis auf den Boden nacheilt, um es zu ergreifen, ober wenn es in der Luft vor dem Zweige flatternd stehen bleibt. Geschickt wissen die Zwerge sich im Gezweig zu decken ober unter dasselbe zu flüchten. Unaufhörlich, vom frühen Morgen bis zum späten Abend, sind sie thätig im Erspähen und Vertilgen der Nahrung, die in Mücken, Fliegen, Käferchen, glatten Räupchen, Spinnen, sowie in Kerbthiereiern und -Puppen besteht. Tannen-, Fichten- und Kiefernsamen verschmähen sie jedoch auch nicht; wenn diese Samen im Winter das safranköpfige Goldhähnchen nicht ernährten, so würde es sicherlich ein Opfer der strengen Jahreszeit werden.

Auch diese Zwerge sind wie die Zaunkönige geschickte Baumeister, ihre Nester sind so kunstvoll gebildet, daß wir an ihnen nicht vorübergehen dürfen.

In der Regel bringt das Goldhähnchen das Nest an dem Zweig eines Nadelbaumes, zuweilen jedoch auch an dem einer Esche an. Dabei verfährt das Weibchen, welches die Bauarbeit allein übernimmt, sehr vorsorglich, indem es zur Deckung der Wohnung überhängende Zweige benützt. Um den Anfang zu dem Hängeneste zu machen, zieht es einige benachbarte Zweige zusammen und umschlingt sie mit Moos und Raupengespinsten. Nun begiebt es sich an die dicken Aeste und Stämme der Bäume, um das Baummoos loszuzerren, oder es läßt sich auf dem sonst streng gemiedenen Boden nieder, um sich Erdmoos anzueignen, oder es verschmäht beiderlei Moos und wählt nur Flechten von den Bäumen aus, um sie zu einem ballförmigen Neste zu verwirken. Um die Stoffe miteinander zu einem festen Gefüge zu verbinden, wendet die Künstlerin wiederum Gespinste von Raupen und Spinnen in Menge an, außerdem aber den zu dieser Zeit reichlich vorhandenen Speichel seiner angeschwollenen Drüsen. Blätter

und dürre Grasstengel findet man häufig unter das Moos

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 665. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_665.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2017)