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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Entrüstung den Vorwurf gemacht, daß sie etwas viel Bier trinke. Die weißen Wagen auf dem Münchener Bahnhofe beweisen am schlagendsten die Ungerechtigkeit dieser Anschuldigung; denn sie zeigen aufs allerdeutlichste, daß der größte Theil des in München gesottenen Bieres fortbefördert wird, um in Berlin und Paris, in Wien und New-York und Adelaide – und weiß Gott wo noch getrunken zu werden. Mag man immerhin deshalb den Münchener Brauern den Vorwurf machen, daß sie durch die Güte ihres Stoffes die ganze Kulturwelt zur Trunksucht verleiten: uns Münchenern darf man sicherlich nicht vorwerfen, daß wir unser Bier allein tränken oder daß wir es der durstigen ausländischen Menschheit nicht vergönnten. Im Gegentheile. Der Münchener ist so wenig selbstsüchtig, daß es ihn nur mit freudigem Stolze erfüllt, wenn er den Ausländern recht viel zum Trinken schicken kann.

Nach dieser Abschweisung in das Innere des Münchener Bahnhofes müssen wir aber unsere Wanderung durch die Straßen fortsetzen.

Odeonsplatz.     

Siegesthor.
Partie aus dem Englischen Garten.

Wenn wir zu diesem Zwecke zunächst nach dem Karlsplatze zurückkehren, so eröffnet sich uns eine Art von Panorama. Wir haben da einen weiten malerisch gegliederten Horizont. In nördlicher Richtung sehen wir hinter dem noch im Entstehen begriffenen prächtigen Justizpalaste den luftigen Bau des Glaspalastes ragen, in welchem die Ausstellungen der Münchener Künstlergenossenschaft ihre Stätte haben. Wenden wir uns diesem nordwestlichen Stadtviertel zu, so gelangen wir in stille, breite, vornehme Straßen. Hier herrscht keinerlei Geschäftsleben mehr. Am vollständigsten erscheint dasselbe abgeschlossen in der Arcisstraße und Briennerstraße, in der Umgebung des ruhigen sonnigen Karolinenplatzes. Da sind überall zwischen und hinter den palastähnlichen Häusern kleinere und größere Gärten; man gewinnt nothwendig den Eindruck, daß hier nicht dem Erwerb nachgegangen, sondern in behaglicher Abgeschlossenheit gelebt wird. Wirklich großartig und friedlich wird dieser Eindruck aber auf dem Königsplatze. Von Sonnenlicht und Einsamkeit umfluthet, von hohen Baumkronen umrauscht, glänzen hinter breiten Rasenflächen Marmorbauten im reinsten hellenischen Stile: rechts drüben die Glyptothek, jene mustergültige Sammlung antiker Bildwerke, links das Kunstausstellungsgebäude und in der Mitte der mächtige Thorbau der Propyläen. Der Königsplatz ist wirklich ein königlicher Platz, wo niemand wohnt, wo kein Handel und Erwerb getrieben wird, wo keine Pferdebahn rollt, kaum ein Wagen rasselt. Hier herrscht ewige Sonntagsstille. Mag sie auch für einen an Leben und Lärm gewöhnten Großstädter etwas allzu Feierliches, fast Verwunschenes haben: wer sie mit vollen Zügen einathmet, fühlt, wie traumhaft wohlthätig sie sich auf die Nerven legt.

Aehnlich, wenn auch nicht ganz so harmonisch ist der etwas weiter nördlich gelegene Platz, wo die alte und neue Pinakothek, jene berühmten Gemäldesammlungen, und das Polytechnikum stehen. Hier wirkt der Eindruck der Ruhe nicht so vollständig; denn an zwei Seiten des Platzes wohnen Menschen und an der dritten Seite ist sogar eine Kaserne, aus deren Hof den ganzen lieben Tag Taktschritt und Kommandorufe schallen; auch die Pferdebahn bringt einige Unruhe. Aber mit Vergnügen schweift doch das Auge hier über weite Räume hin; man fühlt sich nicht so beengt, so gedrückt wie in den Straßen des Geschäftslebens, sondern erfrischt durch weite Grasfluren, durch Buschwerk und Baumschatten. Der ganze Stadttheil, dessen Mittelpunkt dieser Platz bildet, hat nur einen gewissen einförmigen Charakter wegen der durchaus geradlinigen und rechtwinkeligen Anlage seiner Straßen. Das ist ja praktisch, aber recht langweilig wie alles Viereckige.

Wenn man von dem unvergleichlichen Königsplatz in östlicher Richtung weiter wandert, kommt man zuerst nach dem kleineren, kreisrunden Karolinenplatze. Auch er ist sonntäglich still, von schweigenden Palästen umgeben. In seiner Mitte ragt ein eherner Obelisk, dem Andenken der dreißigtausend Bayern gewidmet, die einst mit dem korsischen Eroberer nach Rußland ziehen mußten und dort in eisigen Wüsten einen frühen Tod fanden.

Wir nähern uns wieder belebteren Stadttheilen. Vorüber an den röthlichen Mauern des „Wittelsbacher Palastes“, der zur Linken seine gothischen Thürme hinter einem Kastanienhain erhebt, kommen wir zum Schillerdenkmal; gleich darauf zum Wittelsbacher Platze, wo die Reiterstatue Herzog Maximilians I., ein Meisterwerk von Thorwaldsen, uns ernst entgegen schaut; und dann hinaus auf den Odeonsplatz.

Hier sind wir an einem der elegantesten und zugleich belebtesten Punkte der Stadt. Mit der volkreichen und lebhaften Theatinerstraße, welche zum Marienplatze führt, treffen hier die aristokratische Briennerstraße, die Residenzstraße und die breite majestätische Ludwigstraße zusammen. Auf den Odeonsplatz schaut ein Flügel des königlichen Schlosses von einer Seite her; von der anderen Seite beherrschen ihn die barocken Thürme der Theatinerkirche; die dritte Seite wird von der Feldherrnhalle eingenommen; die vierte öffnet sich nach der Ludwigstraße zu und läßt hier einen weiten Ausblick durch stattliche Häusermassen.

Der Odeonsplatz und die Ludwigstraße tragen den Grundzug

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 678. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_678.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)