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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

von einer Rückkehr zu dieser ursprünglichen Natur gesprochen und von einer solchen Rückkehr etwas Gutes erwartet werden. Nun hat aber die Forschung von allem diesem das gerade Gegentheil bewiesen. Wir sind nicht rückwärts, sondern vorwärts geschritten und müssen auf diesem Wege immer weiter schreiten, wenn wir nicht unserer eigentlichen Bestimmung auf Erden untreu werden wollen. Wenn daher die sogenannte „Naturheilkunde“ behauptet, daß sie den eigentlichen Fortschritt bedeute, während die wissenschaftliche Medizin konservativ und reaktionär sei, so liegt darin ebensoviel Falschheit wie ungerechtfertigte Ueberhebung. Ihre Anhänger berauben sich willkürlich und ohne jeden vernünftigen Grund einer großen Menge von erprobten Hilfsmitteln der medizinischen Kunst, während sie selbst mit der Dürftigkeit und Einförmigkeit ihres Heilapparats in den Augen des gebildeten Arztes ein therapeutisches Jammerbild darbietet. Von einer überlegten Auswahl unter den verschiedenen zu Gebote stehenden Heilmitteln ist da keine Rede; ebensowenig von dem sogenannten „Individualisieren“, d. h. von dem Bestreben, jeden einzelnen Fall nach seiner besonderen Beschaffenheit zu beurtheilen, worin ja eine Hauptkunst des tüchtigen Arztes besteht. Alles wird mehr oder weniger über einen Kamm geschoren.

Auch mit der Diagnose, der Erkennung des Sitzes und des Wesens der Krankheit, ohne welche eine richtige Krankenbehandlung gar nicht denkbar ist, wird es nicht genau genommen, da ja das Heilverfahren bei den verschiedensten Zuständen im wesentlichen stets das gleiche und einfache ist. Daß das kalte Wasser, welches die „Panacee“, das Allheilmittel der Naturärzte bildet, ein vorzügliches Heilmittel ist, war und ist den wissenschaftlichen Aerzten seit Menschengedenken bekannt. Sie wenden es überall an, wo es nach rationellen Grundsätzen angezeigt ist, aber nicht dort, wo es mehr Schaden als Nutzen stiften kann, oder nicht in irrationaler Weise. Der rationelle Arzt sucht die Natur nicht zu übermeistern oder zu zwingen, weil er weiß, daß sie sich nicht zwingen läßt, sondern er sucht sie einfach in ihren Heilbestrebungen zu stützen, zu lenken und zu leiten oder da, wo er dieses nicht vermag, dem Kranken sein Leiden möglichst zu erleichtern. Ein wirklicher Gegensatz zwischen Naturarzt und Berufsarzt, oder, um es ganz allgemein auszudrücken, zwischen Natur und Kunst in ärztlicher Beziehung besteht daher gar nicht. Jeder Berufsarzt ist zugleich Naturarzt, und jeder Naturarzt sollte zugleich wissenschaftlich gebildeter Berufsarzt sein. Wer einem wissenschaftlich nicht gebildeten Laien oder Pfuscher, wie es deren leider jetzt so viele giebt, das kostbare Gut seiner Gesundheit anvertraut, wird es in der Regel nur zu seinem eignen Schaden thun. Und wer mit nackten Füßen im nassen Grase oder in Schnee und Eis umherläuft, wird von Glück sagen können, wenn er ohne Erkältung oder sonstigen Schaden davonkommt. Die Natur hat die Thiere mit Pelz und Federn versehen, um sie gegen die Unbilden des Klimas und der Witterung zu schützen. Dem Menschen hat sie seinen Verstand gegeben, welcher ihn lehrt, Nützliches unb Schädliches zu unterscheiden und mit Hilfe der Kunst in Klimaten und unter Verhältnissen auszudauern, welche ihm sonst durch die Ungunst der Natur verschlossen bleiben müßten. Wer sich dem nicht fügen und lieber wie ein Wilder leben will, begebe sich nach jenen tropischen Gegenden, in denen einstmals die Wiege des Menschengeschlechtes gestanden haben mag, und lasse dort seinen natürlichen oder urgeschichtlichen Neigungen die Zügel schießen. Ob er sich dabei glücklicher oder wohler fühlen wird als im Schoße der Civilisation und künstlich geregelter Lebensumstände, mag er an sich selbst erfahren!



Blätter & Blüthen.

Die Kaisertage in Metz. (Zu dem Bilde S. 685.) Jeden Spätsommer und jeden Herbst erleben wir das Schauspiel, daß irgend ein Theil unseres deutschen Vaterlands förmlich von Waffen starrt, als stünde er mitten im Kriege. Die „Kaisermanöver“ pflegen ja meist gewaltige Truppenmassen zu vereinigen, und es liegt eben darin ihr Werth, daß sie den höheren Führern die sonst fehlende Gelegenheit geben, wirklich einmal praktisch mit großen Massen im Felde und nicht bloß theoretisch auf der Karte zu operieren. Der wesentliche praktische Unterschied dieser Manöver großen Stils von denen bescheideneren Umfangs macht sich vielleicht noch mehr geltend bei den Leitern der Verwaltung und Verpflegung, die eigentlich dann erst recht ihre Leistungsfähigkeit erproben können, wenn einmal die Zehntausend auf engem Raum sich drängen, bewegen und verschieben. Und so ist es nur natürlich, daß alljährlich die Kaisermanöver einen Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit bei Laien und Fachmännern bilden; finden sie vollends auf reichsländischem Gebiete statt, dann umgiebt sie ein besonders ernsthafter Nimbus; auf diesem blutgetränkten Boden bekommt die militärische Uebung gleichsam das Gepräge einer Warnung, als wollte sie sagen: „Nehm’ sich in acht, wer wider dieses heiß erstrittene Land verbotene Gelüste trägt!“

Dieses Jahr waren es u. a. die Ebenen und Hügel Lothringens, die von dem Massenschritt der Regimenter, von dem Donner der Kanonen, von den Hufen der Kavalleriebrigaden widerhallten – zum Theil dieselben Striche, die in den entscheidenden Augusttagen des Jahres 1870 dieselbe Musik in grausam ernster Tonart hatten vernehmen müssen. Kaiser Wilhelm II. war mit dem Kronprinzen von Italien und einem reichen fürstlichen Gefolge gekommen, um den Manövern des XVI. gegen das VIII. Corps persönlich anzuwohnen und sich von der Kriegstüchtigkeit dieser Heerestheile mit eigenen Augen zu überzeugen.

Am Vormittag des 3. September, eines Sonntags, war er von Trier her eingetroffen und hatte alsbald die in und um Metz liegenden Truppen, etwa 8000 Mann, zum Feldgottesdienst um sich versammelt, nach dessen Beendigung er unter dem Geläute sämtlicher Glocken an der Spitze seiner Krieger in die festlich geschmückte Stadt einzog. Man weiß, wie herzlich hierbei der Kaiser von den Bewohnern empfangen wurde, und man hat mit Freuden daraus die Zuversicht geschöpft, daß in den Herzen der Lothringer allmählich ein Umschwung sich vollzogen hat, der die so lange von der alten Heimath getrennten Brüder auch innerlich uns näher bringt. Und was die begeisterten Zurufe der Metzer verriethen, das sprach jener 85jährige Bürgermeister von Ogy-Puche ein paar Stunden später zwar in französischer Sprache, aber doch mit klaren Worten aus, als er den Kaiser auf der Fahrt nach Schloß Urville der Treue und Anhänglichkeit der lothringischen Bevölkerung versicherte. Der Kaiser seinerseits hatte auch für die Metzer eine hübsche Ueberraschung bereit. Er überreichte dem Bürgermeister, der ihn beim Einritt in die Stadt im Namen der Bewohner willkommen hieß, eine prächtige goldene Amtskette, indem er so die Stadt in ihrem bürgerlichen Vertreter ehrte.

Nach dem Empfange durch den Bürgermeister führte der Kaiser die Truppen noch bis zur Esplanade, jenem prächtigen Platze im Südosten der Stadt, auf dem seit Jahresfrist das Reiterstandbild seines Großvaters sich erhebt. Zu Füßen dieses Denkmals nahm er mit seinen fürstlichen Begleitern den Vorbeimarsch der Truppen ab, und, wie er es in seinem Trinkspruch am folgenden Tage aussprach, „haben ihm die ernsten Blicke der Mannschaften gezeigt, wie tief ergriffen sie von dem Momente waren, vor sich die alten Höhen, mit ihren Festen gen Himmel ragend, und ringsherum ein blutgedüngter historischer Boden“.

E. Werners Romane. Den illustrierten Gesamtausgaben der Werke von E. Marlitt und W. Heimburg reiht sich nunmehr auch eine solche der Romane und Novellen von E. Werner an. Seit unter den Stürmen des Kriegsjahres 1870 E. Werner zum ersten Mal mit ihrer Novelle „Hermann“ in den Spalten der „Gartenlaube“ erschien, ist sie eine treue und eifrige Mitarbeiterin unseres Blattes geblieben und hat in ihrem Theile nicht wenig dazu beigetragen, ihm den breiten Boden im deutschen Volke zu erobern und zu erhalten, dessen es sich erfreut. So ist denn auch zu hoffen, daß die Gesamtausgabe der Werke von E. Werner in den Kreisen der Gartenlaubeleser und darüber hinaus einem freundlichen Willkomm begegnen werde, um so mehr, als sie im Schmucke trefflicher Illustrationen – von denselben Künstlern, die auch die Erzählungen der Marlitt und Heimburg mit Bildern ausgestattet haben – hervortritt. Sie beginnt mit dem glänzenden Romane „Glück auf!“ Möge dieser Titel auch für die Aufnahme der neuen Ausgabe von guter Vorbedeutung sein!

Getreiderost und frühe Saat. Nicht nur schlechte Witterung, übermäßige Dürre und Nässe, beeinträchtigen unsere Ernte, die Kulturpflanzen auf unseren Feldern werden auch von zahllosen Scharen winziger Feinde bedroht, die das Korn vernichten, und unermeßlich ist der Schaden, welchen zum Beispiel allein die Rostpilze den Landwirthen in allen Welttheilen zufügen. In den weizenbauenden australischen Kolonien hat man neuerdings statistische Erhebungen über die Höhe dieses Schadens angestellt, und das Ergebniß war, daß der Ernteausfall in Folge des Weizenrostes im Laufe eines einzigen Jahres auf einen Werth von 50 Millionen Mark geschätzt werden mußte. Nicht geringer ist der Schaden, welchen der Getreiderost auf Roggen-, Weizen-, Gerste- und Haberfeldern dem deutschen Landwirth zufügt. Es ist erwiesen, daß wir einen großen Theil des fremden Getreides, das wir einführen müssen, entbehren könnten, wenn es uns gelänge, den jährlichen Tribut, den die Rostpilze von uns fordern, wenigstens erheblich herabzumindern.

Vor drei Jahren wurde nun in Wien ein internationaler Ausschuß gewählt, der den Pflanzenschutz, die Bekämpfung der Pflanzenkrankheiten fördern soll. Er eröffnete auch eine Sammelforschung über den Getreiderost,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 687. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_687.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2023)