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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

besonders an einem sonnigen Maitage des Jahres 1766 in einem größeren Dorfe der Pfalz.

Nicht nur die ganze Einwohnerschaft war auf den Beinen, sondern auch aus weiter Entfernung hatten Neugierige oder Auswanderungslustige sich aufgemacht. Als wäre es Markttag, so wälzte sich eine immer dichter werdende Menge nach dem Platze, welchen in herkömmlicher Weise die Kirche, das Rathhaus und die beiden Gasthäuser des Ortes einrahmten.

In diesen letzteren haben die Agenten ihr Generalquartier aufgeschlagen.

Vor dem „Raben“ zieht ein großes, bunt auf Leinwand gemaltes Bild die Blicke auf sich. Es stellt einen lebensgroßen Krieger in reicher Uniform dar, die Brust mit Orden geschmückt, den blanken Säbel in der Hand; herausfordernd schweifen seine Augen in die Ferne, während zu seinen Füßen ein Indianer Federn auf dem Haupte und einen Ring in der Nase, den Staub leckt. In langen Buchstaben steht darunter:

„Auf, edle Deutsche, auf! Setzt an mit frischem Muth!
Marschiert nur hurtig vor: des Königs Sach’ steht gut!“

Vorsichtshalber bescheidener, begnügte sich der Agent für Spanien, welcher in der „Reichskrone“ hauste, mit einem in Wasserfarben kolorierten Plakate. Da hob sich auf tiefblauem Himmel gar schmuck eine Reihe blendendweißer Häuschen ab; untermischt mit blitzgrünen Palmen, an welchen als Früchte schön rothe Pomeranzen hingen.

Unter die stauenden Bauern mischten sich hochgewachsene, schnurrbärtige Männer, in grünem Kollett und Pelzkragen, mit Lederhosen, gewaltigem Pallasch und noch gewaltigeren Stiefeln; sie zogen bald den, bald jenen ins Wirthshaus, stießen an und bezahlten, aus wohlgerundeten Börsen vollwichtige goldene Souveräns hervorziehend, „denn ihre Mittel erlaubten ihnen das, sowie jedem, der sich unter ihre Fahne rangieren wollte“!

Ruhiger, verschwiegener trieben es einige Gehilfen des Uebersiedlungsagenten, echte Schwabenkinder, trotz ihrer spanischen Tracht mit treuherzigen blauen Augen und rothen Backen. Auch sie unterstützten ihre lockenden Beschreibungen des angebotenen Dorados, indem sie zu rechter Zeit gut spanische Dublonen an den Tag brachten.

Ihre Meister, ein jeder an seinem Orte, hielten Reden an langen Tischen, inmitten der Honoratioren des Dorfes und der umliegenden Gegend.

„Da sehe ich nun wirklich nicht ein,“ – also erhob der Mann im „Raben“ seine heisere Stimme, unter buschigen Brauen rothblitzende Aeuglein rollend – „wie eine geehrte Jungmannschaft zwischen dem spanischen Phantasten und meinen reellen, von einer hohen Obrigkeit privilegierten und gut geheißenen Offerten zaudern kann! So ist die Sache, nicht wahr? Hier zu Hause habt Ihr nichts mehr zu beißen und zu brechen; sind zu viel Leut’ für die hungrigen Jahre, zu viel Arme für die kärgliche Ernte, zu viel Mäuler für den Brei. Was wollt Ihr also an Euerer Scholle kleben? Was nützt’s? Wozu bringt Ihr’s? Hinaus! Hinaus in die Welt! Versucht das Glück, nehmt Fortuna am Schopf! Da kommt sie eben vorbei! Verpaßt sie nicht!“

„Hm!“ meinte einer, „was Krieg heißen will, haben wir gesehen; es sitzen noch an allen Landstraßen Krüppel, denen Fortuna zum Stelzfuß geholfen hat und zum Bettelsack. Danke schönstens!“

„Ei Du – hätte bald etwas gesagt. Alles mit Unterschied, Freund! Es giebt Dienst und Dienst. Der gewaltige, großmächtige, überreiche König von England und so ein Landgräflein oder gar geringerer Potentat, das läßt sich nicht zusammenzählen. Da ist Geld vorhanden, schwere Souveräns, daß es in den Taschen nur so klingelt!“

„– Und ist auch nicht ein so traurig Dabeisein wie hier,“ fuhr er nach einer Pause triumphierend fort. „Da kannst Du’s zu was Rechtem bringen! Soll ich Dir mit ein paar Exempeln von Beispielen kommen? Ist mir recht. Putz’ die Ohren aus, Freund! Da haben wir den gestrengen Herrn General-Brigadier Sullivan. Was war er seines Zeichens? Ein Hosenmacher war er, und kommandiert jetzt ein Regiment – ich sag Dir nur so viel! – Da ist der Oberst Brökter, von der leichten Infanterie; hat seine Karriere als Diener begonnen, bevor er bei den Britten Handgeld nahm. Oberst Viereck hielt eine Schenke – und so könnte ich noch viele nennen; denn da steht der Weg jedem offen, da wird nicht nach dem Geburtsscheine gefragt. da gilt kein Herr ‚von‘ oder Herr ‚zu‘, da gilt die Tüchtigkeit, die Tüchtigkeit allein. Wer was ist, kann was werden. Nun, wer fühlt etwas in sich?“

„Ja ja,“ unterbrach ihn ein anderer „das ist alles schön, ist aber gar weit über das Meer hin! Da kommt nicht jeder an, der abfährt.“

„Ei daß Dich der Kuckuck!“ entgegnete der Werber. „Es ist ein Wunder, daß Ihr Euch so vor dem Versaufen fürchtet und doch selber so gerne sauft! Sind der Deutschen ihr Lebenlang mehr im Weine ertrunken als im Wasser! Da ist der Feldwebel Zacharias. Komm her, Zacharias“ – damit winkte er einen der uniformierten Gehilfen herbei – „stell Dich neben mich, daß man Dich sieht! Der hat schon dreimal den Weg gemacht, hin und her, macht sechs Reisen, und ist ihm nichts geschehen. Seht, der war ein Tagelöhner in Wafelingen, könnt nach ihm fragen, man wird sich seiner wohl noch erinnern, und jetzt ist er der Erste nach dem Hauptmann, sozusagen die Seele der Kompagnie, hat sich soviel erspart, daß er den schönsten Hof kaufen könnte – zeig’ Deinen Beutel, Zacharias! – wird’s aber nicht thun, hat Ehre im Leibe, bleibt bei Fortuna. Wird’s wohl bis zum Obersten bringen, wenn nicht weiter, und Euch alle mit dem Rücken ansehn!“

„Das ist was anderes als Spanisch-Brötchen!“ setzte er hinzu, einen giftigen Blick durchs Fenster nach der „Reichskrone“ werfend. „Trompeter, blast einen Tusch! Rabenwirth, die Flaschen sind leer!“

Und so fuhr er fort mit Anpreisung und Bewirthung, und an Zuhörern und trinkenden Gästen fehlte es ihm nicht.

Um aber der Wahrheit die Ehre zu geben, müssen wir eingestehn, daß die schönen Worte, die Uniformen, die rasselnden Trommeln und schmetternden Trompeten nur wenig verfingen. Einige heruntergekommene Subjekte ließen sich willig finden; die ernstere Bauernschaft ergötzte sich wohl an dem unterhaltsamen Wesen und auch am Weine; aber nach gehabtem Gaudium verzog sie sich hinüber zur „Reichskrone“, wo der Oberstlieutenant Thürriegel in eigener Person wirkte.

Er sprach soeben:

„Was ich geschrieben und nun auch mündlich erklärt, das will ich noch einmal wiederholen. Also merkt auf! Jede Haushaltung bekommt umsonst – umsonst! – ein Los von achttausend spanischen Vares lang – macht ebensoviel Schritte – auf dreitausend breit, Wo ist hier ein Hof, der sich damit vergleichen läßt? Und nicht etwa Land, wo mehr Steine wachsen als andere Früchte, wo an jedem Kornhalm der Schweiß eines Tagewerkes klebt, sozusagen! Nein, das ist spanische Erde! Da gedeiht alles schier von selbst und doppelt und dreifach. Was wird von Euch dafür verlangt? Nichts als guter Wille und kräftige Arme. Das Gouvernement liefert den Viehstand, liefert das Saatkorn; da stehn auch schon die schmucken Häuschen, nicht so Mistlöcher wie hier zu Lande, da habt Ihr Euch nur hineinzusetzen. Sobald sechstausend beisammen sind – denn die Sache ist groß angelegt, soll gleich recht angehn und nicht so stückweise, wobei nichts herauskommt – so beginnt der neue Staat, gewissermaßen ein Neu-Deutschland, aber unter blauem Himmel und ewigem Sonnenschein. Keine Abgaben, die ersten Jahre wenigstens. Deutsche bleibt Ihr auch dort, bleibt schön unter Euch, wählt selber Eure Vorstände, Eure Seelsorger. Hier verkommt Ihr bei Kleie und saurem Most, dort sind Hammelkeulen und feuriger Wein das Ordinäre. Ist kein blauer Dunst, den ich Euch vormache; wozu würde es mir dienen? Ist alles verbrieft und besiegelt, mit Seiner Majestät des Königs Karl III. eigenhändiger Unterschrift. Kann die Cedula nicht einem jeden unter die Nase halten – könnte sie ja auch nicht ein jeder lesen – steht übrigens Wort für Wort in dem Büchlein, welches Eure Aeltesten in Händen haben.“

„Wie ist’s denn aber an dem,“ fragte ein Gemeindevorsteher, „daß Spaniens Monarch Fremde ins Land ruft? Ist der Spanier selbst zu bequem oder zu vornehm, sein Land zu bebauen?“

„Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen! Die Spanier, Freund, das sind eine eigene Art Hühner. Das herrliche Land, womit sie Gott gesegnet, hat sie verwöhnt. Sie lungern lieber herum, liegen im Schatten, träumen, als daß sie Hand anlegen. Sonst die besten Menschen der Welt. ‚A la disposicion de Usted,‘ sagen sie gleich, wenn Du was rühmst, ‚nimm’s, wenn’s Dir gefällt.‘ Aber eben faul, unendlich faul! Lassen lieber andere sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_694.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2023)