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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


„Um meinetwillen!“

Novelle von Marie Bernhard.
 (Schluß.)

Dem Professor war mit einem Mal kläglich zumuth. Einen einzigen raschen Seitenblick hatte er auf den Husarenoffizier geworfen, aber der hatte genügt, um ihm aufs neue die Ueberzeugung zu geben, daß Steinhausen wirklich einer der schönsten Männer sei, die ihm je vor Augen gekommen waren. Und Annaliese mit ihrem schönheitsdurstigen Empfinden! Sie hatte freilich dies Bild auch daheim stets zu Gesicht bekommen, aber wenn ihr Verehrer ihr nun einen so offenkundigen Beweis seiner Gefühle gab, indem er ihr bis in diesen abgelegenen nordischen Winkel folgte – konnte diese Thatsache nicht doch, trotz allem, was vorgefallen war, ihr Herz rühren? Wenn er ihr nun schwor, Erna von Torsten sei ganz und gar ausgelöscht aus seinem Herzen, er habe überwunden, und sie, Annaliese, sei sein einziges Heil auf Erden . . . ob sie dann ihm nicht dennoch Hoffnung ließ, ihn, wenn auch nicht sofort erhörte, so doch auf spätere Zeiten vertröstete? Gregory hatte es so oft sagen hören, daß jeder Mann schließlich jedes Mädchen erobern könne, vorausgesetzt, er lasse es an zäher Beharrlichkeit nicht fehlen und verstehe es, sie bei ihren Schwächen richtig zu fassen . . . konnte sich dieser Ausspruch nicht am Ende auch hier bewahrheiten? Und wenn er sich das zuversichtliche Gesicht seiner Tante vergegenwärtigte und ihre stets wiederholten Worte: „Sie bekommt ihn! Verlaß’ Dich auf mich – sie bekommt ihn!“ dann schien ihm diese schreckliche Möglichkeit schon um ein gutes Stück nähergerückt.

Annaliese ihrerseits war ganz und gar nicht mit sich im Zweifel, welche Antwort sie dem Offizier auf seine Frage geben müsse, aber aufgeregt war sie darum doch. Ihr weibliches Empfinden war peinlich berührt. Sie mußte die volle Wahrheit sagen, das stand fest, aber wie schwer würde ihr das fallen! Sie war dieser unangenehmen Aussprache auf hundert Wegen ausgewichen, war bis hierher gegangen, um sie zu vermeiden – und nun mußte es dennoch sein! Sie mußte einem Mann von Ehrgefühl die Mittheilung machen: „Ich habe ein Gespräch zwischen Dir und Deiner Schwester belauscht, habe erfahren, daß Du nicht mich, sondern eine andere liebst, daß Du, mit der Liebe zu dieser andern im Herzen, um mich warbst, weil ich reich bin und einflußreiche Verwandte besitze – es widerstrebt mir natürlich, um solcher Gründe willen gewählt zu werden, und das emporkeimende Wohlgefallen, das ich für Dich empfand, hast Du ein für allemal mit eigener Hand vernichtet.“ – Ja, so würde sie reden müssen . . . aber wie peinvoll war das! Mußte es denn wirklich sein? War dies der einzige Weg, den sie einschlagen konnte? Gab es keinen andern?

Und wie sie geängstigt das dachte und mechanisch die Figuren der Polonaise ausführte – die Damen hatten sich inzwischen von den Herren getrennt und vereinigten sich jetzt wieder mit ihnen – flammte es plötzlich wie ein Blitz der Erkenntniß in ihr auf; sie wußte einen Ausweg, hatte ihn gefunden aus der Tiefe ihres Herzens heraus – und sie reichte Paul Gregory, der ihr eben entgegentrat, mit einem so leuchtenden, glückseligen Aufblick die Hand, daß es ihm, der tief in seine trübsinnigen Betrachtungen eingesponnen war, förmlich schwindelte und er leise und athemlos fragte: „Was ist nun wieder geschehen, Annaliese?“

„Zeichen und Wunder!“ gab sie erröthend zurück, und nach einem kurzen Zaudern setzte sie hinzu: „Ich sage Ihnen alles – ich hoffe, ich werde Ihnen alles sagen können! Für jetzt nur eine Bitte: bleiben Sie beständig in meiner Nähe, lassen Sie es nicht dazu kommen, daß Steinhausen ein einziges Wort unter vier Augen mit mir wechselt, wir können das unauffällig machen, ich will gleichfalls das meinige dazu thun. Wollen Sie?

„Wie können Sie fragen! Sie sollten doch wissen, das ich zu allem zu haben bin, was Sie von mir verlangen!“

„Wirklich? Zu allem? Ohne Vorbehalt?“

Gregory stutzte. Sie fragte das mit so eigenthümlicher Betonung. „Falls Sie mich nicht verbannen – ohne Vorbehalt!“

„Nein ich verbanne Sie nicht.“

„Sind alle Ihre Tänze besetzt Annaliese?“

„Alle! Denken Sie sich! Ist das nicht wunderbar?“

„Nicht im geringsten!“

„Ich bitte Sie – ich bin hier ganz fremd, bin angezogen wie ein Aschenbrödel –“

„Die war ein Prinzeßchen, und das sind Sie auch, ob in Seide oder Baumwolle!“

„Zu komisch, wenn Sie eine Schmeichelei sagen! Sehen Sie, wie freundlich uns meine gute Pensionsmutter zunickt! Sie ist vergnügt, alle ihre Kinder tanzen, sie legt Ehre mit uns ein. Wie schön alles hier ist! Schade, schade, das diese Königsberger Zeit nun bald zu Ende geht! Wenn Steinhausen berichtet, wie die Sachen hier stehen, muß ich heim. Er wird ohnedies mein ganzes Inkognito gefährden, denn er hat hier natürlich Kameraden, und die dürfte er leicht über mich und meine Verhältnisse ins Klare setzen!“

„Ein wunderschöner Mensch, dieser Husarenlieutenant!“

„Steinhausen? Ja, er ist bildhübsch!“

Das kam so natürlich und unbefangen heraus, als wenn Annaliese den Apoll von Belvedere bewunderte. Paul beobachtete sie scharf von der Seite, sie merkte es und nickte ihm lächelnd zu.

Die Polonaise war beendet, der Professor brachte seine Tänzerin an ihren Platz und pflanzte sich wie eine Schildwache hinter ihr auf. Die jungen Mädchen steckten die Köpfe zusammen und zischelten, es gab natürlich die wichtigsten Dinge zu besprechen.

„Gott, Annaliese,“ sagte Luise Degen, „hast Du den himmlischen Husaren gesehen, der dort drüben stand, ohne zu tanzen? Ein entzückender Mensch! Was mag der hier wollen? Blaue Husaren giebt es ja hier gar nicht – da, jetzt kommt er quer über den Saal – nein, der Gang und das Gesicht! Es sieht beinahe so aus, als ob er hierher zu uns käme – das wäre einfach überwältigend!“

Das „Ueberwältigende“ geschah; der schöne Mann blieb dicht vor dem „Pensionat Claassen“ stehen, nahm die Hacken zusammen und verneigte sich tief.

„Gnädiges Fräulein werden hoffentlich die Güte haben, sich eines alten Bekannten zu erinnern und ihn willkommen zu heißen,“ sagte er zu Annaliese von Guttenberg.

„Ganz gewiß, Herr von Steinhausen,“ erwiderte das junge Mädchen mit unbefangener Freundlichkeit. „Willkommen in Königsberg! Sie gestatten, das ich Sie vorstelle: Lieutenant von Steinhausen – Frau Oberlehrer Claassen, meine verehrte Pensionsmutter, Fräulein von Herzen, Fräulein von Laßt, Fräulein Degen, meine Pensionsgenossinnien – Herr Professor Gregory ... die Herren kennen wohl einander.“

„Bedaure, kann mich nicht entsinnen!“ sagte der Lieutenant von oben herab.

„Bedaure ebenfalls!“ entgegnete Gregory in trockenem Ton.

„Baroneß scheinen gar nicht von meinem Erscheinen hier überrascht zu sein,“ nahm Steinhausen von neuem das Wort.

„Wie sollte ich! Ich sah Sie ja während der Polonaise drüben an der Säule stehen und hatte Zeit, mich in die Thatsache Ihres Hierseins zu finden.“

„Und dieselbe hoffentlich richtig zu deuten!“ fiel er mit Betonung ein.

Annaliese hielt es für gut, diese Bemerkung zu überhören. „Wie geht es denn Großmama?“ fragte sie lebhaft.

„Ich danke – Excellenz befinden sich wohl und haben mir“ – wieder mit Betonung „verschiedene private Aufträge an das gnädige Fräulein mitgegeben, die treulichst auszurichten ich hoffentlich bald Gelegenheit finden werde. – Darf ich um einen Tanz bitten?“

„Ich fürchte, ich habe keinen mehr übrig – bitte, Gevatter, reichen Sie mir einmal meine Tanzkarte, Sie haben sie ja in Gewahrsam. Da, überzeugen Sie sich selbst, Herr von Steinhausen: alles vergeben!“

„Sollte nicht Herr Professor Gregory, dessen Namen ich hier mehrfach vermerkt finde, zu Gunsten eines weithergereisten alten Bekannten des gnädigen Fräuleins auf einen Tanz gütigst verzichten?“ fragte Steinhausen höflich.

„Ich muß bedauern!“ entgegnete Gregory kühl und stand so steif wie der steinerne Gast hinter Annaliesens Stuhl. „Ich habe die gleiche weite Reise hinter mir, nehme das gleiche Recht alter Bekanntschaft in Anspruch wie Herr von Steinhausen und weiß die seltene Gunst, ein Tänzer der Baroneß Guttenberg zu sein, viel zu hoch zu schätzen, um irgend eines meiner glücklich errungenen Rechte auf einen anderen zu übertragen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_699.jpg&oldid=- (Version vom 19.8.2022)