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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

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Sein Minister.

Novelle von E. Merk.

Wer ist die junge Dame in Weiß – jene dort mit den rothen Anemonen im blonden Haar?“ fragte der eben angekommene Assessor Emil Wienburg den ihm befreundeten Rechtsanwalt Rotte, mit dem er vor dem Tanzplatz stand und die Gesellschaft überblickte.

Sie waren beide Gäste auf dem Künstlerfest, das in einem Buchenwalde, nahe bei der Stadt abgehalten wurde. Ein heiteres Bild! Die jungen Maler in ihren schmucken glänzenden Kostümen, in ihren Ritterpanzern und Sturmhauben, auf denen die Sonne flimmerte, oder im straff sich anschmiegenden Jagdanzug mit wallender Feder auf dem Barett, und dazwischen die modernen Frauengestalten in hellen luftigen Kleidern: Mittelalter und neunzehntes Jahrhundert in wunderlichem Gemisch. Und über all den bunten Menschengruppen das Goldgrün junger Buchenäste, das Blau eines sonnigen Maientags.

Rechtsanwalt Rotte hatte den Zwicker aufgesetzt, seine Augen aber waren so vielen hübschen bekannten Gesichtern begegnet, daß er nicht sofort Antwort gab, bis ihm der Assessor mit leiser Ungeduld die Hand auf den Arm legte: „Dorthin müssen Sie sehen – nach rechts! Eben spricht sie mit ein paar jungen Mädchen. Sie ragt in ihrer stolzen Schönheit über die zierlichen Puppengestalten der beiden Dämchen so sehr empor, daß sie auch Ihnen ins Auge fallen muß.“

Rotte folgte dem Blick. „Wie – die kennen Sie nicht, Wienburg? Das ist stark! Es ist Fräulein Herwald, die Tochter des vielgenannten Kabinettsekretärs und Günstlings des Königs.“

„Ah! Der muß ich mich vorstellen lassen!“ rief Emil Wienburg eifrig.

„Diesen Gefallen kann ich Ihnen thun. Sie war mit meiner Schwester in der Pension, daher bin ich ihr näher bekannt. Aber sie wird nicht nach Ihrem Geschmack sein, Wienburg. Sie ist gar nicht kokett, gar nicht lustig. Ein ernstes Kind, mit einem Hang zur Schwärmerei. Freilich, ich glaube, Sie gehören zu den klugen Leuten, die der Tochter den Hof machen, wenn sie sich beim Vater einschmeicheln wollen. Na, Herwald ist jetzt der einflußreichste Mann im Lande, und wer weiß –“

„Machen Sie nicht so viel Umschweife, Rotte, sondern kommen Sie! Ich möchte noch einen Tanz von dem Mädchen erobern!“ Mit diesen Worten zog der Assessor den Rechtsanwalt in das Gewühl.

Wienburg hatte ein hübsches gefälliges Gesicht und ausdrucksvolle Augen. Er besaß eine stattliche Größe und war mit ausgesuchter Eleganz gekleidet, ohne stutzerhaft zu erscheinen. Sein blonder Schnurrbart, sein helles Haar verriethen die häufige Pflege des Friseurs. Während er nun an den Tischen vorüberschritt, grüßte er aufs verbindlichste bald rechts, bald links, hier mit einem Lächeln und einem Aufleuchten der Augen, dort mit tiefer Ehrerbietung. Er hatte überall Bekannte, und Höflichkeit gegen jedermann war sein oberster Grundsatz. Bald machte er mit feierlicher Umständlichkeit einer alten Dame Platz, bald trat er bescheiden vor einem ergrauten Würdenträger zur Seite. Er fand auch im Vorübergehen Zeit, ein paar jungen Mädchen, die ihn mit koketten Blicken anschauten, einige schmeichelhafte Worte zuzuflüstern.

Endlich stand er vor der jungen Dame im weißen Kleide, die er kennenlernen wollte. Fräulein Herwald war eine ungewohnliche Erscheinung; eine blonde Juno, trotz aller jugendlichen Schlankheit von stolzem Wuchs, Ihr Kopf mit dem gewellten Haar und dem weichen Oval des Gesichts, der geraden feinen Nase und dem schön gewölbten Mund mußte jeden Bildhauer begeistern. Dabei hatte sie liebe warme Kinderaugen.

„Fräulein Dora, mein Freund wünscht, Ihnen vorgestellt zu werden,“ sagte Rotte nach einer kurzen Begrüßung und nannte die Namen.

Emil verneigte sich tief. „Ich freue mich, gnädiges Fräulein, endlich das Vergnügen zu haben,“ begann er mit seinem einschmeichelnden Lächeln, „nachdem ich Ihnen so oft auf der Straße begegnet bin. Sie werden sich freilich kaum erinnern!“

„O doch! Wenn ich aus der englischen Stunde kam, hat sich mein Weg häufig mit dem Ihrigen gekreuzt.“

Die Antwort überraschte ihn. Eine andere Dame würde sicher geleugnet haben, daß sie ihn bemerkt habe. Er fühlte eine gewisse Unsicherheit vor dem ernsten jungen Gesicht, vielleicht nur, weil sie nicht wie die anderen Mädchen zu ihm aufblicken mußte, weil ihre klaren blauen Augen ihm in so gerader Linie gegenüberstanden. Und zugleich empfand er auch ein zwingendes Verlangen, auf dies Mädchen Eindruck zu machen.

Er drückte sein Bedauern aus, daß er nicht schon am Morgen dem Feste habe beiwohnen können, und der Blick, der die Worte begleitete, schien zu sagen: es schmerzt mich nur, weil ich dadurch kostbare Stunden in Deiner Gesellschaft versäumte.

Dora erzählte lebhaft, als wollte sie eine Befangenheit fortplaudern, von dem Festzug der jungen Künstler, die, den Herold voran, am Morgen durch den Wald geritten waren. „Man glaubte sich in eine ferne Vergangenheit versetzt,“ schloß sie. „Dazu diese großartige Landschaft, ein Frühlingsmorgen und blauer Himmel, ein majestätischer Fluß – es war ein Bild aus einer schöneren Welt!“

Emil lenkte das Gespräch auf historische Erinnerungen, auf die Rolle der Geschichte in der Dichtung, und Doras Wangen rötheten sich vor Begeisterung, als sie von ihren bewunderten Dichtern sprach. Groß und glänzend begegneten ihre Augen den beredten Blicken des Assessors.

Dieser ward Doras Mutter, einer stillen Dame, und deren am gleichen Tische sitzenden Bekannten vorgestellt und fand auch sofort Gelegenheit, sich dienstfertig zu erweisen, indem er aus der bereitstehenden Bowle den duftenden Maitrank in die Gläser füllte; bald schwebte das süße Aroma des Waldmeisters berauschend durch die Luft. Aber Wienburg hielt es nicht lange aus in dem gesetzten und, wie er sich innerlich gestand, ziemlich langweiligen Kreise. Er erbat und erhielt die Erlaubniß, Dora zu dem mit Laubgewinden umzogenen Tanzplatz zu führen, wo sich helles Mädchenlachen mit den lockenden Tönen der Musik mischte.

Dora war zwar noch nicht viel auf Bällen gewesen, aber doch eine geübte Tänzerin. Bisher hatte sie bei dem Wiegen im Walzertakt nur die lustige Bewegung froh empfunden; heute fühlte sie zum ersten Male, daß ein Mann den Arm um sie geschlungen hielt – sie fühlte es mit einem süßen Bangen. Und sie wurde eine wundersame Empfindung den ganzen Abend nicht mehr los, denn die Blicke des Assessors kehrten, auch wenn er mit anderen Damen tanzte, immer wieder zu ihr zurück. Sie war wie berauscht; ein poetischer Glanz lag für sie über dem Feste.

Dora war erzogen worden wie viele Mädchen. Man hatte sie ängstlich vor jeder Kenntniß des wirklichen Lebens zurückgehalten, aber ihr nicht verwehrt, Roman um Roman zu verschlingen und sich daraus ein Bild des Lebens zu gestalten, in dem alles von Gefühl überströmte, in dem die Helden von unerschütterlicher Treue waren und die Liebe die Sonne bedeutete, um die alle Gedanken, alle Worte, alle Handlungen der Menschen kreisten. Schon aus Neugier mußte sie deshalb mit Ungeduld auf den Augenblick warten, da auch sie von dem Glanz dieser Sonne berührt und ihr Dasein mit einem goldenen Strahlenkranz des Glücks umwoben würde. Ja, es hatte sie ernstlich beunruhigt, daß sie zwanzig Jahre alt geworden war, ohne jemals ein rascheres Schlagen des Herzens verspürt zu haben. Wie anders war das heute! Dieser Maientag mit dem köstlichen Morgen im Walde hatte ihre Phantasie wunderbar beflügelt. Es war ihr, als könnte dieses Fest, das wie ein Märchen begonnen hatte, nicht nüchtern enden, als müßte nach all den großen Eindrücken noch ein größter, unvergeßlicher kommen. Und das erwartete Wunder kündete sich an, als Emil beim Tanz seinen Arm um sie schlang und ihr tief in die Augen sah. Und dann der Heimweg an seiner Seite! Um zehn Uhr abends war der Sonderzug bestellt, der die Festgäste zur Stadt zurückbefördern sollte. Man hatte bis zur Station eine kleine Strecke zu gehen. Die Musik schmetterte ihre lustigsten Weisen durch den feierlichen, wie aus seinen Nachtträumen erwachenden Wald. Die Fackeln warfen lange rothglühende Streifen über den Moosgrund und die gewaltigen Buchenstämme. Zuweilen rieselte ein ganzes Lichtmeer über die Bäume und die Gestalten zu ihren Füßen, daß man wie geblendet die Augen schloß, und dann wieder ward es plötzlich dunkel und man sah die Sterne zwischen den hohen Wipfeln blitzen. Emil zog dann wohl den Arm des Mädchens fester in den seinigen, damit ihr Fuß nicht über einer Wurzel ausgleite, und seine Stimme hatte einen eigenthümlichen Klang, auch wenn er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 717. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_717.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2023)