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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

die harmlosesten Worte sprach. Dieses Mädchen mit der Gestalt einer Heldin und dem schlichten Wesen eines Kindes bezauberte ihn.

Gesprächsweise nannte Dora den Namen der Generalin Halden.

„Sie kennen die Generalin?“ fragte er lebhaft.

„Ja, ich komme häufig in ihr Haus. Mein Vater, der im allgemeinen nicht dafür ist, daß ich viel in Gesellschaft gehe, gestattet mir diesen Verkehr gerne, da in jenem Kreise viel Musik getrieben wird und diese Anregung mein bißchen Talent in Uebung halten soll.“

„Wie mich das freut, gnädiges Fräulein! Nun kann, nun werde ich Ihnen wieder begegnen! Meine Mutter ist mit der Generalin bekannt, die mich längst aufgefordert hat, sie zu besuchen. Jetzt werde ich’s thun und dankbar sein für jede Einladung.“

Es waren unbedeutende Worte, die er da sprach, seiner Begleiterin aber klangen sie wie schmeichelnde Musik. Sie wiederholte sie sich im stillen wieder und wieder, als sie dann in dem halbdunklen Koupé saß und in einer wonnigen Müdigkeit die Schatten und Lichter draußen mit träumerischen Blicken verfolgte.

Noch spät, als sie einschlief an diesem Abend, sah sie das Aufleuchten seiner Augen, mit dem er ihr beim Abschied auf dem Bahnhof die Hand gedrückt hatte, hörte sie sein leises „Auf Wiedersehen!“

Und dieses Wiedersehen ließ nicht lange auf sich warten. Die Generalin Halden war eine sehr leutselige gastfreundliche Dame. Bedeutend jünger als ihr längst ergrauter, seit Jahren zur Disposition gestellter Gatte, fand sie ihre Befriedigung darin, einen auserlesenen geselligen Kreis in ihrem Hause zu versammeln. An hübschen Damen, die ihrer Einladung gerne Folge leisteten, mangelte es ihr auch niemals, während die Herren sich weniger zahlreich einzustellen pflegten. So begrüßte sie den Assessor, der in jeder Beziehung eine gute Erwerbung für ihren Salon abzugeben versprach, mit größter Zuvorkommenheit, Er durfte bald bei keiner Festlichkeit mehr fehlen, die sie gab, denn er war klug genug, der Dame zu verbergen, daß ihn nur ein sehr persönliches Interesse zu seinen Besuchen veranlasse. Um so besser wußte Dora, daß er nur ihretwegen kam. Sie konnten sich freilich in den nicht sehr ausgedehnten Räumen der Generalin niemals unter vier Augen sprechen, aber Emil fand doch nicht selten Gelegenheit zu einem vielsagenden Händedruck, zu einer Aufmerksamkeit, die nicht gewöhnlich war. Ein junges Mädchen braucht so wenig, um sich von einem Mann, der ihr einmal Eindruck gemacht hat, bestricken zu lassen. Ihre Phantasie dichtet mit – das geringste Zeichen sagt ihr so viel, viel mehr, als der junge Mann ahnt. Hinter jedem seiner Worte kommt für sie ein langer Gedankenstrich, den sie ausfüllt mit Poesie und Begeisterung.

An warmen Sommertagen empfing die Generalin ihre Gäste in ihrem Garten außerhalb der Stadt, und hier, wo man sich freier bewegen konnte, erhaschte Emil zuweilen einen günstigen Augenblick, um von Dora mit vielsagendem Ton eine Blume zu erbitten, die sie angesteckt hatte, und diese dann feierlich in die Brusttasche gleiten zu lassen, oder um ihr ein paar Verse zu überreichen, die er für sie geschrieben – Kindereien für einen nüchternen Menschen, für Dora aber Ereignisse, ganze Kapitel in dem Roman, in dem sie lebte und der sie entzückte.

Meistens pflegte Doras Bruder die Schwester bei der Generalin abzuholen, ein hübscher, etwas leichtsinniger junger Mensch von neunzehn Jahren, der sich die Ritterdienste bei der Schwester nur widerwillig aufnöthigen ließ. Einmal, als diese wieder einen Abend in dem Garten der Generalin zugebracht hatte, wartete sie umsonst auf ihren Begleiter.

„Beunruhigen Sie sich nur nicht, liebe Dora,“ sagte die Generalin, die dem Mädchen sehr zugethan war, „wir kehren ja alle nach der Stadt zurück, und die kurze Wegstrecke von unserer Wohnung bis zu der Ihrigen wird gewiß einer der Herren gerne mit Ihnen gehen.“

„Wenn Fräulein Herwald sich meinem Schutze anvertrauen will, stehe ich mit Vergnügen zu Diensten,“ bemerkte Emil, der die Worte mit angehört hatte. Sein Anerbieten klang nicht wärmer, als die Pflicht der Höflichkeit es erheischte, aber zugleich traf Dora der rasche heiße Strahl, der zuweilen blitzartig aus seinen Augen schoß und ein leidenschaftliches Sehnen zu verrathen schien.

Dora sprach kein Wort, während sie mit der Gesellschaft den Heimweg durch die schöne Sommernacht zurücklegte. In süßem Beben dachte sie an die Minuten des Alleinseins mit ihm, die sie hätte hinausrücken mögen und denen sie doch entgegensah wie einer Schicksalsstunde. Am Hause der Generalin wünschte man sich fröhlich Gute Nacht; ein paar Scherzworte wurden noch gewechselt. Dann trennte man sich und Emil bot Dora mit einer Verbeugung seinen Arm. Die Stimmen der anderen verklangen, es wurde ganz still in der Straße, durch die sie gehen mußten und die auf der einen Seite von den Bäumen des Stadtparkes begrenzt war.

Wie eine undurchdringliche Mauer hatte bisher der gesellschaftliche Zwang zwischen den beiden gestanden. Nun war mit einem Male die Scheidewand gefallen. Kein Wunder, daß sie sich befangen fühlten – freilich aus sehr verschiedenen Gründen. Emil würde zwar keinem anderen vergönnt haben, Dora zu begleiten, aber er hatte dieses Alleinsein auch nicht herbeigewünscht. Er war sich noch viel zu wenig klar über seine Absichten. Die bisherige Tändelei, fast immer in Gegenwart anderer, war ihm recht harmlos erschienen. Glühende Blicke, ein langer Händedruck, die wärmsten Komplimente, das alles verpflichtete ja zu nichts. Jetzt aber mußte er fürchten, zu viel zu sagen, sich mit seinen Worten ernstlich zu verstricken. So gingen sie eine Weile schweigend dahin.

Ein leiser Ostwind hatte sich erhoben und brachte einen Strom von Lindenduft von den blühenden Bäumen des Parkes herüber. Trotz aller Vorsätze fühlte Emil sein Herz stürmischer schlagen, und wie ihm Dora nun mit großen glänzenden Augen ins Gesicht blickte. da kam das heiße Verlangen über ihn, sie an sich zu ziehen. nur eine Sekunde lang diese stolzen Lippen zu küssen. Er vergaß seine Bedenken, vergaß die Zurückhaltung, die er sich eben noch gelobt hatte. „Dora!“ sagte er innig. Zum ersten Male nannte er ihren Vornamen. Er fühlte, wie sie beim Klang seiner Stimme erbebte.

„Wir haben noch so wenig miteinander gesprochen, Dora,“ fuhr er leise fort, „aber ich weiß, wir haben einander verstanden. Nicht wahr, von der ersten Minute an? Jeder Blick mußte Ihnen ja sagen, wie gleichgültig mir stets die anderen waren, wie ich sie fortwünschte, um Ihnen zuzuflüstern, was Sie ja lange wissen – daß Sie mich ganz bezaubert, ganz gefangen genommen haben, um von Ihnen zu hören, daß auch Sie mir gut sind! O, es ist so! Ihre lieben Augen haben es mir verrathen und Ihre Lippen dürfen es nicht mehr verneinen, Sie müssen es mir einmal gestehen – das süße, beglückende Wort!“

Seine Stimme klang berückend; sein schönes Gesicht erschien ihr wie von tausend Liebesflammen durchleuchtet. Sie schaute ihn groß und feierlich an, ergriffen von diesem Augenblick, der ihr der weihevollste ihres Lebens dünkte. „Ja, ich bin Ihnen gut!“ sagte sie einfach, mit vollem gläubigen Vertrauen.

Der tiefe Ernst, mit dem sie die Worte sprach, war ihm peinlich, und er hätte nun gerne eine Wendung gefunden, um dieser Stimmung, mit der das Halbdunkel, der berauschende Duft sie beide umfing, ein Ende zu machen. Aber die Augen des Mädchens, die mit solcher Sehnsucht an ihm hingen, waren stärker als sein Wille. Sie standen nun dicht vor Doras Hause, vor dem Abschied.

„Ich kann nicht so von Ihnen gehen, Dora,“ flüsterte er hastig, „ich kann nicht!“ Sein Arm umfaßte ihre Gestalt; er drückte sie an sich, sein Mund preßte sich gewaltsam, glühend auf ihre Lippen; verzehrend senkte sich sein Blick in den ihrigen. Ihr war’s, als hätten stürmische Wellen sie erfaßt – ein willenloses Untertauchen, Vergehen, Sie sagte kein Wort; ihre Hand zitterte noch mit leisem Druck in der seinigen, dann öffnete sich die Thür des Hauses und sie eilte hinein.

Erst als die Thür hinter ihr ins Schloß gefallen war, kam Dora wieder zu sich. Sie meinte, das Herz müsse ihr zerspringen vor Seligkeit. Nun war sie sein! Ihr Mund glühte noch von dem heiligen Gelöbniß, das er in stummer und doch so beredter Sprache empfangen hatte; durch jede Fiber zitterte das neue Leben, das mit jener Sekunde für sie begonnen hatte, das Leben mit ihm, für ihn. Nun gehörten sie ja zusammen bis zum Tode. „Bis zum Tode!“ Sie sprach es leise vor sich hin und lächelte. Auch das Sterben hatte keine Schrecknisse mehr für sie; es erschien ihr in diesem Augenblick als ein süßes Schwinden aller Sinne, wie sie es eben empfunden hatte unter seinem Kuß.

Sie hätte gern tiefe Nachtruhe im Hause angetroffen, um durch keine Stimme, keinen Laut gestört zu werden, aber im Wohnzimmer brannte noch Licht.

„Der gnädige Herr ist heute ganz unerwartet zurückgekommen,“ sagte die Dienerin mit einer Wichtigkeit, welche verrieth, daß diese Heimkehr ihre Neugier wachgerufen habe.

Dora achtete nicht darauf. Sie trat auch nicht mehr in das Zimmer, in dem die Eltern noch lebhaft sprechend

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 718. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_718.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2023)