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verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 43.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Ein Lieutenant a. D.

Roman von Arthur Zapp.
 (3. Fortsetzung.)
5.

Franz Wagner hatte während des Restes seiner Fahrt auf dem Leiterwagen keine weiteren Gefahren und Abenteuer zu bestehen. Nachdem er sich von dem Bauer in dessen Heimathort verabschiedet hatte, erreichte er in zweistündigem Marsch eine kleine Eisenbahnstation. Niemand fiel es ein, in dem gutgekleideten jungen Mann einen Flüchtling zu vermuthen, und unangefochten gelangte der Deserteur über die holländische Grenze nach Antwerpen.

Aber auch hier gönnte er sich noch keine Rast. Er konnte auf europäischem Boden seiner Freiheit nicht froh werden und so drängte es ihn, kaum daß er die Seestadt erreicht hatte, nach dem Hafen hinaus. Erst wenn der Ocean zwischen ihm und der Heimath lag, erst dann würde er unbesorgt aufathmen im Vollgefühl der Sicherheit!

Die theure Eisenbahnfahrt hatte seinen kleinen Geldvorrath sehr vermindert, und er besaß nicht einmal mehr so viel, um die Seereise nach New York im Zwischendeck zurücklegen zu können. Aber das dämpfte seinen Muth nicht. Er war kräftig und gesund und scheute sich vor keiner Arbeit, es mußte ihm ebenso gut wie manch anderem armen Teufel gelingen, sich die Ueberfahrt durch seiner Hände Arbeit zu verdienen. Und richtig, schon am zweiten Tag hatte er das Glück, auf einem zur Abfahrt bereit liegenden Passagierdampfer als Feuermann ein Unterkommen zu finden. Lohn bewilligte man ihm nicht, nur die freie Ueberfahrt; dazu war die Arbeit schwer, so schwer, wie Franz sie noch nie in seinem Leben kennengelernt hatte. Aber trotz alledem durchströmte ihn während der ganzen Reise ein stilles Glücksgefühl, und wollte ihn wirklich einmal ein Augenblick der Verzagtheit anwandeln, so schützte er sich dagegen durch ein Mittel, dessen Wirkung nie versagte: er dachte an die Tage seiner Haft zurück, vergegenwärtigte sich die unendliche Pein, in die ihn ein sechs Jahre langes Sträflingsleben gestürzt haben würde, und aller Kleinmuth, alle Unlust schwand wie vor einer Zaubermacht dahin. –

Es war ein wundervoller warmer Junimorgen, als das Schiff in den Hafen von New York einfuhr. Franz hatte seine Fronarbeit beendet, er stand auf Deck und betrachtete mit entzückten Blicken


Schnellläufer auf dem Wasser.
Nach einer Originalzeichnung von Fritz Gehrke.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 725. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_725.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)