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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

verstanden, aus diesen kleinen und kleinsten Stückchen geschichtlicher Ueberlieferung deutliche anschauliche Bilder von sonst kaum faßbaren Gebieten des antiken Lebens zu formen – der fünfte Band seiner „Römischen Geschichte“, der lange nach den ersten drei im Jahre 1885 erschien[1] und die Zustände der römischen Provinzen von Cäsar bis auf Diokletian behandelt, ist fast ausschließlich auf solche Zeugnisse gegründet. Schon vor seiner Züricher Lehrthätigkeit und dann während derselben hatte er durch Sammlung der Inschriften aus dem damaligen Königreich Neapel und aus der Schweiz seine Grundsätze an praktischen Proben vorgeführt, und als dann anfangs der sechziger Jahre die Berliner Akademie der Wissenschaften den schon von der Pariser Akademie gefaßten, aber wieder aufgegebenen Plan einer Sammlnug sämtlicher lateinischer Inschriften ins Werk setzte, konnte sie keinen Besseren mit der Leitung betrauen als Mommsen. Auf vierzehn Großfoliobände berechnet – wobei übrigens der sechste, die Inschriften der Stadt Rom enthaltende „Band“ selbst wieder in eine ganze Anzahl von äußerst stattlichen Unterbänden zerfällt – ist das großartige Unternehmen heute noch nicht abgeschlossen. Noch fließt ihm ein wesentlicher Theil von Mommsens erstaunllcher Arbeitskraft zu, und sein Geist lebt in einer wackeren Schar trefflich geschulter Mitarbeiter.

Die römische und deutsche Geschichte fließen an einem Punkte ineinander. Man weiß, wie vom den Tagen Cäsars an die Römer auch hinübergriffen in germanische Lande, man weiß, daß sie ein paar Jahrhunderte lang sich darin seßhaft machten und zugleich ein massenhaftes Einströmen germanischer Elemente in den römischen Reichskörper stattfand. Als nun die Centralleitung der oben von uns erwähnten „Monumenta 6ermaniae historica“ an die Aufgabe kam, die für diese Zeit wichtigen Quellenschriften in neuen mustergültigen Ausgaben ihrer Sammlung einzuverleiben, da war Mommsen derjenige, dem die Oberleitung dieser Abtheilung am besten übertragen wurde; einige der wichtigsten Bände derselben sind von ihm selbst bearbeitet worden. Und als es die Auswahl der Männer galt, welche im Auftrage des Reichs jenes Zeugniß der römischen Herrschaft über den deutschen Südwesten, den sogenannten Limes, einer planmäßigen Erforschung zu unterziehen hatten, da war wiederum Mommsen die erste Autorität, an die man sich wandte. Und dem sechsundsiebzigjährigen Gelehrten ist keine Mühe zu viel; in jugendlicher Frische zieht er trotz Wind und Wetter mit den Streckenkommissaren hinaus, um mit seinem sachkundigen Auge den Spuren des alten Römerwalls nachzuforschen.

Das sind nur ein paar Hauptzüge aus dem wissenschaftlichen Wirken des Gelehrten; ihnen zur Seite geht der weitreichende Einfluß des Lehrers. Wohl hat Mommsens Lehrthätigkeit durch vielfache hauptsächlich im Dienste des großen Inschriftenwerks unternommene Reisen oftmals eine kürzere oder längere Unterbrechung erleiden müssen; trotzdem hat er im Laufe der Jahrzehnte Tausende von Hörern mit seinem Geiste und Wissen aufs tiefste angeregt, und von den heutigen Führern der archäologischen Wissenschaft haben wohl die meisten eine kürzere oder längere Zeit zu seinen Füßen gesessen.

Auf ein reichgesegnetes Leben blickt somit Theodor Mommsen an dem Tage zurück, da er sein fünfzigjähriges Doktorjubiläum feiert, auf ein Leben reich an Arbeit und reich an Erfolgen der edelsten Art. Und noch ist es nicht so weit, daß er bloß rückwärts schauen dürfte; noch ist sein Geist stark und die Riesensumme dessen, was er geleistet, hat ihm nichts von seiner Spannkraft geraubt. Fürwahr, ein ehrwürdiges Kollegium, mit dem Theodor Mommsen an der Berliner Universität und in der Akademie der Wissenschaften zusammenwirkt! Da ist der 79jährige Eduard Zeller, der ebenso alte Ernst Curtius, der 77jährige Rudolf v. Gneist, der 76jährige Heinrich v. Sybel, der 75jährige du Bois-Reymond, der 74jährige Wilhelm Wattenbach, die beiden 72jährigen Virchow und Helmholtz! Und alle diese Männer noch in der Fülle ihrer Kraft, als hätte das Beispiel eines Ranke auch sie gegen jedes Altern gefeit! Mögen sie der deutschen Wissenschaft noch lange erhalten bleiben!

Eine Anzahl der oben genannten Männer haben mit anderen aus dem Reiche, wie Gustav Freytag, Adolf Menzel, Eduard v. Simson, sich zusammengethan und Anregung gegeben zur Sammlung einer „Mommsen-Stiftung“, die dem Gefeierten an seinem Ehrentage überreicht werden soll, damit er nach eigenem Ermessen darüber zur Förderung wissenschaftlicher Zwecke in seinen Arbeitsgebieten verfüge. So würde der Name Mommsens berufen, auch in dieser Form bis in ferne Zukunft befruchtend auf das Studium der klassischen Alterthumswissenschaft zu wirken, wie seine Werke es thun werden. H. E.      


  1. Der 4. Band steht noch aus.

Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Weltausstellungsbriefe aus Chicago.

Von Rudolf Cronau.
VI.
Der Frauenpalast und die Völkerstraße der Midway Plaisance.

In unseren bisherigen Berichten haben wir einer Großmacht nur flüchtig gedacht, durch deren Betheiligung die Kolumbische Weltausstellung ein besonders eigenartiges Gepräge erhalten hat: der Frauen. Auf keiner früheren Weltausstellung hatte man dem schönen Geschlecht eine eigene Abtheilung eingeräumt oder gar mit solchen Kosten einen Palast gebaut. In Chicago erhielten die Frauen zu einem eigenen Heim das schöne Sümmchen von 150000 Dollar bewilligt, und damit schufen sie einen von der 22jährigen Miß Sophia Hayden im Stil der italienischen Renaissance entworfenen Palast, in dem sie zahllose Dinge ausstellten, die ihren Ursprung ausschließlich weiblichen Händen verdanken. Hallen und Säle sind gefüllt mit kostbaren Handarbeiten, an den Wänden hängen zahlreiche von Frauen geschaffene Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Radierungen und Stiche, in einigen Räumen wird die Thätigkeit der Frauen in der Krankenpflege, der Kindererziehung und der Kochkunst veranschaulicht. Auch eine umfangreiche, ausschließlich von Frauen geschriebene Bibliothek ist vorhanden, und in den Sprechsälen werden allerhand Gegenstände erörtert, welche auf die große zeitbewegende „Frauenfrage“ Bezug haben.

Theatralische Vorstellung im javanischen Dorfe.

Leider haben wir nicht die Muße, jetzt den Verhandlungen dort drinnen zu folgen. Wir müssen unsere Schritte weiter lenken und wollen nunmehr in die vielgenannte Völkerstraße der Midway Plaisance einbiegen.

Es war auf der Pariser Weltausstellung des Jahres 1889, daß zum ersten Male der Gedanke angeregt wurde, neben den Erzeugnissen der einzelnen fremden Länder auch die Bevölkerung derselben in ihren Sitten und Gebräuchen, ihren Trachten und Wohnstätten den aus aller Welt herbeiströmenden Besuchern vorzuführen. Die Ausführung dieses Gedankens ließ sich nur in beschränktem Umfang bewerkstelligen, hatte aber trotzdem so großen Erfolg, daß die Leiter der Kolumbischen Weltausstellung sich entschlossen, den Gedabkeb wieder aufzugreifen und in weitestem Sinne auszubilden.

Damit aber der einheitliche Charakter der amtlichen Ausstellungspaläste nicht durch fremdartige Bauten gestört werde, verwies man die buntfarbigen, mannigfaltig gestalteten Tempel und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_748.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2023)