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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Schaustellungen heben wir nur noch das Dorf der Samoaner hervor, die venetianische Glasbläserei, Hagenbecks Menagerie, die mit ihren Vorstellungen in der Thierdressur täglich neue Scharen anlockt, das Goldbergwerk aus Kolorado, das irische Dorf mit seiner Hausindustrie und dem alten Schloße Blarney, in dem sich der berühmte Blarney-Stein befindet, der die eigenthümliche Fähigkeit besitzen soll, jedem, der ihn küßt, unfehlbar die Gabe sprühender Beredsamkeit zu verleihen und unglücklich Liebende zusammenzuführen. –

Noch sind wir bemüht, die tausendfältigen Eindrücke, die wir während unserer Wanderung erhielten, zu ordnen, noch sind wir in Schauen versunken, da theilen sich plötzlich die Menschenmassen. Berittene Sicherheitswächter sprengen auf und nieder, drängen die Neugierigen rechts und links zur Seite und schaffen eine breite Gasse, an deren oberem Ende inmitten der Staubwolken eine eigenartige Karawane erscheint. Die fremden Bewohner der Midway Plaisance haben heute ihren Paradetag und sich zu einem Völkerzug vereinigt, wie ihn eigenartiger noch kein Zeitalter erlebte.

Näher und näher kommt die seltsame Kavalkade, immer deutlicher blitzen aus den Staubmassen die funkelnden Speere, leuchten die kostbaren Gewänder hervor, immer phantastischer klingen die verschiedenen nationalen Melodien – Weisen, die wir nie zuvor gehört.

Da ist die erste Gruppe des Zuges heran: Lappländer sind’s mit Renthieren und Zughunden, geführt von einem Greis, der mit seinem meterlangen schneeweißen Bart wie der leibhaftige Knecht Ruprecht aussieht. Der grellen Sonnengluth ungewohnt, kneifen die Bewohner des hohen Nordens zwinkernd die Augen zusammen; dicke Schweißperlen stehen auf ihren von Pelzmützen beschatteten Stirnen; wie mögen den Leuten die schweren Woll- und Pelzgewänder unter diesem Himmelsstrich unerträglich werden! Da haben’s die Dahomey-Neger, die ihnen hart auf den Fersen folgen, weitaus bequemer. Sie hüllen sich in wenige grellfarbige Tuchstreifen und begnügen sich im übrigen mit buntem Kriegsschmuck. In ihrer Mitte befinden sich einige Dutzend tiefschwarzer Amazonen, die ihre mit gräßlichen Widerhaken versehenen Speere schwingen und dabei jenen schauerlichen Schlachtruf ausstoßen, der in den Wildnissen Guineas die Herzen der französischen Eroberer gar oft erbeben machte.

Bewohner der Nordwestküste von Nordamerika und ihre Totempfähle.

Dicht hinter diesen Barbaren wird in goldenem Tragsessel ein schwarz gekleideter Mann getragen, wohl ein Missionär – doch nein, es ist der Führer oder „Manager“ der chinesischen Schauspielertruppe, die im vollen Schmucke ihrer überaus kostbaren, mit Gold- und Silberstickereien überladenen Seidengewänder erscheint. Einen komischen Eindruck machen einige Mandarinen in altchinesischen Heroenkostümen. Ihre sonderbaren Kopfputze sind mit unendlich langen Federn besteckt; die übermäßig geschminkten Fratzen erhalten durch lang herabwallende Ziegenbärte ein gar zu drolliges Aussehen.

Doch was ist das, was sich hinter diesen Reitern einherwälzt? Etwa ein ungeheurer, mit menschlichen Füßen versehener Heerwurm? Nein, es ist der große Drache, der heute zum ersten Male auf amerikanischem Boden auftritt. Welch eine Ausgeburt der zu abenteuerlichen Extravaganzen so sehr geneigten chinesischen Phantasie! Ein ungeheurer, aus Leinwand und Bambus gefertigter Kopf mit mächtigen Glotzaugen, Bockshörnern, langen Fühlfäden und einer blutrothen Zunge, die in dem mit fürchterlichen Zähnen besetzten Rachen hin und her schlenkert, bewegt sich auf uns zu. An dem dünnen Halse setzt der schier endlose Riesenleib des Scheusals an, dessen Träger, einige Dutzend Chinesen, sich bemühen, das Unthier all die charakteristischen Bewegungen einer Schlange nachahmen zu lassen.

Noch hat sich unsere Verwunderung ob des seltsamen Anblicks nicht gelegt, da werden einige kostbar geputzte chinesische Frauen in goldblinkenden Palankins vorübergetragen, dann kommen braune Bewohner der Sandwichsinseln, hinter denen wieder rothwangige Schönheiten der Bretagne in klappernden Holzpantoffeln einhertrippeln. Voll feierlicher Grandezza ziehen dann einige päpstliche Schweizergardisten auf, die mächtigen Hellebarden geschultert, als folge gleich hinter ihnen der Herr der katholischen Christenheit. Doch es sind nur einige cylinberhutbedeckte und in tadellosen Salonanzügen steckende Japaner, die in der feinen Kalesche stolz einherfahren, sich mit einem umfänglichen japanischen Sonnenschirm beschatten und so recht die Thatsache verdeutlichen, wie scharf im Lande des Sonnenaufgangs uralte heimische Gewohnheiten und die neuesten Errungenschaften abendländischer Kultur nebeneinanderstehen. –

Grasgrüne, mit einer Leier geschmückte Fahnen verkünden jetzt das Nahen der Söhne und Töchter Grün Erins. Die ganze Gruppe ist grün gekleidet, und grün sind selbst die Strümpfe des Tänzers, der nach den Tönen eines Dudelsackes den irländischen Gig mit einer Unermüdlichkeit tanzt, die einer besseren Sache würdig wäre.

Blutrothe, mit dem Halbmond verzierte Fahnen, mit flatternden Roßschweifen versehene Feldzeichen, mit Koransprüchen bestickte Banner, sowie hoch über die Menge hinwegsehende Köpfe von Kamelen und Dromedaren bereiten uns nun auf das Erscheinen der Orientaten vor. So zahlreich ziehen die verschiedensten mohammedanischen Völkerschaften an uns vorüber, daß es ist, als habe sich der ganze Orient von Marokko bis zum Euphrat, vom Goldenen Horn bis zum Blauen Nil auf die Wanderschaft begeben. Da sind Kabylen vom Atlasgebirge, Tunesier und Aegypter, Tuaregs und Tibbus aus der Sahara, Beduinen vom Sinai und aus den Steppen Yemens, Kurden und Armenier, Derwische, Priester und Handelsherren aus Beirut, Smyrna und Damaskus.

Welch ein farbenprächtiger, an die phantastische Märchenwelt von „Tausend und eine Nacht“ erinnernder Aufzug! Da rasen auf weiten, freigelassenen Strecken die Beduinen auf windschnellen Rossen dahin und geben höchst verwegene Kampfspiele zum besten. Meister der Fechtkunst sind auch die ihnen folgenden Mameluken, hagere, sehnige Gestalten, die in alterthümlichen Panzerhemden und stählernen Cirkassierhelmen erscheinen, welch letztere noch denselben Wangenschutz und dieselbe Nasenberge haben, wie sie an Ritterhelmen des 11. Jahrhunderts üblich waren. Das sind die echten Krieger des Orients, dieselben Menschen, die in fanatischem Ansturm einst halb Europa unterwarfen. Blitzschnell lassen sie die Krummsäbel auf die Helme und Rundschilde ihrer Gegner niedersausen, so daß man vermeint, jeden Augenblick müsse einer derselben unter den Schwerthieben zusammenbrechen.

Doch die Kämpfer sind zu gewandt, um sich irgend welchen Schaden zuzufügen und so dürfen wir uns ohne Besorgniß jenen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_751.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2023)