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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Mütze, über deren Schirm ein Messingschild mit der Aufschrift „Conductur“ befestigt war. Die Erscheinung des Fremden überraschte Erwin. Wo hatte er nur dieses Gesicht mit der Schmarre quer über die linke Wange und mit den braunen gutmüthig blickenden Augen bereits gesehen? Ein Gedanke durchzuckte ihn – Schuckmann!

Aber im nächsten Augenblick lächelte er über diese Vermuthung. Unwillkürlich vergegenwärtigte er sich den flotten Dragoneroffizier, der seinerzeit der Löwe der Garnison gewesen war, der schneidigste hübscheste Lieutenant, den man sich denken konnte, der sich einen Viererzug hielt und drei kostbare Reitpferde und in jeder Hinsicht eine Verschwendung trieb, welche alles in Schatten stellte und das väterliche Erbtheil des Offiziers im Betrage von hunderttausend Thalern in zwei Jahren bis auf den letzten Pfennig aufzehrte. Und nun sollte dieser Mann da in der abgetragenen Kleidung, mit dem ungepflegten Vollbart und den braunen Händen der allezeit peinlich elegante Schuckmann sein? Lächerlich!

Erwin erhob sich, um dem Herantretenden seinen Namen zu nennen. Doch er hatte noch nicht den Mund geöffnet, als der Fremde ihm schon beide Hände entgegenstreckte und, während über sein Gesicht ein freudiges Aufleuchten huschte, mit heller Stimme rief: „Wie, Buschenhagen – Sie? Ja sind Sie’s denn wirklich?“

Es war also doch Schuckmann, Erwin erkannte ihn an der Stimme, vermochte aber vor Ueberraschung kein Wort hervorzubringen und konnte seiner Freude nur durch einen Händedruck Ausdruck geben.

„Sitzen!“ sagte Schuckmann herzlich, drückte Erwin auf seinen Stuhl nieder und setzte sich neben ihn. „Wie ich mich freue! Wie geht’s in der Heimath? Was macht Kramm und Werra und was der gute Radewils? Fünf Jahre sind es, daß ich außer aller Verbindung mit drüben bin. Erzählen Sie, Kamerad, erzählen Sie!“

Erwin ließ sich nicht lange nöthigen und kramte von seinen Erlebnissen während der letzten Jahre aus, soviel ihm gerade einfiel. Je mehr er sprach, desto fröhlicher wurde das Gesicht Schuckmanns, der mit voller Seele zuhörte.

„Ja. ja, es war eine tolle Zeit,“ meinte er, als Erwin eine Pause machte, um die trocken gewordene Zunge anzufeuchten, „der Leichtsinn feierte seine Feste. Und was mir die allertollsten Streiche eingab, das war die Bewunderung, die ich obendrein erntete, das respektvolle Staunen, die aufleuchtenden Blicke der Mädchen. Mochte eine Sache auch noch so unsinnig und übermüthig sein – da sie von unsereinem ausging, war sie einfach ‚schneidig‘. Eine verrückte Welt, in der ein Glanz und Nimbus ohnegleicheu von den Epauletten ausstrahlt, in der man den Offizier, ganz abgesehen davon, was er als Mensch werth ist, auf ein alles gewöhnliche Volk überragendes Piedestal stellt! Kein Wunder, daß einem das schließlich in die Krone steigt und man nicht weiß, was vor Uebermuth anstellen!“

„Recht habt Ihr, Schuckmann,“ mischte sich hier der gräfliche Oberkellner ins Gespräch. „Na, hier in Amerika lernt dann unsereiner sich bald bloß noch als Mensch fühlen. Die reine Korrektionsanstalt, dieses Amerika, hol’ mich der Teufel! Da wird man um- und umgekrempelt, und ehe man sich’s versieht, ist man ein anderer, ein neuer Mensch –“

„Ein besserer Mensch!“ rief Schuckmann energisch dazwischen. „Wenigstens ist das meine Meinung trotz alledem und alledem. Mag’s einen auch manchmal hart ankommen, mag mancher von uns kopfüber untertauchen in der Menge der strandenden Existenzen – wer’s aushält und sich durchringt, ist wenigstens ein Mann geworden, ein ganzer Mann, der dem Leben die Stirn bietet und ihm in allen Lagen gewachsen ist, was nicht weniger heißen will, als dem Tod ins Gesicht zu sehen. Darum sage ich“ – der Sprechende stand lebhaft auf und erhob sein Glas – „hoch Amerika! Hip, hip, Hurra!“

Alle sprangen auf, stießen mit Schuckmann an und leerten ihre Gläser, Erwin aber war starr vor Staunen. War das Schuckmann, der flotte, leichtsinnige, tolle Schuckmann, der so sprach? War es möglich, daß ein paar Jahre in einem Menschen eine so völlige Umwandlung vollbringen konnten?

Unterdessen drehte sich Schuckmann zur „Bar“ um und rief dem Wirth zu: „Jedem ein frisches Glas!“

Der Gerufene, eine wohlbeleibte schwerfällige Gestalt in Hemdsärmeln, die bis über die Ellbogen zurückgeschlagen waren, kam gemächlich heran, nahm die Gläser und füllte sie von neuem, „Schuckmann,“ sagte der Reitlehrer lächelnd und strich sich, in Erwartung des frischen Trunkes, behaglich die lang herabwallenden Bartkoteletts, „alle Achtung vor dem Speech, den Sie da losgelassen haben! Wenn Sie ’mal Ihren Posten als Pferdebahnschaffner verlieren, können Sie alle Tage als Pastor Ihr Glück machen. Es kommt Ihnen ein Achtungsschluck.“ Er ergriff sein Glas, das der Wirth eben vor ihn hinstellte, neigte es gegen Schuckmann und trank es bis zur Hälfte aus.

Schuckmann that ihm Bescheid und meinte dann: „Am Ende auch Pastor – warum nicht? In Amerika muß einer in allen Sätteln gerecht sein. Das ist das Schöne hier – wer in einem Beruf Schiffbruch leidet, kann im andern immer wieder obenauf kommen.“

Als die Gläser zum großen Theil von neuem geleert waren, ließ sie Schuckmann abermals füllen, was allgemeines Staunen erregte.

„Hört ’mal, Schuckmann,“ gab Graf Bürker dem allgemeinen Gefühl Ausdruck, „Ihr seid ja so freigebig, als wenn Ihr das große Los gewonnen hättet! Das ist doch sonst nicht Eure Art. Was ist Euch denn heute so Angenehmes begegnet?“

Der Gefragte lächelte vergnügt vor sich hin. „Die Annehmlichkeit ist schon drei Jahre alt,“ entgegnete er und sein Gesicht strahlte. „Heute ist der Geburtstag meines Stammhalters. Ihr kennt den Bengel, Graf, und werdet mir zugeben, daß mein Henry –“

„Der klügste und hübscheste kleine Kerl zwischen dem Stillen und Atlantischen Ocean ist,“ fiel Bürker ein. „Meine Herren“ – er erhob sich – „dies Glas Schuckmann dem Jüngeren, dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten! Er lebe hoch!“

Als die Tischrunde jubelnd eingestimmt und mit dem glücklichen Vater angestoßen hatte, wandte sich Bürker an Erwin, der alles in stummer Berwunderung mit anhörte. „Sie müssen wissen – Kamerad Schuckmann ist der einzige unter uns, der sich den Luxus einer Familie gönnen kann, und wie Sie ihn hier sehen, ist er das Muster eines Gatten und Vaters, ein wahres Prachtstück von einem braven Staatsbürger, dessen höchste Tugend, dessen Leidenschaft das Sparen ist. Staunen Sie: Schuckmann ist Ka–pi–ta–list! Der Mensch hat Geld auf der Bank!“

Die letzten Worte, welche der Graf mit besonderer Betonung und mit komischer Würde ausgerufen hatte, erregten ein lautes Hallo. Der Gefeierte lächelte schmunzelnd vor sich hin.

„Meine Herren,“ begann er, „die Sparsamkeit ist eine Tugend, bei der nur der Anfang schwer ist. Es ist nicht zu sagen, wie viel Ausdauer und Ueberwindung dazu gehört, wieviel Mühe es macht, hundert Dollar zusammenzubringen. Ist aber erst dieses Hundert voll, so geht die Sache von selbst, und Sie glauben gar nicht, welch schönes Bewußtsein es ist, ein paar Dollar auf der Bank zu wissen für den Fall der Noth. Darum sparen, meine Herren, bei Zeiten sparen!“

„Nur keine Predigt, Schuckmann – das ist zu früh!“ rief hier der lustige Nähmaschinenagent. „Sparen ist mir in tiefster Seele zuwider. Ich habe nicht das Zeug dazu. Und zum Henker, ich will’s auch nicht lernen. Wenn man nur immer so viel hat, als man braucht, das genügt! Mister Peter, frische Gläser!“ ...

Es war schon in der dritten Morgenstunde als die Herren endlich aufbrachen. Vor der Thür verabschiedeten sie sich voneinander. Schuckmann aber schob seinen Arm unter den Erwins und fragte: „Wo wohnen Sie?“

„In der Delancy Street.“

„Da gehen wir ein Stück zusammen.“

Schuckmann schien sehr aufgeräumt. Er sprach in einem fort und Erwin hatte nichts zu thun als zuzuhören.

„Sie finden wohl, daß ich mich sehr verändert habe?“

„Allerdings.“

„Das kommt von selbst, wenn man verheirathet und glücklicher Vater ist; Sie glauben nicht, wie das den Menschen ummodelt, wie einem das so ein ganz sonderbares Gefühl der Verantwortlichkeit giebt. Wer Frau und Kind liebhat, dem vergeht die Lust zu Dummheiten und leichtsinnigen Streichen von selbst, ohne daß er nöthig hätte, erst besonders an sich zu arbeiten. Die Hand aufs Herz – es war doch eigentlich recht fades, kindisches Zeug, dem wir drüben gehuldigt haben. Und froh, so recht von Herzen froh ist man dabei auch nicht gewesen. Ich sage Ihnen, jetzt – das ist doch etwas ganz anders. Wenn ich abends zu Hause sitze, meine Frau neben mir – eine niedliche kleine Frau, nicht anspruchsvoll, keine sogenannte ‚höhere Tochter‘, kein Goldfisch, aber gut, herzensgut, einfach und bescheiden – wenn ich des Abends so mit meiner Frau zusammensitze und ihr etwas aus der Zeitung vorlese oder mit ihr plaudere über dies und jenes oder wenn ich meinen Jungen auf den Knien habe und ihn reiten lasse und der Bengel jauchzt und strampelt mit den kurzen drallen Beinchen – ich sage Ihnen, Buschenhagen, das giebt so ein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 758. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_758.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2023)