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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

war, so setzte er sich hin unb schrieb in Ihrem Namen. Und da ist nun diese Antwort gekommen, schon vor drei Tagen.“

Erwin entfaltete hastig den Brief und las die wenigen Zeilen.

„Werther Herr! Herr Schuckmann hat mich auf Sie aufmerksam gemacht, und wenn Ihre Persönlichkeit mir bei näherer Bekanntschaft zusagt und Sie sich auch sonst für den offenen Posten eignen, so möchte ich es wohl mit Ihnen versuchen. Es handelt sich um eine Anstellung als Lehrer des Deutschen an meiner Sprachschule, deren Adresse Sie am Kopfe dieses Briefes finden. Ich erwarte Sie an einem der nächsten Vormittage zwischen 11 und 12 Uhr. Achtungsvoll M. D. Beelitz.“ 

Und am oberen Rande des Briefes stand: „Sprachschule von Beelitz. Madison Squaare New York.“

Enttäuscht ließ Erwin den Kopf sinken. Eine trügerische Hoffnung! Wie konnte er mit seinen oberflächlichen Kenntnissen des Englischen daran denken, sich um diese Stelle zu bewerben! Doch als er jetzt diesem Bedenken Ausdruck gab, da schüttelte die kleine Frau das Haupt und entgegnete eifrig: „Wegen des Englischen brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, Mister Buschenhagen. Englisch wird nicht verlangt, das stand ausdrücklich in der Anzeige.“ Und als er dazu eine ungläubige verwunderte Miene machte, fing sie an, das Zeitungsblatt zu suchen, in dem die Ankündigung gestanden hatte, um ihm das Unglaubliche schwarz auf weiß zu beweisen. Als sie noch damit beschäftigt war, klopfte es an die Flurthür.

„Johnny!“ sagte sie, zu Erwin gewandt, und eilte hinaus. In der nächsten Minute stand Schuckmann dem Freunde gegenüber; sie schüttelten einander herzlich die Hände.

„Endlich! endlich!“ rief Schuckmann, ohne scheinbar Erwins Befangenheit zu bemerken. „Warum sind Sie denn nicht längst gekommen?“

Ein Wink seiner Frau und ein Blick auf die Erscheinung Buschenhagens machten ihn verstummen. Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er dann, den Brief vom Tisch nehmend, fort: „Darf ich? Ich bin doch neugierig, um was es sich eigentlich handelt.“ Und nachdem er das Schreiben überflogen hatte: „Eine Lehrerstellung an einer Sprachschule! Merkwürdig!“

Rasch trat er zur Kommode, suchte einen Augenblick und kehrte mit einem Zeitungsblatt zurück. Eilig durchmusterte er die langen Reihen der Anzeigen. „Da,“ sagte er, mit dem Finger auf eine der Ankündigungen deutend, „lesen Sie selbst!“

Erwin las: „An einen gebildeten jungen Deutschen, der seine Muttersprache dialektfrei spricht und mit der Grammatik derselben vertraut ist, habe ich eine angenehme und dauernde Stellung zu vergeben. Kenntniß des Englischen nicht erforderlich und nicht erwünscht. Meldungen mit genauer Angabe des Bildungsstandes und des früheren Berufes richte man mit der Aufschrift ‚Sprachlehrer‘ an das Bureau der ‚New Yorker Staatszeitung‘.“

Fragend blickte Erwin den Freund an. Dieser zuckte die Achseln. „Wir stehen da einfach vor einem Räthsel, lieber Buschenhagen, und ich schlage vor, daß wir uns gar nicht erst den Kopf zerbrechen, sondern einfach bis morgen warten. Hoffentlich kommen Sie nicht zu spät!“

Libby tischte ihrem in seinem schweren Dienst tüchtig durchfrorenen und ausgehungerten Gatten das Abendbrot auf und verschwand dann in der Küche. Erwin aber schickte sich mit feuchten Augen an, dem Freunde für seine liebevolle Fürsorge zu danken. Doch Schuckmann unterbrach ihn schon bei den ersten Worten.

„Aber, lieber Buschenhagen, was ich da gethan habe, ist doch selbstverständlich. Man freut sich, wenn man einem alten Kameraden zu einer guten Stellung verhelfen kann. Wenn Sie sie nur erst hätten! Im übrigen habe ich noch ein Hühnchen mit Ihnen zu pflücken, Buschenhagen. Ja, ja! Sie haben Ihre Stellung im ‚Atlantic Garden‘ verloren, und anstatt zu uns zu kommen und einfach zu sagen: ‚Schuckmann, so und so geht mir’s!‘ hungern Sie lieber und frieren und ... na, Sie brauchen nicht gleich eine solche Armesündermiene aufzustecken, alter Freund, so oder ähnlich ist’s hier uns allen einmal gegangen. Und weil wir gerade bei diesem Gegenstand sind, so lassen Sie sich’s ein für allemal gesagt sein: wenn Sie je wieder in Noth gerathen und wissen nicht, wovon Sonnabends Ihr Kostgeld zahlen, so warten Sie nicht erst, bis Ihnen das Messer an der Kehle sitzt, sondern reden bei Zeiten ein offenes Wort! Nur keine falsche Scham! Die ist nicht angebracht unter so alten Kameraden! Abgemacht?“

Er reichte Erwin die Hand, die dieser mit beiden Händen hastig umschloß und heftig drückte und immer wieder drückte, während ihm die Augen übergingen. Voll Rührung sah Schuckmann in das schmale, vor innerster Erregung zuckende Gesicht des Freundes, dann machte er sich los und trat rasch an das Bett seines Knaben. Behutsam beugte er sich über ihn und küßte ihn auf die Stirne.

In diesem Augenblick trat Frau Libby wieder ins Zimmer und stellte einen Leuchter auf den Tisch. Ihr Gatte zündete die Kerze an und sagte: „Kommen Sie, Buschenhagen, es ist Zeit! Morgen ist auch noch ein Tag.“ Und als Erwin ein erstauntes Gesicht machte, setzte er hinzu: „Sie schlafen bei uns, natürlich! Freilich, ein Prunkgemach ist’s nicht, das wir Ihnen zur Verfügung stellen können, aber ein schlechter Kerl, der mehr giebt, als er hat!“

Er ging voran, während Erwin, der jede Einrede unterließ, die ja doch nicht ernst gemeint gewesen wäre, der Gattin seines Freundes mit herzlichem Dank die Hand reichte. Sie durchschritten die Küche; von dieser führte eine schmale niedere Thür in eine kleine Kammer, die nur gegen den Flur ein winziges Fenster besaß. Hier hatte Libby in aller Eile mit Hilfe eines überzähligen Strohsackes und einiger Decken und Kissen ein Lager zurechtgemacht. Schuckmann stellte das Licht auf den Holzstuhl, der das ganze Mobiliar des Raumes ausmachte, und sagte: „Gute Nacht, Buschenhagen! Ein Paradebett ist’s nicht, aber ein alter Soldat wie Sie kann schon darauf kampieren. Gute Nacht!“

Noch ein Händedruck und Schuckmann ging. Erwin stand eine Weile da, starr auf die Thür blickend, durch die der Freund verschwunden war, und unwillkürlich beide Hände aufs Herz pressend. Dann fing er an, sich zu entkleiden. Noch war er damit nicht ganz zu Ende gekommen, als ihm schon die Augen zufielen. Todmüde sank er in die Kissen.(Fortsetzung folgt.)     


Asthma.

Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch.

Mehr noch als Speise und Trank ist die Luft uns unentbehrliches Lebensbedürfniß, und schlimmer als jeglicher andere Hunger wird der Lufthunger von uns empfunden. Bekanntlich ist es Aufgabe der Lungen, die atmosphärische sauerstoffreiche und kohlensäurearme Luft dem Organismus zuzuführen und durch den Vorgang der Athmung zu bewirken, daß das Blut mit dem ihm nothwendigen Sauerstoff gesättigt wird. Wenn aus irgend welchem Grunde die Lungen in ihrer Arbeit gehindert sind, so giebt sich eine Reihe von bedrohlichen Beschwerden kund, welche durch den Luftmangel verursacht sind. Solcher Lufthunger bildet auch das Charakteristische jener Anfälle von Athemnoth, welche, plötzlich und unerwartet auftretend, sich zu qualvoller Höhe steigern, nach kürzerer oder längerer Dauer plötzlich wieder verschwinden und eine ernste, zuweilen sogar das Leben bedrohende Erkrankung darstellen – das Asthma.

Wer zum ersten Male einen Asthmaanfall mit ansehen hat, dem haftet das Bild des Jammers noch lange in der Erinnerung, und wer selbst das Unglück hatte, den verzweifelten Kampf um Luft zu ringen, der vergißt diese Stunden gewiß sein Lebelang nimmer. Da wird eine Mutter des Nachts aus dem Schlafe geweckt, ihr Kind sei plötzlich aufgewacht und schwer krank. Sie eilt blitzschnell an das Bettchen. Es sitzt schon aufrecht, das arme, etwa fünf Jahre alte, blondlockige Mädchen. Aber wie verändert sind seine Gesichtszüge! Die höchste Angst malt sich in dem verzerrten Antlitz, seine Farbe ist blaß, die Stirn mit kaltem Schweiße bedeckt, aus den starr aufgerissenen Augen perlen schwere Thränen, die Lippen sind bläulich gefärbt und stöhnende Schmerzensrufe entringen sich ihnen, während die Nasenflügel heftig spielen. Das Halstuch hat das Kindchen abgerissen, und wie es mit zurückgebogenem Kopfe dasitzt, die kleinen Arme auf den Bettrand aufgestützt, sieht man unter dem Nachtkleidchen die Brustmuskeln heftig arbeiten, den Bauch stark eingezogen und hört schon von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 776. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_776.jpg&oldid=- (Version vom 30.1.2023)