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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

von Lese zu Lese sorgfältig bewahrt. Von da ist ein weiter Schritt bis zu der heutigen Vervollkommnung des mechanischen Kelterns, der Centrifuge und der hydraulischen Kraftverwendung; der Most, welcher unsern Künstler begeisterte, ist, wie Figura zeigt, noch unter einem richtigen „Kelterbaum“ älterer, einfacher Bauart herausgeflossen, wie sie im Rheingau noch viel im Gebrauch sind. Sobald der Most unter der Kelter herausfließt, wird sein Zuckergehalt bestimmt; das ist die erste und wichtigste Handhabe zur Beurtheilung des Jahrganges. Meist verwendet man die sogenannte Oechslesche Wage, wie sie der alte Herr und sein Genosse auf unserem Kelterbilde rechts eben handhaben; der Herr hat ein volles Recht, überlegen und selbstbewußt dreinzublicken, denn möglicherweise reicht seine Wage gar nicht: nicht alle Exemplare sind bis auf einen so hohen Zuckergehalt vorgesehen, wie er heuer in den besten rheingauer Lagen erzielt wurde – bis zu 120 Grad Oechsle, durchschnittlich bis zu 90, während das Ergebniß gewöhnlich von 75 bis höchstens 95 schwankt. Von der Kelter kommt der Most zur Gährung in offene Fässer in besonderen, bis zu 14 bis 16 Grad Reaumur erwärmten Gährräumen; je schneller, lebhafter er gährt, um so günstiger gestaltet sich die Hoffnung für den Wein.

Die rothen Weine, deren edelster Vertreter, der Aßmannshäuser, ja ebenfalls dem Rheingau angehört, kommen nicht sogleich zur Kelterung; sie müssen mit den Schalen (Bälgen) gähren, da diese den Farbstoff und zum Theil auch andere beim Rothwein geschätzte Stoffe liefern; Wein, der sogleich aus rothen Trauben gekeltert ist – wie z. B. ein großer Theil des für die rheinischen Schaumweine verwendeten Gewächses – wird weiß, höchstens leicht röthlich. Bei den rothen Trauben ist noch ein besonderes Verfahren nach der Maische zu beachten, das sogenannte Rappsen oder Rebbeln, welches wir auf einem unserer Bilder dargestellt sehen. Der Zweck dieses Verfahrens ist die Entfernung der Tranbenkämme (auch Rappen genannt, daher der Name) von der Maische, weil beim Mitkeltern der Kämme der Wein zu rauh und scharf gerathen könnte. Man bedient sich hierzu eines viereckigen Kastens, dessen Boden von einem scharfen Drahtsiebe mit Maschen von 1½ bis 2 cm im Quadrat gebildet ist. Dieser Siebkasten wird über eine Bütte gestellt, mit der Masse gefüllt und dann so lange hin und her geschüttelt, bis die gereinigte Maische unten durchgefallen ist und die leeren Kämme oben abgehoben werden können. Bei sehr feinen Weinen wird eine ähnliche Vorrichtung zuweilen angewandt, um bereits vor der Maische die reifen Beeren von den Kämmen zu lösen.

Ständchen der Winzer und Winzerinnen.

Es versteht sich, daß beim Keltern mit dem Trunke nicht gekargt wird; denn wie ein alter Winzerspruch sagt:

„So lang der Kelterbaum umgeht,
Darf sich freuen, was drum steht.“

Und nach der Lese giebt es natürlich noch eine besondere Lustbarkeit mit Schmaus, Trunk und Tanz, wo auch die Herrschaft mit ihren Gästen erscheint, das Erntefest des Weines. Vordem waren dabei noch allerlei Bräuche im Schwange; die hübscheste und bravste (wo das zusammentraf!) Winzerin brach die letzte Traube und wurde dann, zu Roß, zu Esel oder auf dem Ochsengespann, in weitem Kleide, phantastisch mit Reblaub und anderen Kränzen umwunden, von der gleichfalls bekränzten Schar der Winzer und Winzerinnen in feierlichem Zuge vor die Herrschaft geleitet – als „Herbstmucke“; dem Scharfsinn der Sprachforscher und Mythologen muß es überlassen bleiben, den Ursprung dieses Namens ausfindig zu machen. Ganz nach alter Art wird die Sitte unseres Wissens nur noch in Laubenheim vereinzelt geübt. Wohl aber sorgen besonders die großen Privatbesitzer des Rheinngaues dafür, daß die Schlußfeste mit Musik, Schmaus und Lustbarkeiten aller Art nicht aussterben, und das anmuthige Ständchen, welches uns der Künstler aus dem Verlauf eines solchen Festes vorführt, wird hoffentlich noch lange nicht das letzte seiner Art im Rheingau gewesen sein. Neben den privaten Großbesitzern und der Domäne, die in der Nähe der auf unserem Lesebilde sichtbaren Burg Ehrenfels bei Rüdesheim besonders geschätzte Lagen baut, giebt es auch noch heute viele kleinere bürgerliche Besitzer, welche selbst keltern.

Zu dem Verschwinden mancher alten, fröhlichen Lesebräuche haben abgesehen von dem sogenannten Geist der Zeit auch noch besondere Umstände mitgewirkt. Vordem wurde die Lese durchschnittlich früher angesetzt als in unseren Zeiten, wo es als Regel gilt, nicht vor Allerheiligen anzufangen. Eine so frühe Lese wie die heurige ist seit vielen Jahren nicht dagewesen. Wenn es nun zur Lesezeit schon friert und schneit, so wirkt das naturgemäß auf die allgemeine Lustbarkeit im Freien stark abkühlend. Was aber die alten Bräuche am meisten geschädigt hat, das war die große Zahl von schlechten oder doch nur mittelmäßigen Weinjahren seit dem letzten „großen“ Jahre, 1868. Gottlob hat das Jahr 1893 diesen Kummer wieder in etwas beseitigt, und angesichts des heurigen Ergebnisses darf der Winzer schon mit gefaßterem Gemüthe an ältere schöne Weinjahre zurückdenken.

Das berühmteste unseres Jahrhunderts, vielgepriesen in Goethes und kleinerer Dichter Werken, war das Jahr 1811. Es war der Quantität nach ein reiches Jahr und zugleich an Qualität hervorragend; der Winzer hat für solche gesegnete Herbste den Ausdruck, daß „auch der Wein an den Hecken“ gut war, d. h. an den nicht sonnigen Stellen. Eine Flasche „Elfer“ ist heutzutage ein Schatz, der mit schwerem Golde bezahlt wird. Es ist aber ein gutes Theil Raritätenliebhaberei dabei im Spiele. Denn auch der Satz, daß guter Wein mit den Jahren immer besser werde, hat seine Grenze. Der Wein hat wie ein lebendes Wesen seine Entwicklungsjahre, in welchen er seinen Charakter ausbildet, auch ab und zu wie jeder Mensch seine Anfälle von Untugenden durchmacht, bis er sich dann eines Besseren besinnt. Allmählich aber erreicht auch er wie der Mensch eine Lebenshöhe, jenseit derselben wird er greisenhaft, mürrisch, kalt, und zuletzt ist er tot. Alsdann ist er ein guter Wein – gewesen. Und nur sehr selten braucht er bis zu diesem Punkte die biblische Lebenszahl von 70 bis 80 Jahren.

Alle elf bis zwölf Jahre, so rechnet man im Rheingau, giebt es einen besonders guten Treffer. Die Rechnung stimmt zunächst: 1822 war ein sehr schönes Jahr, 1834 brachte wenig (etwa Einviertelherbst) aber hervorragend guten Wein; 1846 war wieder ein großes Jahr, 1848 kam noch eine reiche, aber in der Qualität nur mittelmäßige Ernte, und dann, wieder elf Jahre nach 1846, gab es die berühmten großen drei Jahre 1857, 1858, 1859, den Glanzpunkt in der Geschichte des rheingauer Weinbaues. „Garibaldi“ nennt man den 1860er: er kam reichlich und vielversprechend,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_782.jpg&oldid=- (Version vom 5.5.2023)