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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


schrieb ich dazu: „Von Deinem Onkel Viktor, der Dich immer lieb haben wird.“ Das war vorläufig alles, was ich für sie hatte, außer dem, was ich nicht in eine Kiste packen konnte, um es hinzuschicken – die tiefe innere Trauer, das innige Mitgefühl.

An Tante Klara zu schreiben wollte mir aber nicht gelingen. Ich zerriß vier bis fünf Briefe, die einen, weil sie doch allzu kalt und formell ausgefallen waren – zu einem wärmeren Ausdruck vermochte ich mich nicht zu zwingen – die anderen, weil sich bittere Vorwürfe mir in die Feder gedrängt hatten, die ich der Frau am frischen Grabe ihres letzten Kindes nicht machen wollte, obgleich ich dazu berechtigt gewesen wäre. Ich schwieg also, ich schwieg noch lange Zeit hinterher. Das Einzige, womit ich mein Versprechen an Leni erfüllte, waren die alljährlich sich wiederholenden Weihnachts- und Geburtstagsgaben für ihr Kind. So hatte sie es nicht gemeint, ich wußte es, aber ich konnte mich dennoch nicht entschließen, nach Wardelingen zu reisen. Bei dem bloßen Gedanken, die Stätte wiederzusehen, überkam mich eine Seelenstimmung, die mich elend und nervös machte und mich schlechterdings zum Aufgeben meines Vorsatzes zwang, den ich alle Jahre um Neujahr herum faßte, wenn ich ein Briefchen erhielt, das die Ueberschrift: „Lieber Onkel Viktor“ und die Unterschrift: „Deine kleine Bine“ aufwies. Ich fühlte mich dann so ungemüthlich, als sei mir eine alte längst fällige Rechnung zum so und sovielten Male vorgezeigt worden und ich stände da ohne einen Pfennig in der Tasche, weil ich all mein Geld schon ausgegeben hatte.

Mein Gott, was konnte ich diesem Kinde nutzen? Gar nichts! Da ein lediger Ulanenrittmeister, den auf der Welt höchstens noch der Sport interessiert und seine Schwadron! Und überdies, Cousine Leni hatte mir ja erst für später das Kind anempfohlen, für die Zeit, in der es bei ernsten Lebenslagen meinen Schutz gebrauchen könnte. Vorläufig war diese Bine noch ein Kind, und Kinder vermissen nichts; und das, was sie vielleicht vermißte, die Liebe der Mutter, die konnte ich ihr nicht geben.

So lernte ich denn Lenis Vermächtniß nicht persönlich kennen und lebte in der kleinen ostpreußischen Garnison mein Leben weiter, so gut es eben gehen wollte, erwarb mir den Ruf eines vollendeten Ehefeindes und ward allmählich von den Müttern erwachsener Töchter aus der Liste der Heirathskandidaten gestrichen. Thatsächlich hatte ich die wunderliche Marotte, jedes Mädchen mit Leni zu vergleichen, und damit war ihr Urtheil gefällt und meine Ruhe gewahrt, denn keine einzige hielt den Vergleich aus.

Inzwischen war ich Major geworden; das Ereigniß traf so um Weihnachten herum ein. Auf dem Sylvesterball war ich mit den silbernen Fransen erschienen und mußte nun plötzlich eine bedeutend ältere Dame zu Tische führen als bisher. Nach dem Essen spielte ich, anstatt zwanglos da und dort zu plaudern, zum ersten Male Whist mit dem Kommandeur, dem Landrath und einer der allerältesten Damen der Gesellschaft, und beim Nachhausekommen sagte ich mir: man habe es mir doch recht deutlich fühlbar gemacht, daß ich jetzt ins Register der Ehrwürdigen eingetragen sei, obgleich ich schließlich doch von gestern auf heute keineswegs ein alter Herr geworden war.

Aber ich erhielt am selben Abend gleich noch zwei Beweise dafür, daß die Zeit nicht still steht. Da lagen ein paar Briefe auf meinem Schreibtisch, der eine von meiner Schwester, der andere – der mußte von der kleinen Bine sein, denn der Poststempel war „Wardelingen“, die Handschrift aber schien damenhaft niedlich, so daß ich doch wieder irre ward.

Meine Schwester schrieb mir, ein Wardelinger Kaufmann habe sich an sie gewendet mit der Frage, ob wir ihm unser altes Haus verkaufen wollten. „Wie denkst Du darüber, Viktor? Wenn Du so meinst wie ich, so lehnen wir ab, trotz des namhaften Preises. Wir haben es doch beide nicht nöthig, das alte Haus zu verschachern, in dem unsere Voreltern gesessen haben und Leni ihre Mädchenzeit verlebte. Ich denke auch immer, es sei einmal so ein stiller Winkel, in den man sich retten kann, wenn man von der übrigen Welt nichts mehr wissen mag. Ich habe manchmal das Leben im Strudel recht satt, Viktor, aber meines Mannes wegen – – kurz und gut, Bruder, wenn Du also denkst wie ich, behalten wir das alte Gerümpel, wär’s auch weiter aus keinem Grunde, als der köstlichen Gravensteiner wegen, die im Garten wachsen.“

„Na, das versteht sich!“ murmelte ich. „Uebrigens werde ich dem Manne antworten.“

Dann sah ich noch eine Nachschrift: „Tante Klara soll noch immer die Alte sein, Du weißt ja. Die zweite von Lenis Mädchen, die Hella, wird von ihrem Vater wie ein Junge erzogen. Tante Klara schrieb mir ganz trostlos darüber; Hella habe einen Pony und mehrere Hunde und stecke voll der muthwilligsten Streiche. Dieser Herr Bayer ist doch ein recht merkwürdiger Mensch – die Aelteste ist für ihn kaum vorhanden. Tante Klara sagt übriges gar nichts über Dein Pathchen.“

Nun, dieses Pathchen meldete sich ja wohl eben schriftlich bei mir? Ich öffnete auch diesen Brief.

Wirklich – hatte sie denn das selbst geschrieben? Das war ja eine Schrift wie gestochen und der ihrer Mutter so ähnlich; sogar dieselben kleinen unmotivierten Häkchen an den großen Buchstaben, dieselben U-Bogen! Mir fiel das jetzt zum ersten Male auf.

„Mein lieber Onkel Viktor,“ stand da, „recht herzlich danke ich für Deine schönen Weihnachtsgeschenke, die mir wieder eine große Freude machten; ersehe ich doch daraus, daß Du immer wieder an mich denkst, obgleich Du mich doch gar nicht kennst und mich nur lieb hast, weil Dich die gute arme Mama darum bat.

Lieber Onkel Viktor, ich würde Dir so gern auch etwas schenken, aber ich weiß nicht, was. Denn ich kenne Deine Wünsche nicht. Wenn ich Dir auch einmal eine Cigarrentasche sticken dürfte! Rauchst Du? Ich habe immer nicht den Muth gehabt, Dir etwas anzubieten, aber jetzt arbeite ich schon ganz sauber.

Und nun habe ich noch eine sehr große Bitte, lieber Onkel – schenke mir doch keine Puppe mehr; ich werde ja an Ostern konfirmiert und Hella spielt gar nicht mit Puppen und lacht mich aus, weil ich alle diese schönen Wickelkinder und Balldamen so lieb habe. Sind sie doch von Dir geschickt! Ich glaube, nun habe ich zehn Stück. – Es wäre doch sehr hübsch, wenn Du einmal kommen könntest. Die Großmama sagt, Du hättest uns gar nicht mehr lieb, aber das glaube ich nicht. Hella ist auch so neugierig, Dich zu sehen.

Vielen Dank, lieber Onkel!
Deine treue Bine.“ 

Ich lachte hell auf. Herr Gott, das hatte ich nicht bedacht, daß so ein „Gör“ wächst! Diese zehnte Puppe war mal wieder die richtige Gedankenlosigkeit von mir gewesen; als ob ein Mädel ewig mit Puppen spielte! Nein, es ist doch – – Plötzlich war ich Major und wunderte mich, und plötzlich hatte ich ein nahezu erwachsenes Pathenkind und wunderte mich nochmals!

Arme kleine Bine! Wie herzig dieser Brief war!

Ich kaufte am andern Tag eine niedliche Brosche und schickte sie ihr als Ersatz für die Puppe, die sie doch verschenken solle. Aber da antwortete sie: nein, diese letzte Puppe wolle sie gerade recht sorgsam aufheben. (Fortsetzung folgt.) 


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Neues vom „Metall der Zukunft“.

Kochgeschirr aus Aluminium.

Als es mit Hilfe der Elektricität gelungen war, das Aluminium aus gewöhnlichem Lehm zu annehmbaren Preisen herzustellen, da pries man es als das „Metall der Zukunft“ und prophezeite ihm auch einen siegreichen Einzug in die Küche, wo es nicht nur neben den Emailletöpfen, neben Kupfer- und Nickelgeschirr bestehen, sondern diese gar verdrängen sollte! Man hatte ja von alters her an den bisher üblichen Geschirren aus unedlen Metallen Verschiedenes auszusetzen; sie waren schwer und darum nicht leicht zu handhaben, und besonders gaben sie oft gesundheitsschädliche Verbindungen an die Speisen ab. Das Aluminium, welches sich durch die Eigenschaft, nicht zu rosten, auszeichnet, schien darum auf den ersten Blick recht geeignet, in der Küche dem Menschen gute Dienste zu erweisen. Aber die Industrie und Hygieine waren mit seinen Eigenschaften noch nicht genügend vertraut und so wurde vorläufig nichts aus dem erhofften Siegesfluge; im Gegentheil, als die ersten Aluminiumfeldflaschen und Aluminiumkochtöpfe auftauchten, ließen sich bald Stimmen hören, welche davor warnten, das „Silber aus Lehm“ in der Küche zu verwenden. Es sollte von den Speisen und Getränken angegriffen werden und deren Geschmack verderben; es sollte sich beim Gebrauch und beim Reinigen zu rasch abnutzen; vor allem aber wurde auch ihm wieder der Vorwurf gemacht, daß es die Speisen „vergifte“, sie gesundheitsschädlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_795.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2023)