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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Nr. 48.   1893.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Sabinens Freier.

Von W. Heimburg.
 (1. Fortsetzung.)

Drei Jahre vergingen, da erhielt ich Kunde vom Tode des Justizraths Bayer; er sei ganz plötzlich an einem Herzschlag gestorben. Diesmal schrieb ich an Tante Klara einige theilnehmende Worte und an mein Pathchen auch. Ein paar Wochen blieb ich ohne Nachricht, da kam ein Brief der Tante, der mich erschreckte. Sie bat mich, ihr und den beiden Kindern doch ein Obdach zu gewähren in unserem alten Hause. Bayer habe seine Tochter in den denkbar ungünstigsten Verhältnissen zurückgelassen, eigentlich seien die Kinder auf ihr, der Großmutter, geringes Witwengehalt angewiesen, ich wisse ja: dreihundert Thaler, und – wie lange lebe sie noch? Und da ich doch gewiß vorläufig keine andere Verwendung für die leerstehenden Zimmer hätte, so bitte sie mich, wieder dort einziehen zu dürfen.

Ich war gerade im Begriff, meine Koffer zu packen, um nach beendetem Manöver eine Urlaubsreise anzutreten; ich wollte mit einem alten Kameraden, dem Rittmeister von Leeden, in Berlin zusammentreffen, um von dort aus mit dem Römerzug direkt über die Alpen nach Italien zu reisen und neapolitanische Sonne zu genießen. – Wie auf einmal alles wieder lebendig vor mir steht, das alte Haus, der große Flur darin und die dunkle Treppe, über deren Geländer sich ein liebes blasses Mädchenantlitz biegt. Ich sehe diese Augen so deutlich vor mir, höre ebenso deutlich die Stimme: „Viktor, kommst Du? Ach, wie lieb von Dir!“

„Böhme!“ rief ich in das Nebenzimmer, „eine Depesche besorgen, sofort! Geh’ gleich auf den Bahnhof!“

„Befehl, Herr Major!“

„Packe vorläufig nur den Handkoffer – ich reise, anstatt morgen früh, heute abend mit dem Zehnuhrzuge. Nur den Handkoffer vorläufig!“

Böhme, mein Bursche aus dem Feldzuge, jetzt Diener bei mir, verschwand schleunigst mit dem kleinen Blatt, das meinen Reisekameraden lakonisch ersuchte, nur immer voraus zu fahren; ich hätte vor der Hand noch eine Familienangelegenheit zu ordnen, hoffte aber, in etwa fünf bis sechs Tagen nachkommen zu können. Meine Adresse sei vorläufig: Wardelingen in der Mark.

Um zehn Uhr stieg ich in ein Coupé erster Klasse des Schnellzuges, Böhme nebst dem Koffer verschwand in der dritten Klasse. Und in schwindelnder Eile ging’s der Heimath zu. Eine lange Fahrt; aber diesmal, diesmal konnte ich die unbezahlte Rechnung nicht beiseite schieben, und diesmal wurde es mir trotz der aufgegebenen Reise nicht schwer, denn der Mann, den zu sehen ich vermeiden wollte, war tot und ich konnte endlich mein Wort einlösen – Lenis Kind brauchte mich.

Am andern Nachmittag schon fuhr der Zug durch die einförmige Landschaft der Mark. O Du liebe kiefernduftige sandige Heimath, wie reizvoll bist du mir stets erschienen! Welch’ süße Schwermuth liegt über diesen einsamen Dörfern, von


Künstlertriebe.
Nach einem Gemälde von Emma v. Müller.
Photographie im Verlage der Photographischen Union in München.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_805.jpg&oldid=- (Version vom 27.1.2023)