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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


Fischzucht.[1]

Von Carl Vogt.
I.

Wunderbar, wie die Zeiten und mit ihnen der Geschmack und die Sitten sich ändern! In der homerischen Heroenzeit galt es für das größte Unglück, welches den Armen betreffen konnte, Fische essen zu müssen; im Zeitalter des Perikles luden die Griechen einen Freund zu einem Fische wie wir heutzutage zu einem Teller Suppe. Während der Rüpelperiode der römischen Republik verachtete man feinere Genüsse und baute Kohl und Getreide; in der Kaiserzeit verschwendete man riesige Summen für raffinierte Fischgerichte. Damals kam auch der erste Gedanke einer rationellen Bewirthschaftung der Gewässer auf; aber man wendete sich nicht an das süße Wasser, dessen Bewohner man wenig schätzte, sondern an das Meer und trieb Austern- und Muränenzucht in großartigem Maßstabe. Die Ascetik des Christenthums, das den Leib kasteite, machte der antiken Kultur ein Ende und mit ihr den Bestrebungen, diesem Leibe mehr und besseres als den gewöhnlichsten Nahrungsstoff zuzuführen. Aber durch die Züchtigung des unersättlichen Magens mittels der Fasten wurde man der Bewirthschaftung der Gewässer wieder zugeführt, da man um jeden Preis sich Fastenspeise verschaffen wollte. Jetzt waren es aber die Binnengewässer, auf die man sein Augenmerk richtete. Bald gab es kaum ein Kloster, welches nicht seinen Karpfenteich, seinen Krebsbach, seinen Schneckengarten gehabt hätte, und was die Geistlichen thaten, ahmten die Laien nach. Die Tradition dieser Bewirthschaftung erhielt sich in den katholischen Ländern, während in den protestantischen die Aufhebung der Fasten ihr einen schweren Schlag bereitete. Um so mehr, als man unterdessen das Einpökeln und Räuchern der Seefische erfunden hatte, die nun in großen Mengen, besonders auf dem Seewege, versendet werden konnten. Die Bevölkerungen an der Nord- und Ostsee nährten sich von Heringen, die Küstenbewohner des Mittelmeeres von Stockfischen – wozu also Fische züchten?

Der Bewohner des Binnenlandes war in Beziehung auf diesen Punkt nicht vortheilhaft gestellt. Der Vertheuerung durch die Frachten wegen drangen die geräucherten und gesalzenen Meerfische in größeren Massen nicht tief in das Land hinein, man war auf diejenige Beute angewiesen, welche die Wasser des Landes boten, und zwar in um so engerer Umgrenzung, je wärmer die Temperatur im Sommer wurde. Die Beförderung der frischen Fische auf weitere Strecken hin war unmöglich. Ich erinnere mich noch sehr wohl der Zeiten, wo man von verschiedenen Schweizerstädten nach kleinen Orten, stillen Gründen und lieblichen Bergthälern wandelte, um dort Forellen zu schmausen, die man nicht nach der Stadt bringen konnte – heute fliegt die Forelle, in Eis verpackt, mit Windeseile von dannen und die gastronomischen Spaziergänger haben das Nachsehen!

Nach den Kriegen im Anfange unseres Jahrhunderts entwickelte sich nach und nach der Verkehr, die Industrie und mit ihnen der Begehr nach besserem Lebensgenusse. Man reiste mehr und mehr, trotz der Beschwerlichkeiten, welche das Reisen damals noch mit sich brachte. Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß die große Mehrzahl der Reisenden es auswärts besser haben will als zu Hause; der Mann, der auf seinem Familientische nur bei ganz außerordentlicher Gelegenheit Wild, Geflügel und Fisch sieht, verlangt gebieterisch, daß diese Gerichte ihm an der Wirthstafel geboten werden. Meistens sogar ist er um so anspruchsvoller, je schlechter er es zu Hause hat.

Infolge der gesteigerten Nachfrage mehrt sich der Verbrauch und das Bestreben, ihm gerecht zu werden. Die Teichwirthschaften entwickeln sich, aber nur langsam, und kaum läßt sich in ihrem Betriebe ein Fortschritt verzeichnen. Aber überall ertönen die Klagen über zunehmende Verarmung der Binnengewässer. An vielen Orten mögen diese Klagen gerechtfertigt sein; hier und da beginnt schon die Vergiftung der Bäche und Ströme durch die Fabriken. An anderen Orten ist aber diese Verarmung nur scheinbar; der Strom, der See liefert jahraus, jahrein, freilich mit erheblichen, aber sich ausgleichenden Schwankungen bei Berechnung längerer Perioden, dieselbe Menge von Fischfleisch, die aber dem zunehmenden Verbrauche nicht genügen kann. Dazu kommt, daß der Geschmack und damit die Nachfrage nach bestimmten Fischsorten sich wesentlich geändert hat.

Jetzt stehen, unter den Süßwasserfischen, die Lachse und Forellen im höchsten Ansehen; ihnen folgen die Renken oder Felchen, die derselben Familie der Salmoniden angehören. Früher war das anders. Aeltere Küchendokumente vom Elsaß und dem Genfersee weisen dem Barsche den ersten Platz und den größten Kaufwerth zu; ihm folgen die Trüsche oder Rutte und der Hecht, und dann erst kommen die Salmoniden. Die nicht ganz sicher beglaubigten Nachrichten, wonach die dienende Klasse am Rheine die Bedingung stellte, daß ihr nicht öfter als zweimal in der Woche Lachsfleisch geboten werden dürfe, mögen wohl in dieser Geringschätzung des Edelfisches ihren Grund haben.

Aber die Klagen ertönten lauter und lauter. Man suchte Abhilfe nach zwei verschiedenen Richtungen hin; einerseits bestrebte man sich, die Versendung und damit den Bezug der Fische auf größeren Entfernungen zu ermöglichen, anderseits suchte man Flüsse und Seen gründlich zu bewirthschaften, indem man die einheimischen Fische pflegte und züchtete oder selbst Arten einzuführen suchte, welche anderwärts in gutem Rufe standen und ohne Schaden der einheimischen Fische in die ihnen bisher fremden Gewässer verpflanzt werden konnten. Letztere Versuche, zum Theil mit großen Kosten und Mühen angestellt, schlugen damals gänzlich fehl.

Hinsichtlich der anderen Zielpunkte griff die Wissenschaft ein; nicht ohne Mühen, nicht ohne empfindliche Enttäuschungen, aber schließlich doch mit nennenswerthen Erfolgen, die sich um so mehr entwickelten, als man durch genaueres Studium der Lebensbedingungen der Fische es dahin brachte, die Natur zur Lehrerin zu nehmen.

Den Anstoß gab die Erfindung oder vielmehr die Wiederaufnahme der künstlichen Befruchtung der Fischeier, besonders der Salmoniden. Das Verfahren war längst geübt worden, zu wissenschaftlichen wie zu industriellen Zwecken – aber wer dachte in den vierziger Jahren daran? Ich erfand es im Jahre 1840, wo ich Eier von Felchen zum Behufe von Studien über die Entwicklung der Salmoniden im Ei befruchtete, und konnte im Jahre 1859 in der ersten Auflage meines Werkchens „Ueber künstliche Fischzucht“ schreiben:

„Wenn man jetzt, wo die geschichtlichen Dokumente fast vollständig vor aller Welt Augen liegen, die so klaren, präcisen und genauen Instruktionen liest, die ein Lieutenant aus Lippe-Detmold, Jacobi, vor fast einem Jahrhundert in dem ‚Hannoverschen Magazin‘ publizierte; wenn man sieht, wie dieser Mann seinem Verfahren durch Einsendung von Manuskripten an Buffon, Lacépède, Fourcroy, Gleditsch und andere Celebritäten seiner Zeit die möglichste Verbreitung gab; wenn man diese Instruktionen in dem großen klassischen Werke von Duhamel über die Fischereien, das im Jahre 1773 publiziert wurde, ausführlich liest; wenn man sie in dem „Lehrbuch der Teichwirthschaft“ von Hartig im Jahre 1831 wieder ausführlich erwähnt findet, so wundert man sich, daß die Männer der Wissenschaft sowohl wie die praktischen Fischer die Sache vollkommen in Vergessenheit gerathen lassen konnten, so zwar, daß Gelehrte und Praktiker von sich aus dasjenige wieder entdecken mußten, was längst gekannt und an einzelnen Orten auch im stillen praktisch geübt worden war.“

„Da mußte es das Schicksal fügen, daß man auch in Ländern romanischer Zunge auf denselben Gegenstand verfiel und daß ein Gascogner darin ein Mittel finden konnte, sich weiter emporzuschwingen. Jetzt war die Welt des Lärmens voll. Die südliche Zunge klöppelte so rüstig in der großen Glocke der Oeffentlichkeit, daß jedem die Ohren gellen mußten. Ein Mittel war gefunden, den Nationalreichthum nicht nur um Millionen, sondern um Milliarden zu erhöhen. Ministerien und Administrationen, Akademien und Gesellschaften aller Art konnten sich kaum mehr retten vor den Abhandlungen, Anträgen und Plänen, die auf sie herabregneten. Wenn Heinrich IV. einem jeden Bauer Sonntags sein Huhn im Topf gewünscht hatte, so versprach Herr Coste jedem Franzosen täglich eine Forelle auf den Tisch. War es ein Wunder, wenn die allgemeine Aufmerksamkeit sich auf den Gegenstand richtete?“

  1. Vergl. auch „Gartenlaube“ 1871, S. 586, 1874, S. 125, 1892, S. 588.   Die Red. 
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_810.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2023)