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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Wahrnehmungen einen tieferen Eindruck in ihm hinterlassen hätten. Mit täglich wachsendem Selbstvertrauen malte er sich seine Zukunft aus, in der Miß Sumner die Zauberin war, welche Glück und Reichthum spendete. Mister Sumner war, soviel hatte Erwin in Erfahrung gebracht, auch nach amerikanischen Begriffen ein reicher Mann und Carry war sein einziges Kind. Wenn er ihre Hand gewann, dann war es eine Wonne, heimzukehren mit einer ebenso schönen wie eleganten jungen Frau, die auch in einem deutschen Salon als blendende Erscheinung gelten würde. Allen seinen Verbindlichkeiten konnte er mit Leichtigkeit gerecht werden, vielleicht ließ es sich sogar erreichen, daß er wieder in sein Regiment eintreten durfte. Freund Schuckmann war eine gute ehrliche Haut, ein treuer Kamerad, aber doch schon allzu sehr von amerikanischen Anschauungen durchdrungen, zu sehr vom harten mitleidlosen Kampf ums Dasein zerrieben, um noch ein Verständniß zu haben für das Ideal irdischen Glückes, für die schöne stolze Lieutenantszeit!

So sehr spann sich Erwin in diese lockenden Träume und Hoffnungen ein, daß die Begeisterung, die er anfangs für Herrn Beelitz und seine Lehrmethode empfunden hatte, sich erheblich abzukühlen begann, daß der Eifer, mit dem er seinen Berufspflichten nachkam, merklich nachließ. Es war nichts Seltenes mehr, daß Erwin seinen Kollegen gegenüber über die Geldgier des Direktors klagte, der keine Rücksicht kenne als die auf seinen Gewinn, der seine Angestellten mit Arbeit überbürde und sie in schonungsloser Weise ausbeute. Zugleich legte er einzelnen Aufträgen seines Prinzipals gegenüber so viel Gleichgültigkeit an den Tag, daß dieser zu Zurechtweisungen griff, die, je kürzer und knapper, um so verletzender waren. Dann knirschte Erwin wüthend in sich hinein und empfand, daß es eine Lust für ihn wäre, diesem hölzernen Schulmeister, der aus so untergeordneten „plebejischen“ Verhältnissen kam und nicht einmal eine „anständige“ Verbeugung zustande brachte, seine Verachtung ins Gesicht zu schleudern und ihm den ganzen Kram vor die Füße zu werfen. Diese Rückfälle in die Stimmungen seines früheren Lebens stellten sich bei Erwin um so häufiger ein, je liebenswürdiger Miß Carry sich gegen ihn erwies und je näher damit die Verwirklichung seiner Hoffnungen gerückt schien.

Eines Abends befand sich Erwin wieder im Empfangszimmer der Sumnerschen Wohnung in Gesellschaft Miß Carrys. Das häßliche Regenwetter, das schon den ganzen Tag über herrschte, bannte sie an das Haus. Die Amerikanerin ruhte nach ihrer Gewohnheit im Schaukelstuhl, den sie ab und zu mit einer Bewegung des zierlichen Fußes in sanfte Schwingung versetzte. Sie machte ein verdrießliches Gesicht und zeigte sich launisch und ungeduldig. Wie ein eigenwilliges Kind sprang sie in ihrer Unterhaltung ohne Uebergang von einem Gegenstand zum andern über. Jetzt erhob sie sich mit jähem Ruck, setzte sich ans Klavier und begann die getragene schwermüthige Weise des Chopinschen Trauermarsches. Doch auch hier brach sie plötzlich mit grellem Mißklang ab und wandte sich zu Erwin herum.

„Welch ein verwünschter, langweiliger Regen!“ sprudelte sie nervös hervor. „Sie glauben gar nicht, wie schwermüthig mich dieses einförmige Plätschern macht. Geht es Ihnen nicht auch so?“

Andreasnacht.
Nach einer Zeichnung von Fritz Bergen.

„Schwermüthig?“ Crwins blendend weiße Zähne leuchteten zwischen den frischen rothen Lippen hervor. „In Ihrer Gesellschaft schwermüthig zu sein Miß Carry, das ist für mich rein ein Ding der Unmöglichkeit.“

Sie zuckte mit den Achseln und blickte eine Weile schweigend und träumerisch vor sich hin. „Sie waren Lieutenant in Ihrer Heimath, nicht?“ fragte sie dann unvermuthet.

„Ja. Ich glaube, es Ihnen schon erzählt zu haben.“

Sie blickte ihm eine Weile voll ins Gesicht. „Sie muß Ihnen ausgezeichnet gestanden haben, die hübsche deutsche Offiziersuniform.“

Erwin verbeugte sich artig und versetzte lächelnd: „Ich wage nicht, Ihnen zu widersprechen, Miß Carry, obgleich meine Bescheidenheit mich dazu drängt, denn ich weiß, Sie können Widerspruch nicht ertragen, am wenigsten, wenn Sie ‚schwermüthig‘ sind.“

Sie drohte ihm schelmisch mit dem Finger, versank aber gleich wieder in ein träumerisches Brüten, aus dem sie ebeuso plötzlich wieder mit der Frage auffuhr: „Ihr Beruf sagte Ihnen nicht zu, Mister Hagen?“

„Sie meinen, der Beruf als Offizier?“

Sie nickte.

„Wie können Sie das glauben, Miß Carry!“ rief er lebhaft. „Mit Leib und Seele hing ich an meinem Beruf, dem glänzendsten, schönsten, ehrenvollsten der Welt!“

„Dann begreife ich nicht, Mister Hagen, warum Sie das alles im Stich lassen konnten, um in dieses barbarische Land zu kommen, in dem man der Uniform noch keine Bewunderung entgegenbringt.“

Er blickte verblüfft in ihr muthwilliges Gesicht, dann senkte er verlegen die Augen, und zu seinem Aerger fühlte er, daß er erröthete wie ein Schuljunge. Da fuhr ihm ein erlösender Gedanke durch den Sinn. Rasch erhob er den Kopf und sagte, anfangs mit leicht ironischem Klang in seiner Stimme, dann in aufwallender Empfindung: „Das will ich Ihnen erklären, Miß Carry – weil es mein Schicksal war, mit Ihnen zusammenzutreffen, weil es mir vorherbestimmt war, vor zwei amerikanischen Augen mein Sedan zu finden, weil es in den Sternen geschrieben steht, Miß Carry, daß ich –“ er holte tief Athem, die Entscheidung nahte.

Mit einem eigenthümlich flimmernden Blick in den Augen hatte Carry sich erhoben und trat nun mit zwei, drei schnellen Schritten vor ihn hin, so dicht, daß er ihren Athem auf seinem Gesicht spürte. In Erwin schlug eine lodernde Flamme auf und jedes Bedenken, jedes kleinmüthige Zagen trat vor dem ungestümen Verlangen zurück, sie an seine Brust zu reißen. Schon streckte er die Hände nach ihr aus, da fühlte er plötzlich ihre Arme um seinen Hals, ihre Lippen auf den seinen, gluthvoll, bebend, wieder und wieder. Ein paar Sekunden seligsten Selbstvergessens verstrichen

Plötzlich riß sie sich jäh von ihm los und eilte von ihm weg, dem Fenster zu. „Gehen Sie, Mister Hagen, gehen Sie!“ rief sie heftig, die Hand abwehrend gegen ihn ausstreckend, das Gesicht von ihm abgekehrt.

Er aber stand wie angewurzelt, noch halb im Taumel, bestürzt über die Schroffheit ihrer Stimme und Gebärde. „Carry, süße Carry!“

Sie aber unterbrach ihn mit nervöser Hast. „Noch einmal, Mister Hagen, gehen Sie! Und ich erwarte von Ihnen als Gentleman, daß Sie zu niemand sprechen von dem, was hier – – Und wenn ich Ihnen künftig nicht mehr in der Beelitz-Schule begegnete, so würden Sie mir eine peinliche Erinnerung ersparen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 813. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_813.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2023)