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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

thöricht, Onkel? Nein? Das denkst Du nicht? Ich freue mich so sehr, droben zu schlafen! Die Buschen sagt, es sei dasselbe Bett, in dem Mama als junges Mädchen schlief, so ein altmodisches Himmelbett mit gedrehten Säulen, Ist das wahr, Onkel? Und dann stelle ich mir das Nähtischchen hinein und meine Bilder, und die alte Kommode ist auch noch da - ach, ich danke Dir, Onkel!“

Sie drückte mir die Hand und ich bückte mich abermals nach irgend etwas, aus Angst, sie konnte mir die frischen Lippen zum Kuß bieten; ich hätte ihr keinen Onkelkuß geben können. Und, gottlob, dann kam Mutter Buschen und rief, daß da ein paar Ulanen seien, die Möbel brächten, und das Fräulein möge kommen, um zu bestimmen, wohin sie gestellt werden sollten,

Sie lief eilends dem Hause zu. An der Thür wandte sie sich noch einmal um. „Aber Onkel, heute abend mußt Du Thee bei uns trinken, um Sieben, dann ist alles so in Ordnung, als ob wir schon hundert Jahre hier wohnten.“

Sie wartete meine Antwort nicht ab, und ich folgte ihr, um durch das Haus auf die Straße zu gelangen, Im Vorübergehen sagte ich Mutter Buschen, daß das Zimmer, in dem die alten Bücherkisten ständen, von dem gnädigen Fräulein bewohnt werden würde und daß daher die Kisten auf den Boden gebracht werden sollten.

„Herr Du mein Leven!“ rief die Alte, „nee, und ich sag' noch zu ihr, bilden Sei sich man bloß das nich ein, gnä Fräulein, daß er Sei die Stube giebt! Da könnt' der Kaiser selber kommen! Hat erst im vorigen Jahre geschrieben, als ich ihm gemeldet hab', daß der olle Ofen so wackeln thät , in die Stube soll gar nichts gemacht werden - nee! Und nu? Na, mir kann's recht sind, Herr General - Herr Major, wollt ich sagen.“

Ich machte daß ich aus dem Hause kam, suchte den mir von früher bekannten Kommandeur auf fand ihn glücklicherweise nicht zu Hause, und schließlich aß ich wohl oder übel an der Offizierstafel. Es speisten nur vier Herren da, ein unverheirateter Rittmeister und drei Lieutenants. Ich erfuhr auch, daß alles, was abkömmlich war, bei Radowitz zum Diner sei. Es wurde eine ziemlich langweilige Geschichte. Die Herren genierten sich vor mir, sich aus vollem Herzen über die Vorgesetzten auszusprechen, und ich war verstimmt, schauderhaft verstimmt; ich ärgerte mich über die Fliege an der Wand, über das blöde Gesicht des kleinen Kellners, über einen winzigen Zweig dunkelrother Ebereschen, den der Herr Lieutenant von Felsenberg zwischen den Fingern drehte und bald behutsahm, als sei er von Glas, neben seinen Teller legte, bald unter seine Nase brachte, als röchen die rothen Dinger wie Rosen. Dabei sprach er kaum ein Wort, sondern heftete nur wenn er glaubte, ich sei mit meinem Essen beschäftigt, einen forschenden fragenden Blick auf mich, der ich ihm gegenüber saß, Ich nahm ihn auch ein paarmal aufs Korn, Bildhübsch war er, aber er hatte etwas Zigeunerhaftes in seinem Gesicht - mochten es nun die dunklen Augen sein, der kecke schwarze Schnurrbart, die bräunliche Gesichtsfarbe oder die blitzenden Zähne - beneidenswerthe Zähne!

Ich redete ihn schließlich an, fragte, ob das Regiment beim letzten Rennen betheiligt gewesen und wie die diesjährigen Remonten ausgefallen seien, und erhielt sehr höflichen Bescheid, wobei er mich immer in dritter Person anredete: „Befehlen der Herr Major“ u. s. w.

„Ist wohl Jagd heute auf Oetzen?“ fragte ich dann,

„Nein, nur Diner, großes Diner - wird spät werden, bis die Herren zurückkommen, geht da immer ein bißchen lustig zu.“

„Waren wohl dienstlich verhindert, mitzuthun, Herr Lieutenant?“ forschte ich.

Er sah mich mit seinen dunklen Augen an, in denen ein unendlich verächtlicher Ausdruck aufblitzte, „Ich hatte nicht die Ehre, eingeladen zu sein,“ lautete die ironische Auskunft, und er roch an dem Ebereschenzweig.

Der Rittmeister lachte, „Kennen Sie den Rudolf Radowitz, Herr Major?, Der gemütlichste Kerl unter der Sonne, hat aber eine Abneigung gegen den liebenswürdigsten und schneidigsten Kameraden, der je eine Ulanka trug.“

„Gegenseitigkeit!“ sagte der schöne Zigeuner kurz, aber er konnte nicht hindern, daß ihm eine jähe Röthe ins Gesicht flog.

Dann zog er die Uhr, warf einen Blick darauf ließ Butter und Käse auf seinem Teller unbenutzt liegen, machte ein paar sporenklirrende Verbeugungen und verließ das Zimmer.

„Kennen Sie den Radowitz, Herr Major?“ fragte der Rittmeister nochmals, „Natürlich, Sie müssen ihn ja kennen ! Hat einen förmlichen Haß auf Felsenberg, geht so weit daß er dem armen Jungen die Pferdepreise in die Höhe treibt, obgleich er weiß, daß dessen Zulage kaum für die waschledernen Handschuhe reicht; kauft ihm sogar die Gäule vor der Nase fort, wenn er merkt, daß Felsenberg sich darum bemüht, weil er sie just haben muß, und das alles, weil - na, so geben Sie zum Kuckuck doch her!“ herrschte er die Ordonnanz an, die schon eine Weile mit dem Parolebuch hinter ihm stand. Und dann vergaß er über dem Regimentsbefehl, was er noch sagen wollte, und begann mörderlich zu schimpfen über irgend etwas, das er da gelesen hatte und das nach seinen Ansichten höchst unzweckmäßig war.

Und ich, ich saß da, rührte in meinem Mokka und hatte nicht den Muth, zu fragen, warum der dicke Rudolf Radowitz und der schöne Felsenberg sich haßten und einander das Leben schwer machten. Schließlich saß ich ganz allein da und dachte darüber nach, bis mich die Wirthin aus meinen Träumen aufjagte mit der Frage, ob ich mich ihrer noch erinnere.

Ich hatte allerdings Mühe, in der kleinen dicken Madame das niedliche schnippische Mädchen von ehedem wiederzuerkennen, Aber natürlich that ich doch so, und da niemand mehr im Zimmer war und um diese Zeit auch keiner der Kameraden zu kommen pflegte. so hielt sie sich für verpflichtet, mich zu unterhalten, und nahm natürlich an, daß mich Stadtneuigkeiten am meisten interessieren würden. Sie begann unter einem tiefen Seufzer, es sei doch früher viel schöner gewesen und viel lustiger, und das Offizierscorps viel flotter, und doch seien augenblicklich lauter schwer reiche Herren beim Regiment. Der einzige, von dem man sagen könne, daß er keine Mittel habe, sei Herr von Felsenberg, und der, nun der sei eine Seele von einem Menschen, und sie, die Wirthin, habe immer nur den einen Wunsch, daß ihr eigener Bengel einmal ebenso werde wie der, so solid, so brav und so ein guter Sohn, „Keine Karte rührt der an, Herr Major sag' ich Ihnen! Sehen Sie 'mal, Herr Major, er hat seine alte Mutter noch, und zu Weihnachten vorigen Jahres hat er mich gefragt, ob ich ihm wohl behilflich sein möchte, eine Gans einzukaufen - eine gemästete, wissen Sie - die wollte er der alten Frau hinschicken. Na, Herr Major, andere wollen immer bloß haben von den Eltern und hätten für das Geld lieber ihren Sekt getrunken -“

Ich konnte nicht einmal lächeln über den Gänsebraten und den guten Sohn, der seiner Mutter damit eine Weihnachtsfreude machte, und als nun die ehemalige kleine Emilie plötzlich ganz unvermittelt fragte, wie es denn den Bayerschen Damen gehe, sah ich sie nur starr an und ließ wie ein Opferlamm ihren Redestrom über mich dahinfließen.

Am meisten leid sei es doch allen Menschen um das schöne Fräulein Sabine. „Nein, Herr Major, wie so'n Engel ist die doch! Der Herr Major hätte sie nur sehen sollen auf ihrem ersten Ball im vorigen Winter, da droben im Saal, der übrigens jetzt Parkett hat und einen Kronleuchter mit dreißig Lampen. Ganz in Weiß ist sie gewesen, selbst das Kränzchen im braunen Haar von weißen Blüthen. Wissen Sie Herr von Brenken, die alte gnädige Frau hat sich immer auf die Toilette verstanden; wenn man nur an die selige Mama von Fräulein Sabine denkt wie ein Püppchen war sie immer angezogen. Ich war also, wie früher auch, ein bißchen hinaufgegangen, um zuzuschauen, und da habe ich gesehen, wie sie alle ganz weg waren von Fräulein Bine Bayer, und am meisten der alte Radowitz. Es war zum Schieflachen, wie er herumgekugelt ist um sie; als wenn unser Küfer ein Weinfaß dreht, accurat so, habe ich zu Jean gesagt. Aber weil der Herr von Radowitz doch nicht tanzt und weil die jungen Herren das Fräulein beinahe zerreißen wollten, da hat er sich zu der Frau Großmama gesetzt und hat ihr Süßholz geraspelt und dabei immer auf das Fräulein geschielt.“

„Na, guten Tag, Frau Emilie!“ schnitt ich ihr die Rede ab, „ich will nur 'mal ein bißchen Nachmittagsruhe halten. Möglicherweise reise ich noch mit dem Nachtzuge weiter; ich will nämlich nach Italien,“


(Fortsetzung folgt.)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 824. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_824.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2018)