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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

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Vom Hamburger Wasser.
Von Gustav Kopal. Mit Abbildungen nach Photographien von Strumper u. Co. in Hamburg.

[„]Wasser ist das Beste“, singt Pindar. Mit diesem Spruche waren die Hamburger immer durchaus einverstanden, und sie hatten auch guten Grund hierzu. Das länderumfassende Weltmeer besitzt für sie einige schätzbare und einträgliche Eigenschaften. Mit Stolz blicken sie auf ihre majestätische Elbe, mit Entzücken auf die prächtige Alster und auf das liebliche Kind des Sachsenwaldes, die Bille. Die Nixen dieser Gewässer sind zugleich praktisch nützlich veranlagt, denn ihre Arme, welche die Stadt umschlingen und durchziehen (in diesem Falle nennt man sie „Fleete“), dienen dem nordischen Venedig zur bequemen und billigen Warenbeförderung in ganz vortrefflicher Weise. Daneben widmen sie sich sowohl häuslichen und gewerblichen Zwecken wie auch dem Ruder- und Segelsport, leisten mithin alles nur Nixenmögliche aufs zuvorkommendste.

Da nun ein reiches Maß liebender Fürsorge leicht den Menschen verzieht, so hat sich der Normalhamburger nach und nach daran gewöhnt, fast unglaublich viel Wasser zu verbrauchen, bedeutend mehr als irgend eine andere städtische oder ländliche Bevölkerung im gesamten Deutschen Reiche. Ausdrücklich betont sei, daß die jetzt folgenden Zahlen amtlich festgestellt und über allen Zweifel erhaben sind: der Wasserverbrauch auf den Kopf und Tag bezifferte sich 1890/1891 in Berlin auf durchschnittlich 68, in Breslau auf 76, in Dresden auf 81, in Düsseldorf auf 82, in Leipzig auf 97, in Elberfeld auf 98, in Köln auf 169, in Hamburg auf 220 Liter. Hamburgs „Stadtwasserkunst“ lieferte 1891 durchschnittlich 129.000 Kubikmeter Wasser im Tag auf rund 584.000 Seelen der städtischen Bevölkerung, von dem noch beträchtlich höheren Wasserverbrauch im Cholerajahre 1892 ganz abgesehen. Wohlgemerkt, im Durchschnitt! Der Meistverbrauch an heißen Sommertagen stieg gar auf 250 bis 267 Liter für den Kopf.

Das Reinwasserbecken in Rothenburgsort während des Baus.

Daß ein solches Anwachsen des Verbrauchs überhaupt stattfinden konnte, ermöglichte erst die in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts eingeführte Wasserversorgung durch die „Stadtwasserkunst“ in Rothenburgsort. Sie galt, weil die erste und damals einzige Anlage in so großem Maßstabe auf dem europäischen Festland, für ein Wunder der Neuzeit und wurde als solches von den um ihretwillen selbst aus weiter Ferne herbeigekommenen Technikern angestaunt. Ungeheure Pumpwerke, wirklich genial angelegt, trieben das vorher in drei Ablagerungsbecken einigermaßen geklärte Elbwasser in das sich über die ganze Stadt erstreckende Röhrennetz, und zwar in solcher Fülle, daß allerwärts bis zur Dachkammer hinauf Ueberfluß herrschte und die Hamburger Hausfrauen in ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Scheuern und Reinmachen, fortan wahrhaft schwelgen konnten.

Die im allgemeinen ziemlich sparsamen Väter der Stadt hatten übrigens bei der recht kostspieligen Anlage weniger eine Galanterie gegenüber dem schönen Geschlechte im Auge; vielmehr nöthigten sehr zwingende Gründe zu der Neuerung. Als am 5. Mai 1842 einige mit Sprit gefüllte Speicher brannten und der Sprit in das Fleetwasser floß, mit dem die Feuerspritzen sich versorgten, ergab sich als traurige Folge, daß am 8. Mai 1842 19.995 Hamburger obdachlos und 4219 Gebäude nebst Inhalt im Werthe von rund 50 Millionen Reichsmark vernichtet waren. Die 1845 fertiggestellten Hydranten der neuangelegten Stadtwasserkunst, die sogenannten „Nothpfosten“, in allen Straßen reichlich angebracht, ermöglichten es fernerhin, jedes brennende Gebäude sofort mit einem Wasserschwall förmlich zu überschütten und dadurch die Gefahr einer Wiederkehr solch furchtbaren Unglücks schon im Keime zu ersticken.

Die hamburgische Bevölkerung war mit der neuartigen Wasserversorgung, die schon 1849 auch für den Hausbedarf eingeführt werden konnte, sehr zufrieden, denn das weiche Elbwasser galt für vorzüglich und selbst die Schiffe fremder Nationen hatten es seit den ältesten Zeiten mit Vorliebe als Vorrath für lange Reisen benutzt. Jedenfalls war es entschieden seinen Mitbewerbern in Hamburg, dem aus Pumpen und Quellen stammenden recht zweifelhaften Grundwasser und dem damals noch durch einige kleine Leitungen dargebotenen sumpfigen Alsterwasser, vorzuziehen. Auch waren schon in den fünfziger Jahren in fast allen Haushaltungen der bessergestellten Familien Stein- und Schwammfilter zu finden, die namentlich wenn infolge der nicht seltenen Frühjahrshochwasser nebst Ueberschwemmungen in Böhmen das Elbwasser tagelang merklich getrübt erschien, sich als sehr nützlich erwiesen. Mit einem Worte, die Hamburger waren zufrieden mit ihrem Elbwasser und glaubten gar nicht, daß es etwas Besseres geben könnte.

Auf den Gesundheitszustand der Hansestadt übte die Stadtwasserkunst bald einen sehr günstigen Einfluß aus. Der alte Erfahrungssatz, daß gute Wasserwerke die Reinlichkeit fördern und daher die Quelle körperlichen Gedeihens und erhöhter Arbeitskraft der Bevölkerung sind, bewährte sich auch hier. Es mag manchen befremdend anmuthen, wenn der Hamburger von dem günstigen Gesundheitszustand seiner Stadt spricht in der 1892 die Cholera so viele Opfer forderte. Für den Hygieiniker kommt aber nicht solch ein unerhörter (und, nebenbei bemerkt, auch heutzutage noch nicht genügend aufgeklärter) Einzelfall in Betracht; er urtheilt auf Grund der Sterblichkeitsziffer zu gewöhnlichen Zeiten. Während in einigen Großstädten die Zahl der wöchentlichen Sterbefälle bei je 1000 Einwohnern auf das Jahr berechnet zwischen 26 und 39 schwankt, hatte Hamburg 1893 nur Zahlen von 16 bis 17, einmal 19,2 aufzuweisen.

Daher stieß denn auch die in den siebziger Jahren vom Hamburger Medizinalkollegium auf Grund wissenschaftlicher Untersuchungen gemachte Wahrnehmung, daß das „rohe“ Elbwasser als Getränk nicht mehr unbedenklich sei, zunächst auf fast allgemeines Kopfschütteln. Nach und nach bildete sich indessen eine Partei, die für die Filtration eintrat. Diese Filtration war sehr gut durchführbar, das lehrte das Beispiel des benachbarten Altona, das schon seit 1859 sein bei Blankenese geschöpftes Elbwasser in eine silberklare Flüssigkeit verwandelte.

Ferner machte Hamburg ähnliche Wahrnehmungen, wie schon so manche andere Städte, die Wasser aus Flüssen und Landseen unfiltriert in ihre Röhren leiten: mancherlei Bewohner des feuchten Elementes, in erster Linie der geschmeidige Aal, machen die Wanderung ihrer Umgebung mit und verstopfen nachher die Hausleitungen in störendster Weise, zum Schaden des Geldbeutels und des Appetits der hiervon betroffenen Einwohner. Die trüben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 864. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_864.jpg&oldid=- (Version vom 11.10.2016)