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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

er auf nur 50° C. erwärmt wird. Diese Wärme wird nun mit Leichtigkeit schon bei einer gelinden Reibung an einer rauhen Fläche erzeugt, und man war bald darauf gekommen, den leicht entzündbaren Körper zur Herstellung von Feuerzeugen zu benutzen. In der That wurden derartige Versuche schon in den ersten Jahren des neunzehnten Jahrhunderts angestellt, aber die ersten Phosphorfeuerzeuge waren höchst unvollkommen und gefährlich; man sollte reinen Phosphor unter Wasser in Fläschchen aufbewahren, dann stückchenweise hervorholen und schließlich durch Verreibung auf Leder entzünden.

Als nun Kammerer von der ersten Mischung, die er zur Herstellung der Köpfchen für seine Zündhölzchen erdacht hatte, nicht befriedigt wurde, stellte er eine neue her, in welcher neben chlorsaurem Kali noch Phosphor enthalten war. Die Zündhölzchen versagten jetzt nicht mehr; denn der Phosphor entzündete sich selbst bei gelinder Reibung und zersetzte das chlorsaure Kali, welches dabei den nöthigen Sauerstoff lieferte, um den Schwefel zu entzünden und eine lebhafte Verbrennung möglich zu machen. Die Idee fand Anklang, und in Wien entstanden unter Leitung von Stephan Römer und J. Preshel die ersten größeren Fabriken, welche Phosphorhölzchen lieferten.

Aber auch diesen Hölzchen hafteten schwere Mängel an. Die Mischung von Phosphor und chlorsaurem Kali explodiert mit solcher Gewalt, daß man mit ihr Bomben füllen könnte, und so kam es, daß bei der Fabrikation viele schwere Unfälle sich ereigneten und das Verfahren in vielen Ländern verboten wurde. Die neuen Zündhölzchen waren wilde Gesellen, die erst gezähmt werden mußten, und diese Zähmung gelang schließlich den Wiener Fabrikanten, indem sie das chlorsaure Kali in der Köpfchenmasse durch Stoffe ersetzten, die langsamer Sauerstoff abgaben, durch Mennige, Bleisuperoxyd oder guten Braunstein. Damit war die erste Stufe der Vollendung in der Herstellung der Zündhölzchen erreicht; die Welt erhielt Phosphorhölzchen, wie sie noch heute gemacht werden, und sie verdankt dieselben vor allem den deutschen und österreichischen Erfindern Kammerer, Preshel und Römer.

Aber die Menschen sind nun einmal anspruchsvoll, und so hatten sie auch an den ersten brauchbaren Zündhölzchen vieles auszusetzen. Der Gestank, den der Schwefel beim Verbrennen erzeugt, störte sie, und dem wurde auch insofern Rechnung getragen, als man für feinere Ware den Schwefel durch Paraffin ersetzte, in welches die Hölzchen getaucht wurden, bevor man das Köpfchen anbrachte. Viel wichtiger war aber ein anderer Einwand: der weiße Phosphor ist ein heftiges Gift, eine geringe Anzahl von Köpfchen genügt, um einen Menschen ums Leben zu bringen, und in der That griffen Gift- und Selbstmörder vielfach zu den leicht zugänglichen Hölzchen. Unter den Phosphordämpfen, die sich während der Verarbeitung entwickelten, hatten auch die Arbeiter schwer zu leiden, indem bei ihnen die Knochen des Ober- und Unterkiefers abstarben, die „Phosphornekrose“ der Knochen entstand. „Gifthöhlen“ nannte man die Zündholzfabriken, und am schlimmsten sah es dort aus, wo der kleine Mann die Herstellung der Hölzchen als eine Art Hausindustrie betrieb.

Wie betrübend diese Thatsachen auch waren, so konnten doch die Fabrikanten auf die Verwendung des Phosphors nicht verzichten, und die Welt hatte sich derart an die Zündhölzchen gewöhnt, daß ein Verbot der Anfertigung geradezu undenkbar war. Die Regierungen waren darum bestrebt, die Uebelstände wenigstens zu mildern, und erließen Verordnungen, durch welche die Phosphorvergiftung in den Fabriken verhütet werden sollte. Es sollte für Reinlichkeit, für gründliche Lüftung der Arbeitsräume Sorge getragen werden, die Verwendung des Phosphors wurde beschränkt; so dürfen z. B in Deutschland in der Zündholzmasse nur 8% weißen Phosphors enthalten sein. Völlig konnte dadurch dem Uebelstande nicht abgeholfen werden, und noch im Jahre 1891 haben sich die Schweizer Fabrikinspektoren ohne Ausnahme dahin ausgesprochen, daß selbst die genauesten Vorschriften über den Bau und den Betrieb der Zündwarenfabriken nicht genügen, um Erkrankungen an Nekrose zu verhüten, und daß dies nur durch eine gänzliche Beseitigung des weißen Phosphors zu erreichen wäre.

So forderte wie die meisten Errungenschaften der Kultur auch das Zündhölzchen alljährlich seine Opfer, obwohl wir zur Ehre der deutschen Industrie hervorheben müssen, daß sie alles dransetzt, um die Arbeiter vor den mit der Fabrikation verbundenen Gefahren zu schützen. Die Phosphorvergiftungen sind in unseren Fabriken gottlob selten geworden, denn nach amtlichen Berichten ergaben sich für ganz Deutschland im Jahre 1887 nur 8 und im Jahre 1888 nur 3 Nekrosefälle, während im Jahre 1886 gar keine derartige Erkrankung vorgekommen war.

Im Jahre 1845 hat Lorinser in Wien zum ersten Male auf die bis dahin unbekannte Phosphorvergiftung aufmerksam gemacht. Es ist ein merkwürdiges Zusammentreffen, daß zu derselben Zeit und in derselben Stadt der schon genannte Römer eine Entdeckung machte, welche berufen war, später eine Umwälzung in der Zündhölzchenfabrikation zu bewirken und den gefährlichen weißen Phosphor entbehrlich zu machen. Indem Römer den Phosphor längere Zeit auf 240° bis 250° C. erhitzte, erhielt er eine neue Form desselben, eine rothbraune, völlig unkrystallinische Masse, die sich an der Luft nicht verändert, erst bei 250° C. entzündet und völlig ungiftig ist. Das ist der „amorphe“ oder „rothe Phosphor“.

Römer und Preshel stellten sogleich Versuche an, ob man durch den neuen Körper nicht den weißen Phosphor in den Zündhölzern ersetzen könnte. Sie fanden nun, daß ein Gemenge von chlorsaurem Kali, Schwefelantimon und amorphem Phosphor durch Reibung an einer rauhen Fläche sich wohl entzünde. Aber der Erfolg glich demjenigen, den Kammerer bei seinen ersten Zündhölzchen erlebt hatte, die Masse explodierte mit solcher Heftigkeit, daß das Köpfchen mit lautem Knall zersprang und brennende Massen umherflogen. Die Zähmung dieser Mischung wollte nicht gelingen.

Etwas später, gegen das Jahr 1850, trat der deutsche Chemiker Böttger mit einer sehr wichtigen Neuerung auf, welche den Beginn einer neuen Aera in der Zündholzfabrikation bedeutete. Er setzte die Köpfchenmasse aus chlorsaurem Kali und Schwefelantimon zusammen, indem er Gummi als Bindemittel benutzte, und stellte eine besondere Reibfläche her, die aus einem Anstrich bestand, der amorphen Phosphor enthielt. Strich man nun das Köpfchen über diese Masse, so entzündete sich infolge der Reibung hier und dort ein winziges Theilchen des amorphen Phosphors, dieses Fünkchen setzte wieder ein Theilchen des Zündholzköpfchens in Brand und löste die Explosion der ganzen Mischung von chlorsaurem Kali und Schwefelantimon aus.

Das waren also „schwedische“ Sicherheitszündhölzchen, die in Deutschland schon in den fünfziger Jahren in mehreren Fabriken nach der Böttgerschen Anweisung hergestellt wurden, aber damals gegen die Phosphorhölzer nicht aufkommen konnten. Man hatte sich an die letzteren gewöhnt, sie ließen sich so bequem anzünden; wenn die Reibfläche verloren ging, so genügte ein Strich an der Wand oder der Hose, um Feuer zu erlangen. Bei den neuen Hölzchen mußte man stets die Reibfläche mit amorphem Phosphor mit sich führen; war diese abgenutzt, so waren die Zündhölzchen unbrauchbar; denn sie versagten, wenn man sie an einer beliebigen rauhen Fläche rieb.

Allein im Anfang der sechziger Jahre wurde der hohe Werth der deutschen Erfindung anderswo erkannt. Der schwedische Ingenieur Lundström gründete die berühmte Fabrik in Jönköping. Die Masse der Zündköpfchen und der Streichfläche blieb die alte, aber die Schweden ersannen eine praktische Verpackung, lieferten die Hölzchen in den kleinen bequemen Schiebeschachteln, und so fiel das Haupthinderniß einer weiteren Verbreitung weg. Die „schwedischen Zündhölzchen“, wie sie jetzt allgemein genannt werden, entzünden sich nicht so leicht von selbst wie die alten Phosphorhölzer, sie sind darum feuersicherer und die Kinder können mit ihnen nicht so leicht Brände stiften; ferner sind sie giftfrei. Vor allem aber sind diese Sicherheitshölzchen als eine wahre Wohlthat für die Arbeiter in Zündwarenfabriken zu betrachten; denn der rothe Phosphor ruft keine Phosphornekrose hervor.

Kein Wunder also, daß die „Schweden“ einen förmlichen Siegeszug durch die Welt antraten, in Europa, Amerika eine Heimstätte fanden und selbst nach Asien und Australien, ja in den „dunklen“ afrikanischen Welttheil vordrangen. Während ihrer Blüthezeit stellte die Jönköpinger Fabrik jährlich Zündhölzchen im Werthe von 4 Millionen Mark her; bald sind ihr freilich in den verschiedensten Gegenden Nebenbuhlerinnen erwachsen, und namentlich in Deutschland besitzen wir eine Anzahl von Werkstätten, aus denen vorzügliche Böttgersche Sicherheitshölzer in schwedischer

Ausstattung hervorgehen. Sie haben sich derart eingebürgert,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 868. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_868.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2019)