Seite:Die Gartenlaube (1893) 885.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Vor dem Wagen der Puppenspieler.

ihren Nahmen und eine Menge Puppenkleider. Die andere birgt zwei Reihen Holzpuppen, mit samt ihrem Fädengewirre, alle splitternackt, denn sie müssen ja zu jeder Aufführung besonders angekleidet werden.

Die dritte endlich enthält den kostbarsten aller Schätze, die Manuskripte der Stücke, alte, in allen Farben schimmernde, schmutzige Hefte und Bücher, manche mit eingebrannten Löchern, andere mit abgerissenem Deckel, alle mit Stearinflecken. Das eine diente früher einem Kaufgeschäft zum Rechnungsbuch, daher sein Leinwandband, und das andere ist ein ehemaliges Notenheft, seinem roth und weiß geblümten Umschlag nach zu schließen aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts. Alle aber tragen außen auf dem Deckel neben der Nummer noch den Titel des Stückes, das sie enthalten, und sind mit großen deutlichen Buchstaben geschrieben, „so daß man es auch lesen kann“. Die Rechtschreibung ist in den meisten Fällen mehr als mangelhaft und, namentlich wo Fremdwörter wiederzugeben oder mundartliche Formen schriftlich festzuhalten sind, bis zum Komischen entstellt. „Der Kampf mit dem Drachen oder das goldene Vließ“, „Anne Liese und Fürst Leopold“, „Kunigunde, Fürstin von Waldeck“, „Gräfin Elfrida oder der Selbstmord aus Liebe“, „Griseldis“, „Genovefa“, „Der verlorene Sohn“ und „Rinaldini“ – das sind die Stücke, die sich hier finden. Daneben viele alte, die nicht mehr oder selten gespielt werden, auch Stücke aus dem neueren Volksleben wie das Wildschützenstück „Karl Stülpner“ oder „Der Fabrikarbeiter oder der Krieg in Amerika“, Märchen und Zauberstücke wie „Aschenbrödel“ und „Sneewittchen“, oder der Kunstbühne entlehnte Dramen „Die Wolfsschlucht“ (Freischütz) und „Philippine Welser“. Auch der „Faust“ findet sich noch hier und da, wird aber verhältnißmäßig selten gegeben.

Derselbe Kasten birgt dann noch einen zweiten Schatz, die Theaterzettel, die höchstens alle zehn Jahre neu gedruckt werden. Für ihre Erhaltung sorgt der Satz, der sich an ihrem Ende findet: „Man bittet die Zettel aufzubewahren, da sie am Schlusse der Spielzeit wieder abgeholt werden.“ Einige gehen gleichwohl in jedem Dorfe zu Grunde, und nach Jahren ist der Haufen beträchtlich zusammengeschmolzen, so daß sich ein Neudruck nöthig macht. Oft haben die Zettel mit dem gespielten Stück wenig mehr als den Namen gemein. Das Personenverzeichniß und die Inhaltsangaben, die man hier noch findet wie auf den Theaterzetteln der Kunstbühne des achtzehnten Jahrhunderts, weichen stark ab von dem, was der Zuschauer dann wirklich zu sehen und zu hören bekommt. Aber das Gedruckte stellt in diesen Fällen meist die ältere Fassung des Stückes dar.

Nahezu alle Stücke haben eine lustige Person, die durchweg „Kasper“ heißt. Häufig weist der Zettel besonders auf sie hin, so in „Doktor Faust“ mit den Worten: „Kasper wird heute nicht ermangeln, dem geehrten Publikum einen recht genußreichen Abend zu verschaffen, erstens als Schneidergeselle, zweitens als Diener bei Faust, drittens als Geisterbeschwörer, viertens als Nachtwächter.“ Seine Scherze, die nach Zeit und Ort sehr wechseln und meist auf grobem Wortwitz beruhen, finden gemeiniglich ungeheuren Anklang.

Die Stücke, welche zur Aufführung kommen, sind zum großen Theil ziemlich alt. Mit verschwindenden Ausnahmen haben alle Puppenspieler, trotzdem sie das Gegentheil versichern, Niederschriften derselben im Besitze. Nur bei einigen Familien, in denen Puppenbühnen lange erblich waren, und bei denjenigen jetzt selbständigen Besitzern von Puppentheatern, die ehedem bei solchen Truppen Gehilfen waren, ist dies nicht der Fall. Die alten Stücke wie „Genovefa“, „Griseldis“ gehen auf frühe Dramatisierungen von Volksbüchern zurück, das Fauststück meist auf Marlowes „Faust“, der seit dem Beginn des siebzehnten Jahrhunderts von den englischen Komödianten in Deutschland vielfach gespielt wurde.

Wenn die Bühne errichtet ist und alles oben im Saale hinter derselben bereit liegt, dann zieht sich die Familie zum Essen und Schlafen in den Wohnwagen zurück. Der Wagen wird immer so aufgestellt, daß die Thür von der Windrichtung

abgekehrt ist; wechselt diese, so wird auch der Wagen gedreht. Er

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 885. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_885.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2020)