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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)


„Frau Weber, Dein Mann hat mir das von Deinem Geburtstag gesagt und Line weiß gar nichts davon. Nicht das Allergeringste. Und häßlich ist sie auch nicht; der Commis bei Ahrt hat noch neulich gesagt, sie wäre hübsch und ich sollte sie vielmals grüßen, was ich gleich gethan habe. Und die Chokolade hat der Kapitän gestern gekauft - beste Sorte; vier Mark das Pfund. Er mochte es Dir nicht selbst geben - ich weiß nicht warum, aber er mochte nicht!“

„Ein Geschenk von mein Mann? Und er dachte an mein Geburtstag?“ Die untere Hausthür ging plötzlich wie von selbst auf und wir standen auf dem kleinen Flur, der nicht mehr so komisch roch wie ehemals.

„Ja, er sagte, Du wärest eigentlich ganz nett und Du läsest so gut vor, aber er möchte es nicht sagen!“ berichtete ich, und Jürgen nickte fortgesetzt mit dem Kopfe, als wenn er alles gehört hätte, was der Kapitän mit mir gesprochen hatte.

Das ärgerte mich etwas, wie jedermann begreifen wird; Frau Weber sah uns beide aber gar nicht an.

„Von mein Friedrich?“ sagte sie wie zweifelnd. „Würklich? hat er an mein Geburtstag gedach und schenk mich was? Oh, wo lange is es her, daß er mich was schenkte! Und nu denk er an mein Geburtstag, wo keiner an dachte, all die langen Jahrens!“

„Wir bekommen aber von der Chokolade etwas ab!“ rief ich noch einmal und Jürgen sagte dasselbe, was mich wiederum ärgerte. Er wußte doch eigentlich gar nichts davon und deshalb mußte ich ihm einen derben Rippenstoß geben, den er mit überraschender Promptheit erwiderte. Vermuthlich hatte er sich schon lange über mich geärgert, weil ich ganz allein die Unterhaltung führte. So kam es, daß mir uns ein wenig erzürnten und gar nicht merkten, daß Frau Weber plötzlich verschwunden war. Als sie wieder vor uns stand, wischte sie sich die Augen

„Liebe Zeit, Kinners,“ sagte sie und ihre Stimme war viel milder geworden, „man keine Streiterei! Da kommt bloß was Slimmes bei heraus, wo kein Mensch gut von hat! Und nu kommt ein in Stube, damit Ihr ein Sluck Wein kriegt, weil daß die Schokkolade noch nich fertig is. Abers heute nachmittag könnt Ihr man wiederkommen!“

Als wir in die kleine saubere Stube traten, kam der Kapitän uns entgegen. Er räusperte sich mehrere Male und gebrauchte öfters das schöne bunte Taschentuch mit den Schiffsbildern; sonst aber war er ganz unverändert. Nur als seine Frau die kleinen Spitzgläser mit gelbem Wein gefüllt hatte, hob er sein Glas mit etwas zitternder Hand. „Mein klein Frau, mein Friederike soll leben, und noch viele Jahrens! Nich wahr, mein Rike? Und nach die kleine Brauerstraße in Altna ziehst nich wieder, nich wahr?“

„Ganzen gewiß nich!“ sagte Frau Weber, während große Thränen ihr über die Wangen rollten. „Ganzen gewiß nich! Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden!“ Und dann gaben die beiden Eheleute sich einen Kuß und saßen Hand in Hand und so versunken nebeneinander, daß sie gar nicht merkten, wie Jürgen sich noch einmal verstohlen einschenkte. Denn er behauptete, er hätte zuerst kein volles Glas bekommen.

Als wir dann nach Hause gingen, war er sehr heiter und sagte, daß ein Geburtstag doch immer der schönste Tag im Jahre sei.

Dagegen protestierte ich eifrig; schon aus Aerger, weil ich das zweite Glas Wein nicht erhalten hatte; aber Frau Weber hat später immer Jürgens Ansicht beigepflichtet. Und sie mußte es eigentlich wissen.



BLÄTTER UND BLÜTHEN.



Brennender Frost. Die äußersten Gegensätze berühren sich, sind sich wenigstens oft in ihren Wirkungen ähnlich, und so ruft auch das Berühren äußerst kalter Gegenstände auf der Haut eine Art von Verbrennungserscheinung hervor. In Berlin befindet sich unter Leitung von R. Pictet ein Laboratorium, in welchem zu verschiedenen Zwecken eine Kälte bis –200° C. erzeugt wird, und in diesem Laboratorium sammelten die Forscher sehr lehrreiche Erfahrungen über Verbrennungen der Haut durch Frost, indem sie absichtlich oder unabsichtlich die Metallwände der Gefrierschächte berührten.

Vor allem fanden sie, daß diese Verletzungen durchaus nicht derselben Natur sind wie Verbrennungen, die durch Berühren heißer Gegenstände erzeugt werden. Trotzdem möge der einmal eingebürgerte Name beibehalten werden!

Es giebt zwei Arten von Frostverbrennungen, solche ersten und andere, schwerere, zweiten Grades.

Berührt man die auf etwa –80° C. oder darunter abgekühlte Metallwand eines Gefrierschachtes, so empfindet man an der betreffenden Hautstelle einen heftigen Schmerz gleich dem von einem Wespenstiche. Hat die Berührung nur einen Augenblick gedauert, so tritt eine Frostverbrennung ersten Grades ein. Die Haut röthet sich an der betroffenen Stelle lebhaft und nimmt am anderen Tage eine bläuliche Färbung an. Dabei empfindet man ein äußerst unangenehmes Jucken. Dieser Zustand dauert 5 bis 6 Wochen, wonach in der Regel Heilung eintritt.

Dauert die Berührung der Haut mit dem abgekühlten Metall etwas länger oder wird dieselbe mit stark abgekältetem Alkohol, Aether oder flüssiger atmosphärischer Luft benetzt, so entwickelt sich die Frostverbrennung zweiten Grades. Die betreffende Stelle der Haut wird augenblicklich abgetötet und löst sich ab. Es entstehen langwierige Eiterungen; die Wunden vernarben erst nach langer Zeit und zeigen stets einen bösartigen Charakter. Eines Tages fiel ein Tröpfchen flüssiger atmosphärischer Luft von einer Temperatur unter –200° C. Pictet auf die Hand und in demselben Augenblicke brachte sich der Forscher an derselben Hand eine starke Abschürfung der Haut bei. Die Abschürfung heilte in zwölf Tagen; die Frostwunde aber begann erst nach sechs Monaten zu vernarben.

Diese heftigen Erscheinungen zeigen sich dann, wenn die Abkühlung durch Leitung, d. h. durch Berührung mit kalten, nur Wärme gut leitenden Stoffen, erfolgt. Wird der Körper durch Strahlung allein abgekühlt, so tritt die Frostwirkung langsamer ein. So versenkte Pictet eines Tages versuchshalber den nackten Unterarm in einen auf –105° C. abgekühlten Gefrierschacht, ohne dessen Wände zu berühren. Der Arm war rings von der kalten Luft umgeben und kühlte sich ab, indem er seine Wärme ausstrahlte. Im Beginn des Versuches verspürte Pictet eine Empfindung, die sich schwer beschreiben läßt, aber von ihm durchaus nicht als unangenehm bezeichnet wird. Dann wurde die Haut unempfindlich, aber in der Tiefe stellte sich ein heftiger Schmerz ein, dessen Sitz in der Knochenhaut oder im Knochenmark zu suchen sein dürfte. Nach drei bis vier Minuten wurde die Haut blau und der Schmerz so heftig, daß Pictet seinen Arm zurückziehen mußte,

Aus anderen Versuchen, welche Pictet über die Einwirkungen des Frostes auf die Lebensprozesse anstellte, möchten wir noch die nachhaltige Widerstandskraft gewisser Thiere und Samen gegen hohe Kältegrade hervorheben. Süßwasserfische konnten bis auf –20° C. abgekühlt werden, so daß ihr Leib festgefroren war und beim Anschlagen in Eisstückchen zersplitterte. Thaute man dagegen derartig behandelte Fische vorsichtig auf, so kamen sie wieder zu sich und schwammen im Wasser umher; auch Frösche vertragen eine Abkühlung bis auf –28° C. Froscheier zeigten sich noch zäher; sie büßten ihre Entwicklungsfähigkeit selbst dann nicht ein, wenn man sie auf –60° C. abgekühlt hatte. Eier des Seidenschmetterlings vertrugen eine Kälte bis –40° C. Am widerstandsfähigsten aber erwiesen sich die Keime verschiedener Mikroorganismen, Algen und Bakterien; sie erwachten zum Leben selbst nachdem man sie der stärksten Kälte von etwa –200° C. tagelang ausgesetzt hatte.*     


Ein guter Rath. (Zu dem Bilde S. 888 und 889) Sylvester ist die Zeit der Fragen an das Schicksal. Ueberall spuken in der Nacht, da das alte Jahr einem neuen den Platz räumt, jene tausendfältigen Weissagespiele, mit deren Hilfe der Mensch den Schleier der Zukunft ein wenig lüften möchte, um zu sehen, welch ein Bild dahinter steckt. Und wo man all die Beweiskraft jener geheimnißvollen Zeichen und Andeutungen nicht mehr glaubt, da treibt man doch die alten Spiele als launige Belustigung. – Auch die eine der venetianischen Schönheiten auf unserem Bilde hat eine „Frage an das Schicksal“. Aber für sie giebt es in dem Zauberschatz des alten Aberglaubens kein Rezept, für sie dreht es sich nicht mehr um so allgemeine Fragen wie: „Werd’ ich in diesem Jahre einen Mann bekommen?“ oder: „Ist mein Zukünftiger groß oder klein, reich oder arm, gerade oder krumm?“ Für sie handelt es sich um eine ganz bestimmte, mit allgemeinen Winken nicht mehr zu erledigende Angelegenheit, für sie gilt es eine runde klare Lösung in dem nagenden Zweifel: „Was antwort’ ich ihm auf seinen Brief?“ Und da ist guter Rath theuer!

Nun, wo die Noth am größten, ist die Hilfe am nächsten! Die gute Freundin, der sie den Handel vorgetragen, weiß offenbar ganz genau, was man in solch einem Falle zu sagen hat. Mit italienisch lebhafter Gebärdenbegleitung entwickelt sie die Fäden eines äußerst diplomatisch gehaltenen Bescheids, ergeben lauscht ihr Gegenüber, verstummend vor so viel Schlauheit. Ob er aber befolgt werden wird, der gute Rath? Ja, das ist eben auch noch eine „Frage“!

Aus dem musikalischen Vogtland. Zu den eigenartigsten Zweigen der sächsischen Industrie gehört die Fabrikation musikalischer Instrumente im Vogtland. „Aus unbedeutenden Anfängen,“ so schreibt über sie Heinrich Gebauer in seinem ungemein reichhaltigen und schätzbaren Werke „Die Volkswirthschaft im Königreiche Sachsen“ (Dresden, W. Baensch), „in einem weltverlorenen Winkel des Gebirgs entstanden, hat sie sich zu einer Ausdehnung und Vielseitigkeit entwickelt, die ihresgleichen sucht, und beherrscht jetzt von ihrem abgelegenen Sitze aus den Weltmarkt.“

Um das Jahr 1580 flüchteten Protestanten, die um ihres Glaubens

willen verfolgt wurden, aus ihrer böhmischen Heimath auf das nahe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 891. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_891.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2020)