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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

für widerspenstige Frauen gebeten wurde, welches Gesuch indessen vom Kriegsministerium dahin entschieden wurde, die holde Weiblichkeit, die sich derlei Excesse zu Schulden kommen lasse, sei, falls der Ehemann selbst keine Abhilfe zu schaffen vermöchte, brevi manu zu exmittieren, d. h. kurzer Hand hinauszuweisen!

Manche rauhe äußere und innere Stürme suchten das Invalidenhaus heim. Als 1760 die Russen nach Berlin kamen, da berichtete an seinen König der damalige erste Kommandant, Oberst von Feylitsch, die Kosaken hätten ihn und sämtliche Offiziere und Gemeine aus dem Hause gejagt, hätten allen das Ihrige genommen, so daß mancher kein Hemd behalten habe. Und nicht viel besser ging es 1806. Napoleon gab sich zwar einen äußerst ritterlichen Anschein, indem er verkündigte, alle Invaliden sollten in ihrer Lage nicht nur erhalten, sondern sogar aufgebessert werden „in Erwägung, daß die alten Soldaten, welche ihrem Fürsten gut gedient, ein besonderes Recht auf Unser Interesse haben“. Der schlaue Korse wußte, wie man Soldatenherzen erobert! Da aber seine Behörden alle preußischen Kassen aufs gründlichste leerten, so blieb das allerhöchste Wohlwollen für die Invaliden auf das Papier beschränkt. Die armen Leute suchten sich in der Stadt ihren Unterhalt, oft durch Betteln, und es dauerte noch Jahre, bis der erschöpfte Staat wieder für sie sorgen konnte.

Auf dem Friedhof.

In der Märzrevolution 1848 wollte ein Volkshaufe, der vor das geschlossene Gitter zog, das Haus niederbrennen, indes gelang es der Beredsamkeit eines ehemaligen Oberfeuerwerkers, dies zu verhindern. Die in den Straßenkämpfen jener Tage gebliebenen Soldaten wurden auf dem Invalidenkirchhof beerdigt, 1854 aber nach dem ebenfalls im Invalidenparke errichteten Nationaldenkmal übergeführt, das ihre Namen sowie die der Gefallenen von Dresden und von Baden, im ganzen 475, der Nachwelt verkündigt.

Was die inneren Stürme betrifft, so ist zu vermelden, daß man zeitweilig damit umging, das Haus zum Teil in eine Artilleriekaserne, ein andermal in ein Lazarett zu verwandeln. Ja, General Roeder stellte 1835 sogar die gänzliche Auflösung in Friedenszeiten zur Erwägung, da viele Zimmer leer ständen und die Invaliden es vorzögen, ohne militärischen Zwang mit einer Zulage in ihrer Heimat zu leben.

Allerdings gab es mancherlei an Haus und Bewohnern zu bessern. Schon General von Kessel hatte die feuchten Fußböden des fast gar nicht unterkellerten Hauses beseitigt, später erwarben sich dann namentlich der General von Boyen, der Prinz Wilhelm (der spätere Kaiser Wilhelm I.) und General von Ollech, der Geschichtschreiber des Hauses, Verdienste mannigfacher Art. Das Kammerburschenwesen oder vielmehr -unwesen wurde früh abgeschafft; die Verheirateten lebten allein in ihrer mit einem Kochofen versehenen Stube nebst Kammer und die Unverheirateten in gesonderten Stuben.

So ist es im wesentlichen noch heute. Ist man an der Pförtnerwohnung am Thore vorüber, so tritt man in den südlichen Hof, dann, eine Stufe tiefer, über die Schwelle des einen Seitenflügels. Der schmucklose Flur ruft sofort den Eindruck einer Kaserne aus älterer Zeit hervor. Es ist ganz still, nur hier und da öffnet sich eine der vielen Thüren. Ein hüstelnder alter Krieger hinkt vorüber, oder am Geländer der Treppe schleicht ein blinder Greis die Stufen herunter. Derselbe Zugang mit seiner schier ärmlichen Einfachheit führt auch zu der im oberen Stockwerk gelegenen Wohnung des Gouverneurs (derzeit General der Infanterie von Grolman), deren vorderer und allerdings etwas stattlicherer Eingang sich an der Straße befindet. Der Kommandant, der dem inneren Dienst des Hauses vorsteht – gegenwärtig Generallieutenant von Blumröder – wohnt im anderen Flügel.

Augenblicklich befinden sich nur etwa 60 Unteroffiziere und Gemeine sowie 54 Offiziere im Hause, die in weit überwiegender Mehrzahl verheiratet sind. Die unverheirateten Mannschaften leben zu je dreien auf einer Stube zusammen. Da der den Offizieren angewiesene Platz ziemlich reichlich bemessen ward, so ist das ganze Haus besetzt, trotzdem früher anderweitig benutzte Räume zu Wohngelassen umgebaut wurden. Mancher alte General hat in diesen von einem Hauch altmodischer Behaglichkeit durchwehten Stuben schon einen friedlichen Lebensabend genossen. Und sein Sohn wurde wohl ebenfalls Offizier, und der Enkel, der als kleiner Kadett dem Großpapa General hier stramm seine Neujahrswünsche übermittelte, saß vielleicht nach einem halben Jahrhundert an derselben Stelle, neben demselben Ofen und ließ sich von seinem Enkel beglückwünschen.

Beim Kartenspiel.

Im Kasino der Offiziere befindet sich ein Glasschrank mit allerlei Reliquien, von denen unser Bildchen S. 11 einige darstellt.

Da sehen wir an der Spitze den Stern des Schwarzen Adlerordens, den der Alte Fritz trug; darunter eine bieder geformte Mütze Blüchers von erfreulicher Geräumigkeit, Medaillen auf Siege Friedrichs und historische Trinkgläser. Ferner Schwerins Tabaksdose und vor allem einen Feldbecher Napoleons I., der sich in seinem bei Waterloo erbeuteten Feldwagen befand.

Der Geburtstag des Alten Fritz, der 24. Januar, wird natürlich immer noch als ein besonderer Festtag des Hauses betrachtet, und ein Wohlthäter hat den Mannschaften eine Stiftung gemacht, aus deren Ertrag sie an diesem Tage Leib und Kehle extra erquicken dürfen. Mit viel Dienst behelligt man auch die noch leidlich leistungsfähigen alten Knaben nicht; ein bißchen Patrouillieren im Hause, der Wächterdienst an der Siegessäule auf dem Königsplatz, hier und da ein Kleider-Appell – das ist so ziemlich alles. Schießwaffen haben sie gar nicht. Manche gehen auch tags über irgend einer Civilbeschäftignng nach, wobei sie dann selbstverständlich Civilkleidung tragen, nicht die an ihrem etwas vorweltlichen Schnitt, den weißen Knöpfen und dem B (Berlin) auf den Schulterklappen kenntliche Uniform. Wer abends über 9 Uhr ausbleiben will, hat sich wie in der Kaserne einen Urlaubspaß zu erbitten. Die Familien erhalten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_010.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2023)