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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


links manchen Gruß mit den Vorübergehenden; die sahen ihm wohlgefällig nach, denn sie kannten ihn gut: das war ja Albrecht Kamphausen, des alten Leupold Mündel, sein Adoptivsohn, sein Liebling, so barsch er das auch immer bestritt. „Hat sich was – Liebling! Hab’ keinen Liebling! Weichliches Frauenzimmergewäsch!“

Albrechts Vater war Leupolds bester Freund gewesen, noch von der Schulbank her. Sie waren von Klasse zu Klasse zusammen aufgerückt – langsam, denn das Lernen war ihnen beiden verhaßt gewesen – Sie hatten jede freie Stunde miteinander im Boot auf Fluß und See verbracht, sie waren nachher auf dasselbe Schiff gekommen und hatten alles miteinander geteilt … Brot und Koje, Hunger und Prügel. Die beiderseitigen Eltern gaben die Jungen als halb verlorene Söhne auf: wer in der Schule nichts lernen wollte, der taugte nichts. Julius Kamphausens Vater war ein kleiner Beamter, hatte sieben Kinder und war froh, den unnützen Brotesser, aus dem doch nichts Rechtes werden würde, los zu sein. Erich Leupold war der Sohn eines unbemittelten Professors, er hatte nur noch eine einzige, bedeutend jüngere Schwester – ein wunderschönes zartes Kind, der Stolz der Eltern, die der Kleinen eine ganz besonders sorgsame Erziehung zu geben beschlossen, nachdem der Sohn ihnen so völlig „mißraten“ war. Inzwischen bestanden die beiden Freunde mit Ehren ihr Steuermannsexamen und mußten sich nun trennen. Erich zeigte für sein Fach eine hervorragende Befähigung und hatte auch Glück, es dauerte nicht lange, da war er Kapitän; natürlich nahm er auf seiner ersten selbständigen Reise den Freund als Obersteuermann an Bord. Auch in diesem Verhältnis vertrugen die beiden sich vortrefflich. und als dann auch Kamphausen den Befehl über ein eigenes Schiff erhielt, ging ihnen die Trennung sehr nahe.

Leupold blieb Junggesell, sein Freund heiratete nach einiger Zeit ein ganz armes Mädchen, das er nach kaum vierjähriger Ehe als Witwe zurückließ – ein Sturm im griechischen Archipel vernichtete das Schiff samt der ganzen Bemannung. Der trostlosen Frau nahm sich Leupold nach Kräften an, obgleich er sich bis dahin wenig um sie und ihr Söhnchen bekümmert hatte, denn er hielt Kamphausens Heirat für „Blödsinn“ und mit „Krabben“, wie er die kleinen Kinder nannte, wußte er nichts anzufangen. Er ließ die junge Frau mit dem Knaben nach Kiel kommen, wo gerade sein Schiff vor Anker lag, um das Notwendigste für die nächste Zeit mit ihr zu besprechen. Die beiden suchten ihn auf der „Möwe“, seinem stolzen Schiff, auf, Leupold stand, anscheinend teilnahmlos, auf dem Achterdeck, ihre Ankunft zu erwarten. Da hörte er seine Matrosen lachen. „Was’n spassiger Kerl!“ „Gott’s ein Donner, nu’ seh’ ein’ bloß, wie der kleine Racker lacht!“ Neugierig bog sich der Kapitän ein wenig vor. Unten in der Jolle, die seine Gäste an Bord schaffen sollte, sah er eine junge schwarzgekleidete Frau sitzen, die mit beiden Armen ein Bübchen umklammert hielt, einen kaum dreijährigen Wicht, der mit den Beinchen strampelte und die dicken kleinen Hände ineinander schlug, daß die Mutter Mühe hatte, ihn zu halten. Dazu jauchzte der Bursche aus voller Kehle. Der Mann, der die Ruder führte, lachte, die Leute auf den ringsnm liegenden Schiffen lachten, alles freute sich über den Knirps; nur die eigene Mutter lachte nicht mit, sondern hatte große traurige angstvolle Augen. Aber der alte Leupold schmunzelte, und als er die beiden oben auf seinem Schiff hatte, da ließ er die junge Frau ihre Anrede: „Ich bringe Ihnen Ihr Patchen, wie Sie gewünscht“, gar nicht vollenden. „Was Patchen! Komm hoch, Junge – so! Angst vor mir?“ Und als der Kleine ihm statt der Antwort auf die Schulter stieg und Anstalten traf, von da aus geradeswegs die Strickleiter in die Höhe zu gehen, in den Mastkorb hinauf, da verklärte sich sein strenges Gesicht. „Sieh, sieh, Albrecht Kamphausen, so sind wir gesonnen? Na, das kann eine gute Freundschaft werden!“ Verächtlich musterte er dann die weißen Röckchen des Kindes. „Ziehen Sie ihm doch den Plunder aus, Madame, daß er wie ’n Junge aussieht; ’nen richtigen Matrosenanzug muß er haben!“ Da hatten der jungen Frau die Augen geflammt. „Matrosenanzug? Daß er sich von früh auf daran gewöhnt und mir später auch zu Schiff geht, nicht wahr? Herr Kapitän, er soll alles andere werden, nur nicht Seemann.“ Worauf Leupold den Knaben kaltblütig von seiner Schulter herunternahm und auf den Boden setzte. „Ganz wie Sie wünschen! Da, lauf, Du Krabbe!“

Sein Anteil an dem Kinde schien erloschen, er besprach geschäftsmäßig mit der Mutter alles weitere, wies ihren Dank trocken zurück und brach das Zusammensein so kurz ab wie nur möglich. Jahrelang sah er sein Patenkind nicht wieder, er ließ sich seine Zeugnisse schicken, zahlte ihm Taschengeld, unterstützte die Mutter und kümmerte sich weiter um nichts. Albrecht Kamphausen wuchs inzwischen heran, bildhübsch und begabt; er hatte ein merkwürdiges Interesse für seinen Vormund, obgleich die Mutter es mit keinem Wort nährte; im übrigen machte er es wie einst sein Vater: jede freie Stunde im Boot, jede abgesparte Mark für Reisebeschreibungen, beides heimlich, denn der Junge liebte seine Mutter und wollte sie nicht betrüben. Aber er mußte das doch thun, als nun die Berufswahl an ihn herantrat und er erklärte, Seemann und nichts anderes! Sie setzte sich verzweifelt zur Wehr, flehte ihr Kind an in Angst und Thränen – der schöne junge Mensch küßte ihr die Thränen weg und sagte, er kenne seine selbstlose gute Mutter, sie werde seinem Lebensglück nicht im Wege stehen. Was sollte, was konnte sie thun? Die nötigen Mittel hatte sie nicht, aber Pate Leupold, der sich inzwischen zur Ruhe gesetzt, hatte sie und gab sie auch. Als er den entscheidenden Brief empfing, schlug er sich aufs Knie, daß es schallte, und rief triumphierend: „Hat mich die Krabbe also damals doch nicht betrogen!“ wie wenn der Dreijährige ihm dazumal ein Versprechen gegeben hätte.

Fortan war große Freundschaft zwischen dem Kapitän und Albrecht Kamphausen. Manchmal freilich war der junge Marineoffizier dem alten Seebären zu „fein“ und mußte ein paar spitze Redensarten einstecken, im allgemeinen aber stand Onkel Leupolds Herz ebenso wie sein Geldbeutel dem jungen Mann jederzeit offen; und jetzt zumal, da Albrecht wohlbestallter Korvettenkapitän auf Seiner Majestät Schiff „Nixe“ geworden war und im Begriff stand, seine erste Fahrt als solcher nach den chinesischen Gewässern anzutreten, war des alten Mannes Seele von Freude erfüllt und er gestand sich ganz insgeheim, daß er stolz auf „seines alten Kamphausen Jungen“ sei und daß er ihn beinahe lieber habe als seine leiblichen Anverwandten.

Mit diesen hatte er auch in der That wenig genug zu thun. Seine um so viel jüngere Schwester war im Elternhause immer wie eine Prinzessin behandelt worden, und wenn Erich, der ein etwas unbeholfener Junge gewesen war, das feine Püppchen einmal anfassen wollte, dann hieß es gleich: „Sei doch nicht so derb! Du brichst sie ja entzwei!“ So gewöhnte er sich daran, das zarte goldhaarige Geschöpf aus der Ferne zu bewundern. Als Elisabeth dann erwachsen war, kam er nur selten nach Hause und konnte ihr gegenüber keinen geschwisterlichen Ton finden, sie war ihm fremd geworden. Die Eltern sahen noch ihren Lieblingswunsch erfüllt: das Kind ihres Herzens machte eine glänzende Partie. Wenigstens ließ sich alles danach an. Der Bräutigam war ein Freiherr von Doßberg, vom ältesten Adel, Großgrundbesitzer, eine vornehme Erscheinung und derart bezaubert von Elisabeth, daß sein Entzücken selbst ihren in dieser Richtung recht anspruchsvollen Eltern genügte; es gab nichts, was ihm für seine reizende Braut gut und schön genug gewesen wäre, und er überschüttete sie mit Kostbarkeiten. Leider stellte es sich hinterher heraus, daß diese Geschenke mit seinen Verhältnissen durchaus nicht im Einklang standen. Der junge Freiherr war für seine Person keineswegs ein Verschwender, dabei ein strebsamer Landwirt. Allein seine Vorfahren hatten flott gelebt und das herrliche, jahrhundertelang im Besitz der Familie befindliche Gut heruntergebracht, so daß der jetzige Freiherr, selbst bei äußerster Sparsamkeit, sich kaum darauf hätte behaupten können. Wie aber konnte er sparsam sein, da seine angebetete junge Frau, zart und schwach wie die empfindlichste Treibhauspflanze, die sorgsamste Pflege brauchte! Er mußte mit ihr, die er doch unmöglich allein reisen lassen durfte, die kostspieligsten Bäder besuchen, mehrere Winter im Süden zubringen und alles thun, um sie sich selbst und den beiden Kindern, die sie ihm geboren, zu erhalten! Dazu kam, daß Doßberg es nie über sich gewann, Elisabeth zu sagen, wie es mit seinen Vermögensverhältnissen stand. Er hatte sie von Anfang an wie ein geliebtes, sehr verwöhntes Kind behandelt, und sie hatte sich das willig gefallen lassen. Jetzt aber war es zu spät, sie ins Vertrauen zu ziehen. Seit fast zwei Jahren war Elisabeth unheilbar krank, unweigerlich an ihr Zimmer und fast immer ans Bett gefesselt – eine Aufklärung über den Ruin, der ihrem Gatten drohte, hätte sie töten können. Sie selbst täuschte sich über ihren Zustand, hoffte immer wieder auf Besserung, versprach sich viel vom Frühling, machte Pläne für den Sommer, und die Ihrigen stimmten ihr bei und bauten Luftschlösser, deren

Unhaltbarkeit sie am besten kannten. Jetzt war es nicht schwer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_014.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)