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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

mehr, die arme Frau zu betrügen; sie kam nicht mehr hinaus, sah nur noch Mann und Kinder – wie sollte sie ahnen, daß die beiden schönen Vorwerke, die zu ihrem Gut gehört hatten, längst in fremden Händen waren, daß der prachtvolle Waldbestand gelichtet, der Garten ungepflegt, mehr als die Hälfte der Dienerschaft entlassen war? Die alten kostbaren Gobelins, die herrlichen Kunstmöbel, die Schränke von eingelegter Arbeit, die Schnitzereien und Bilder, an denen sie sich einst erfreute, Dinge, welche die Gesellschaftsräume im anderen Flügel des Hauses bargen, das alles war längst verkauft. Es hatte den Herrn des Hauses einen schweren Kampf gekostet, sich von diesen Schätzen zu trennen, aber er hatte sie geopfert, um das Gut, das Familiengut, an dem er mit allen Fasern seines Herzens hing, zu retten. Seinen kostbaren Viehbestand, seine edeln Pferde hatte er hingegeben, er hätte trockenes Brot essen mögen, um den alten Besitz zu halten. Tropfen in ein Meer! Die Kinder des Hauses, eine achtzehnjährige Tochter und ein Junge von sechzehn Jahren, der in St. das Gymnasium besuchte, konnten oder wollten auch nicht durchschauen, wie es um den Vater stand, trotz der Veränderungen, die nach und nach in Haus und Wirtschaft Platz gegriffen hatten, und jedenfalls sprachen sie nicht weiter von dem, was sie etwa gemerkt hatten; die Jugend ist sorglos und verschließt Auge und Ohr absichtlich oder unbewußt gegen unbequeme Mahnungen.

Nur der alte Leupold war genau unterrichtet. Er besuchte den Schwager und die kranke Schwester, deren Gut kaum vier Meilen von St. entfernt lag, sehr selten, aber seine alten Freunde, die Kapitäne und Lotsen, trugen ihm allerlei zu, was ihm zu denken gab. Es that ihm leid, denn er hatte die Kinder gern, aber helfen konnte er nicht, selbst wenn er es gewollt hätte. Sein erspartes Vermögen machte nur einen Bruchteil dessen aus, was der Schwager brauchte, um sein Fahrzeug wieder flott zu machen. So begnügte er sich, seiner Nichte, wenn sie gelegentlich zur Stadt kam, ein paar Goldstücke in die Kleidertasche zu schmuggeln, und seinem Neffen, dem Obersekundaner, stille Wünsche in Bezug auf Theaterbillets, Schlittschuhe und Cigaretten zu erfüllen – viel weiter ging sein Anteil nicht. Am Krankenlager seiner Schwester fühlte er sich verlegen, das Netz von kleinen Lügen und Beschönigungen, mit dem man sie umsponnen hielt, hätte er am liebsten mit einem derben Ruck zerrissen, und für seinen Schwager, so sehr er ihn jetzt bedauerte, hatte er nie Verständnis gehabt. Ein Mensch, der nicht den Mut zur Wahrheit besaß, gleichviel, aus welchen Gründen, konnte einem Charakter wie dem Leupolds nicht sympathisch sein. Das einzige Bindeglied zwischen den beiden ungleichen Naturen waren Doßbergs Kinder; der Freiherr war ein überaus zärtlicher Vater, und Leupold „konnte nicht umhin,“ wie er zuweilen mit einer Art von Bedauern äußerte, „die Kinder gern zu haben, weil doch manches in ihnen steckte, was selbst die verrückteste Erziehung nicht ganz auszutreiben vermochte“.




2.

Jan Grenboom, der in der kleinen Küche herumhantierte, sah den jungen Kamphausen kommen und öffnete ihm die Thür.

„Morgen, Jan!“

„Morgen, Kap’tän!“

„Alles klar?“

„Klar!“

„Wo?“

„Im Achterdeck!“

Dies war Leupolds Hinterstube, in der er sich mit Vorliebe aufhielt. Er saß dort und leimte und bastelte an einem japanischen Lacktischchen herum, das eins der zierlichen überschlanken Beine verloren hatte. Der helle Sonnenschein, der durch die grünen Ranken vor dem Fenster fiel, tauchte die „büßende Magdalena“ in eine zitternde Lichtflut, die Brust unter dem Wellensturz des goldroten Haares schien zu atmen, zu seufzen, der verführerische Mund regte sich leise.

Als Kamphausen eintrat, legte der Papagei, welcher auf dem breiten Fensterbrett zwischen Haarlemer Tulpen herumkletterte, bedächtig den Kopf auf eine Seite, blinzelte mit einem Auge schlau zu dem neuen Gast hinüber und meldete ihn seinem Herrn mit einem schnarrenden „Gut Freund, gut Freund!“ an. Dido, das Aeffchen, das neben Leupold auf dem Stuhl kauerte und ihm aufmerksam auf die Hände sah, blickte nur flüchtig auf und vertiefte sich dann aufs neue in seine wichtige Beschäftigung.

„Servus, Kapitän!“

„Servus, Kapitän! Komm’ her, setz’ Dich!“

Der alte Leupold hatte sich’s verbeten, von Albrecht mit „Onkel“ angeredet zu werden, das sei gut für Kinder, aber nichts für ausgewachsene Männer. Sein liebster Titel sei und bleibe „Kapitän“, und gottlob könne er ja den jungen Mann auch so nennen – das sei das beste für sie beide.

„Ist’s nicht jammerschade?“ Leupold hielt seinem Gast das invalide Tischchen hin. „Jan Grenboom, das alte Nilpferd, stolpert über das Fell des Eisbären dort und stützt sich mit seiner ganzen Schwere auf das niedliche Ding. Krach, und das Bein ist ab!“

Albrecht war offenbar durch den Schaden, den Jan Grenboom angerichtet hatte, nicht sehr gerührt. Er hatte sich leicht in den Sessel zurückgelehnt, seine Rechte spielte mechanisch mit einem Zipfel der Tischdecke, in seinen emporgerichteten Augen stand ein ernstes Nachsinnen. Leupold sah mit zusammengezogenen Brauen von seinem Tischbein empor. „Hm? Also? Wann geht’s los?“

„Heute in acht Tagen, Kapitän! Am vierzehnten!“

„Alle meine Adressen sorgfältig aufgeschrieben?“

„Sehr sorgfältig.“

„Werden Dir gute Dienste thun in Shanghai, in Yokohama, in Bangkok.“

„Ich zweifle nicht daran und bin Dir sehr dankbar.“

„Unsinn!“

Es war ein Weilchen still. Cato hatte sich auf seine Messingstange verfügt, er hing mit einer Kralle am Querstab, den Kopf nach unten, und schaukelte sich unermüdlich hin und her, sich von Zeit zu Zeit leise selbst ermahnend: „Laß’ das dumme Schaukeln! Das dumme Schaukeln!“

„Ich wollte Dich um etwas bitten, Kapitän, Dir etwas sagen,“ begann Kamphausen, ein wenig stockend.

„Steh’ zu Diensten! Ganz Ohr! Ist’s –?“ Der Alte klopfte sich mit vielsagender Miene auf die Tasche.

„Pfui!“ sagte Albrecht. „Ich als wohlbestallter Kapitän, und nach allem, was Du für mich gethan hast!“

„Könntest ja Schulden haben.“

„Ich hab’ Dir doch neulich gesagt, ich hätte keine! Hältst Du mich für einen Lügner?“

„Nein, aber man kann heute keine Schulden haben, und morgen hat man.“

„Das ist nicht mein Fall. Nein, es ist – ist –“

Hier öffnete sich die Thür und Jan Grenboom erschien mit einem Präsentierbrett. Sofort ließ der Papagei ein schmetterndes Lachen hören und flog ihm auf den Kopf, während Dido mit einer blitzschnellen Bewegung an seinem Halse hing und die dünnen grauen Aermchen liebkosend um die Schultern des Alten legte. So, mit dem Vogel auf dem Kopf, den Affen an der Brust, trat Jan mit seinem Brett näher heran. Sein Herr warnte ihn mit einem scharfen Seitenblick vor dem Eisbärenfell.

„Alter Genever, Kapitän Albrecht, ’was Probates! Hier, frische Smyrnafeigen, letzte Ernte, und alter Chesterkäse, echter – Prindall ist vorige Woche von Portsmouth hereingekommen und hat mir diesen Freundschaftsdienst erwiesen. Säble Dir ’nen vernünftigen Schnitt runter! Nimm auch ’nen Genever, alte Robbe – aber purzelst Du mir nochmal über den Eisbären –“

Jan Grenboom brummte einen Laut der Erwiderung und stülpte das volle Glas in seinen offenen Mund hinein, als wollte er es samt seinem Inhalt verschlucken. Cato schrie eifrig: „Prost, Jan, Prost, Jan!“ und Dido griff in den Teller mit Feigen, um im nächsten Augenblick mit ihrem Raube oben auf der Gardinenstange zu sitzen.

„Wart’, Du naschhaftes Frauenzimmer! So sind sie alle, die Weiher! Können das Leckermaul nicht bezähmen! Jan, nimm das Geziefer mit!“ Leupold kaute auf beiden Backen und sah, als der Matrose samt Gefolge das Zimmer verlassen hatte, erwartungsvoll zu Kamphausen hinüber. Dieser aber schien vergessen zu haben, daß er vorhin in seiner Mitteilung unterbrochen worden war. Unverwandt starrte er das Bild der büßenden Magdalena an, das die Sonne noch immer mit einem funkelnden Goldnetz überflimmerte; er studierte das schöne Weib so genau, als sehe er es heute zum ersten Male.

„Hast Du Deinen ‚Korsar‘ mitgebracht?“ unterbrach der alte Kapitän das Schweigen.

„Ja, natürlich! Er liegt vor der Thür.“

„Sehr vernünftig von Dir, das Vieh draußen zu lassen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_015.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)