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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

der Chemie eine ganze Reihe solcher Mittel zur Verfügung gestellt wie Antipyrin, Antifebrin, Thallin, Kairin etc., welche indes alle ganz und gar nicht unschuldiger Natur sind, sondern sehr unangenehme Nebenwirkungen besitzen; der Laie greife darum keineswegs selbständig zu einer solchen Hilfe, sondern gebrauche sie nur auf ärztliche Anordnung! Auch Bäder mit kaltem Wasser, kalte Waschungen und Abreibungen gehören zu den kräftigen Abkühlungsmitteln, welche dem Fiebernden nur der Arzt verordnen darf, wenn damit nicht mehr Schaden als Nutzen gestiftet werden soll.

Jeder Fiebernde, und das ist von höchster Wichtigkeit, gehört in das Bett, er muß ruhen und geeignete Diät halten.

Bezüglich dieser Fieberdiät herrschen nun unter den Aerzten zweierlei einander entgegengesetzte Anschauungen. Die einen glauben, jede Zuführung von Nahrungsstoffen während des Fiebers gieße Oel ins Feuer; sie verweigern darum den Fiebernden jegliche Nahrung. Die anderen – und die Erfahrung spricht für sie – halten es für notwendig, daß auch der Fieberkranke ernährt werde, allerdings in einer seinem Zustande entsprechenden Weise, d. h. in einer solchen, welche den gesteigerten Zerfall des Körpereiweißes sowie die erhöhte Körpertemperatur berücksichtigt. In der That bedarf auch der Fiebernde eines Wiederersatzes für die Stoffe, welche er abgiebt, wie Wasser, Kohlensäure, Stickstoffverbindungen und Salze; und wenn ihm nicht eine entsprechende Ergänzung dieser Ausgaben geboten wird, so steht sein Organismus in der Gefahr der Selbstaufzehrung. Nicht leicht ist es aber, diesen Ersatz zu bewerkstelligen, wenn, wie es im Fieber zumeist der Fall ist, die Verdauungskraft, die Fähigkeit, die Nährstoffe einzuverleiben, daniederliegt.

Das Wasser ist ein Nahrungsstoff, welcher auch dem Fieberkranken unentbehrlich ist, vornehmlich wenn dieser selbst ein ganz besonderes Verlangen danach hegt, um den vermehrten Durst zu stillen. Aber auch wenn der Fiebernde nicht selbst zu trinken wünscht, oder wenn sein Zustand ein solcher ist, daß er keine Willensäußerungen von sich geben kann, wird es ihm zur Wohlthat, von Zeit zu Zeit frisches Wasser eingeflößt zu erhalten, das seine trockenen Lippen benetzt, den Mund befeuchtet und den Körper erfrischt. Die Zuführung kann entweder in Form von gewöhnlichem guten reinen kalten Trinkwasser erfolgen oder unter Zusatz von Eis, Zucker, Wein, Fruchtsäften, verdünnten Säuren. Auch dünne Mandelmilch oder eine schwache Abkochung von leicht geröstetem Reis, dünner Gerstenschleim, mit Wasser vermengte Milch, gewisse natürliche oder künstliche Säuerlinge können in Betracht kommen. Man muß dabei dem Zustande der Verdauungsorgane ebenso Rechnung tragen wie den Gewohnheiten und Geschmacksrichtungen des Kranken. Im allgemeinen ist es sehr zweckmäßig, dem Fieberkranken in regelmäßigen Zwischenräumen, etwa jede viertel oder halbe Stunde, eines der eben bezeichneten Getränke in kleinen Mengen eßlöffelweise zu reichen.

Die flüssige Form ist auch diejenige, in welcher dem Fiebernden die übrigen nötigen Nährstoffe am zweckmäßigsten verabfolgt werden, einerseits weil flüssige Speisen selbst von schwachen Verdauungsorganen leichter vertragen werden, anderseits weil es auf solche Weise am besten möglich ist, kleinere Mengen von Nahrung in häufigen Gaben zu bieten. Die neuere Forschung hat, übereinstimmend mit der alltäglichen Erfahrung, dargethan, daß besonders die den Pflanzen entstammenden stickstofffreien Nährstoffe, die sogenannten „Kohlenhydrate“ (Stärke, Zucker, Gummi), sowie die Leimstoffe die Fähigkeit besitzen, auf das Blut und Gewebe-Eiweiß erhaltend einzuwirken und so der ungewöhnlich heftigen Zersetzung des Eiweißes im Körper entgegenzuarbeiten. Das Eiweiß selbst braucht aus der Nahrung der Fiebernden nicht vollständig verbannt zu werden, doch kann dasselbe nur in geringen Mengen gereicht werden, weil es sonst an die Leistungsfähigkeit der geschwächten Verdauungsorgane zu hohe Ansprüche macht. Bei schwerem Fieber (40° C. und darüber), wo völlige Eßunlust, ja Widerwille gegen jegliche Nahrung vorhanden ist und die Verdauung vollständig daniederliegt, kann außer dem Wasser nur eine dünne Mehlsuppe geboten werden, ein Getränk, welches schon der Altmeister der Medizin, Hippokrates, für die Fieberdiät empfahl. Man bereitet solche Mehlsuppe aus Gerstenmehl, Hafermehl, Gries oder Reismehl mit Wasser und läßt sie mit einer Temperatur von 20 bis 25° C. trinken. Wenn das Fieber nicht zu hochgradig ist, die Beschaffenheit der Zunge auf keine übermäßige Herabsetzung der Verdauungskraft schließen läßt, oder in Fällen, wo die lange Dauer des Fieberzustandes die Sorge um Erhaltung der Körperkräfte gerechtfertigt erscheinen läßt, da ist eine Kost notwendig, welche neben den stickstofflosen auch stickstoffhaltige Nahrungsstoffe enthält, aber in Menge und Form dem geringen Verdauungsvermögen Rechnung trägt. Hier spielen die Hauptrolle im Küchenzettel Fleischbrühe, namentlich die leimreiche Kalbfleischbrühe, Suppe aus Kalbsfüßen und etwas Kalbfleisch, Brühe mit Zusatz von Gelatine (einem aus Knorpel und Knochen hergestellten feinen Leime), Fleischbrühe mit Eiweißzusatz. Diese flüssigen Speisen müssen mehrmals des Tages, aber jedesmal in kleinen Portionen gegeben werden. Wenn Milch nicht, wie dies leider oft der Fall ist, auf besonderen Widerwillen der Kranken stößt, so ist sie ein vorzüglicher Bestandteil der Fieberkost. Man verdünnt sie, wenn starke Verdauungsbeschwerden vorhanden sind, mit einem bis drei Teilen Wasser und setzt ihr eine kleine Menge Kochsalz zu oder man giebt eine Mischung von Getreidemehlsuppe mit einem Drittteil Milch. Damit im Magen nur kleine Gerinsel zustande kommen, darf der Kranke die Milch nur langsam und in kleinen Schlucken mit größeren Zwischenpausen trinken.

Die hier aufgezählten Nahrungsmittel müssen dem Fiebernden, wie gesagt, mehrere Male des Tages und auch, um den Kräfteverfall zu verhüten, während der Nacht gereicht werden. Am meisten Eßlust zeigen die Kranken des Morgens, wo gewöhnlich Nachlaß des Fiebers eintritt. Diese Zeit muß benutzt werden. Aber auch sonst, wenn plötzliche Schwäche, besonders der Herzthätigkeit, sich zeigt, ist rasche Verabreichung eines Reizmittels, etwa einer kräftigen, mit Liebigschem Fleischextrakt versetzten Fleischbrühe, eines starken Theeaufgusses, auch alten Ungarweins, notwendig. Seitdem durch die medizinische Forschung nachgewiesen worden ist, daß bei fieberhaften Krankheiten durch alkoholhaltige Getränke die Körpertemperatur eher herabgesetzt als gesteigert wird, gestatten die Aerzte auch Fiebernden den Genuß von Wein, selbst Cognac, rein oder mit Wasser zu gleichen Teilen, um das Herz zu lebhafter Thätigkeit anzuregen, oder um die Unruhe zu mindern und den Schlaf zu fördern. Wohlgemerkt, der Arzt muß hierüber die Entscheidung fällen.

Wenn das Fieber beträchtlich nachgelassen oder überhaupt nur einen geringen Grad erreicht hat, wenn die Verdauung nicht wesentlich beeinträchtigt ist und der Kranke Verlangen nach Nahrung trägt, kann diese in ausgiebigerer Weise geboten werden, aber immer vorwiegend flüssig und in geringen Einzelgaben. Da sind Fleischbrühen mit Zusatz von „Peptonen“, jenen leicht löslichen Eiweißverbindungen, die man durch Behandeln von Fleisch mit verdünnter Salzsäure und Pepsin erhält, ferner frisch bereiteter, durch Auspressen rohen Muskelfleisches gewonnener Fleischsaft, gut gequirlte rohe oder weich gekochte Eier, rohes geschabtes Fleisch oder leicht gebratenes, vorher geschabtes Fleisch, Milchspeisen u. a. m. gestattet. Die Speisen müssen genügend mit Kochsalz gewürzt werden, sowohl um die Eßlust anzuregen, als um den Körperverlust an Nährsalzen zu decken. Fette sind ganz zu verwerfen, weil ihre Verdauung durch die verringerte Aufsaugungskraft des Darmes bedeutend erschwert ist. Hingegen ist die Zuthat von Säuren zweckentsprechend, weil im Magensafte der Fieberkranken die Säuremenge vermindert ist. Der so sehr beliebte Kaffee, welchen mancher Mensch gar nicht entbehren zu können glaubt, ist ebenso wie Kakao für Fiebernde ungeeignet, weil beide Getränke auf die Darmthätigkeit der Kranken ungünstig einwirken. Thee ist jedenfalls vorzuziehen; ein liebenswürdiger Arzt wird jedoch, wenn der Patient durchaus nach Kaffee lechzt, diesen in recht verdünntem Zustande mit Milch gestatten und auch gegen den Zusatz von Zucker keine Einwendung erheben.

Eine fürsorgliche Wartung ist für jeden an Fieber Daniederliegenden unschätzbare Wohlthat, eine sorgsame Ueberwachung desselben aber unter allen Umständen dringende Notwendigkeit. Die zärtliche Mutter, die treue Gattin, welche mit dem geschärften Auge hingebender Liebe die Wünsche von des Kranken Lippen lesen, ihm Kühlung zufächeln, Erfrischung reichen, Beruhigung zuflüstern, sie sind unersetzliche Helferinnen in der Not, und manch kostbares Leben, das von Fieberglut bedroht war, verdankt seine Rettung mindestens ebenso sehr der aufopfernden weiblichen Pflege wie der ärztlichen Hilfe. Glücklich derjenige, dem auch „im Fieber“ der gute Engel in Gestalt einer liebevollen Pflegerin zur Seite steht!




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_019.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)