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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


„Natürlich! Wo so ein Pratzl hingreift, da halt’t kein Holz nimmer stand.“

„Ich hätt’s ja wieder gemacht,“ stotterte Schweiker, „aber ich hab’ mich nicht getraut, daß ich den Spieß rasten laß’.“

„Du Unglücksmensch! Hast mir am End’ gar den Braten schon verbrennen lässen?“ Erschrocken beugte sich Wampo über das kreisende Rippenstück; doch er atmete erleichtert auf. „Gott sei Dank! Aber lang hätt’s nimmer gedauert, so wär’ das Unglück fertig gewesen. Gieb her!“ Geschäftig schob er mit dem Ellbogen den Bruder beiseite und übernahm wieder die Sorge für den Braten. Schweiker erhob sich, ließ den Kopf hängen und ging davon.

Eberwein saß in Sinnen vertieft und blickte mit träumerischen Augen über die sonnige Matte hinweg oder nieder in das Spiel der Wellen. Da klang vom höheren Bergwald her eine singende Mädchenstimme, hell und jauchzend. Eberwein hob lauschend den Kopf, schaute gegen den Wald hinauf und dann hinüber zu Eigel. Der Kohlmann nickte und deutete über die Schulter, als wollte er sagen. das ist sie schon, da kommt sie! Immer näher klang die Stimme, und die Worte des Liedes wurden verständlich:

„Ich hab’ ein’ trauten Liebgesell,
Heija!
Der ist als wie der Wind so schnell,
Heija!
Und wenn ich reit’ auf grüner Au,
In Wald und tiefen Klüften.
Zieht hoch er über mir im Blau
Und grüßt mich aus den Lüften.
Heia ho! Mein Edilo,
Mein weißgefleckter Falke!

Es lag sein Horst weiß nicht, wie weit,
Heija!
Doch kennt er nicht das Heimeleid.
Heijn!
Und fliegt er noch so hoch und frei,
Mein Wink beruft ihn schnelle;
So minnet er mich fest und treu,
Recht wie ein Trautgeselle.
Heia ho! Mein Edilo,
Mein weißgefleckter Falke!“

Ein heller Jauchzer endete das Lied. Das Knacken brechender Aeste ließ sich im Wald vernehmen, gedämpfter Hufschlag näherte sich, und zwischen weichendem Gezweig erschien der Rappe, welcher Wazemanns Tochter trug. Von der Trense des Pferdes troff der Schaum, und in weißen Flocken hing ihm der Schweiß an Hals und Flanken; eine braune Bärendecke mit niederbaumelnden Tatzen verhüllte den Sattel, auf welchem Recka ruhte; auf der einen Seite hing die Beute des Morgens, der Bartgeier, mit verwirrtem Gefieder und schwankenden Flügeln vom Sattelknopf herab, auf der anderen Seite stak in einem ledernen Köcher der kurze dickbesehnte Stahlbogen mit den gefiederten Pfeilen. In knappen Falten floß das graue Wollkleid, welches schmucklos die stolze schöne Gestalt umschmiegte, bis auf den Schuh hinab, an dem der silberne Stachel blitzte. Ein kleines grünes Käpplein mit einem Büschel zarter Reiherfedern bedeckte – nicht das Haupt, nur den Scheitel und verschwand fast unter dem üppigen Gelock des rotschimmernden Haars und zwischen den zausigen Ringeln, die um Stirn und Schläfe zitterten. Blätter und kleine Reiser hingen im Haar verstrickt, und das unhöfliche Gezweig des Waldes hatte dünne rote Linien auf die halbentblößten Arme gezeichnet. Auch über die eine Wange ging ein roter Strich, wie mit einer Nadel gerissen. doch er störte nicht die Schönheit des Gesichtes, sondern erhöhte nur den kühnen Ausdruck dieser Züge und stimmte so gut zu diesem trotzigen Mund und den dunkel blitzenden Augen.

Eberwein hatte sich erhoben und blickte halb verwirrt und halb in unmutiger Strenge auf das schöne Weib. Recka hatte, von dem Anblick der Mönche überrascht, jählings die Zügel des Pferdes angezogen; hastig glitten ihre Augen über die Gruppe der Männer, über die flackernden Feuer und über die Saumtiere, die auf der Matte weideten. Dann lachte sie. „Bei meiner Mutter Friderun! Sind die Untersberger Raben ausgeflogen? Oder –“ ihr Blick haftete auf Eberwein, „oder bist Du von den Kutten eine, die meinem Vater sein Land nehmen wollen? Mir meinen Wald, meine Jagd und meine Freude?“

Eine dunkle Röte färbte Eberweins Stirne. „Jagen magst Du, wo und wann es Dir beliebt. Der Wald ist frei und hat Wege für jedermann. Deinem Vater aber kann nicht genommen werden, was nicht sein eigen ist.“

„Nicht sein eigen?“ lachte Recka, als hätte sie einen guten Scherz gehört. „Haha! Mein Vater und meine Brüder werden die Ohren spitzen, wenn sie solche Weisheit hören!“

„Nie war Dein Vater dieses Landes Herr! Wer gab es ihm? Wer hat ihn belehnt mit diesen Bergen? Wo steht das Recht geschrieben, das er sich anmaßt?“

„In seiner Faust! Und laß Dich warnen, Mönch! Das ist eine Schrift, die noch keiner gern gelesen hat!“

Eberwein richtete sich auf. „Ich werde sie öffnen, diese Faust, und werde finden, daß alles in ihr geschrieben steht, nur nicht ein Wort des Rechtes. Nie war Dein Vater mehr als ein Diener seiner gräflichen Herrin, welche dieses Landes Geschick in die Hand der Kirche legte, in meine Hand. Ich komme nicht, um Deinen Vater zu verjagen; er mag, als mein erster Diener, auch fernerhin bleiben, was er gewesen, der Spisar dieser Landmark. Doch wird er sich der Ordnung fügen, die ich aufrichte. Gerechte Buße wird er leisten für jedes Unrecht, das er begangen, und dem Greuel und Laster ein Ende machen, das seine Söhne hinaustragen aus ihres Vaters Haus.“

Recka erblaßte; es schien, als wollte sie sprechen, doch sie fand nicht Worte, während Eberwein weiter sprach mit flammender Kraft der Rede. „Erkennen soll er, daß der Aermste in der Hütte mir wert ist als Gottes Geschöpf und meines Landes Kind, das meinen Schutz genießt und meine Liebe. Sicherer Friede und freundliches Glück soll gedeihen unter meinem Stab, und frohe Zeit soll Einkehr halten unter jedem Dach. Will Dein Vater mir helfen bei diesem Werk, dann soll mir sein Dienst willkommen sein. Doch leistet er mir Widerstand, krümmt er einem meiner Leute nur ein Haar, reißt er wider Recht nur einen Strohhalm von eines Bauern Dach – so ist er gewesen, was er war, ich lösche seinen Namen, und sein Wort und Wille soll in meinem Land ein Rauch sein, den der Wind verwehte. Bringe Deinem Vater diese Botschaft – das läßt ihm Eberwein Frymann sagen, der erste Propst im Berchtersgadem.“

Eberwein schwieg; die Knechte hinter ihm sahen sich mit erstaunten Gesichtern an, Schweiker machte zwei Fäuste und hing mit leuchtenden Augen an dem Pater, sogar Bruder Wampo hatte seines Amtes am Feuer so weit vergessen, daß der Braten eine verdächtig braune Kruste bekam. Eberwein fühlte seine Hand ergriffen – der Kohlmann kniete neben ihm. „Eigel,“ stammelte der Mönch, „steh’ auf, wir Menschen sollen nur knien vor Gott.“

„Nein, Herr, auch vor der Lieb’!“ Eigel erhob sich, und vor Eberwein zurücktretend mit einem Lachen, als wären ihm die Thränen nahe, murmelte er in seinen weißen Bart. „Wären nur alle da gewesen! Hätten’s nur alle hören können! Aber laufen will ich, was mich meine Füß’ tragen, und ausschreien will ich’s von Haus zu Haus!“ Er packte seinen Stab, und ohne zu denken, daß man seiner Dienste noch bedürfen könnte, eilte er quer durch den Wald davon.

Reckas Rappe trippelte mit bebenden Hufen und warf, knirschend die Trense beißend, immer wieder den Kopf empor – er hatte den Stachel gefühlt. Schwankend, mit dem Körper jeder zuckenden Bewegung des Pferdes folgend, saß Recka im Sattel, sie nagte an den Lippen, zornig blitzten ihre Augen und in ihrer Hand zitterte die Gerte, die sie im Wald gebrochen hatte. Dann lachte sie plötzlich, und während sie alle Kraft gebrauchte, um die Unruhe des Pferdes zu bändigen, rief sie Eberwein mit spottendem Klang der Stimme zu: „Das war wohl die erste Predigt, die Ihr in Eurem neugebackenen Sprengel gehalten, Herr Propst? Aber sagt mir doch … soviel ich weiß, gehört zu einem Propst ein Kloster wie zum Reiter ein Roß. Wo steht denn Euer Kloster? Ich seh’ es nirgends. Habt Ihr’s vielleicht in der Kutte stecken wie die Katze im Sack? Heraus damit! Ihr seht doch, wie mich die Neugier plagt!“

„Spotte nur,“ erwiderte Eberwein mit schwer erkämpfter Ruhe, „Du und die Deinen, Ihr werdet mein heiliges Haus noch sehen, sicher gebaut auf einen Fels. Noch steht es in Gottes Hand. Doch über Jahr und Tag soll die Glocke rufen von meines Klosters Dach, und ihre Stimme soll freundlich klingen allen Guten.“

„Ach so,“ unterbrach ihn Recka lachend, „und bis dahin werdet Ihr fasten und beten: ‚komm’ uns zu Hilfe, o Herr!‘ … und geduldig warten, bis der liebe Gott so gefällig ist und trägt Euch das Kloster auf der Hand herunter und stellt es hin auf das Flecklein, auf dem es Euch passen möcht’ – mitten hinein in meines Vaters Land.“ Sie lachte hell auf.

Da klang hinter ihr eine zornige Stimme von schneidender Schärfe. „Weh’ Dir, Du hast Gott gelästert!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_024.jpg&oldid=- (Version vom 20.2.2019)