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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Wühlhuber und Heulmaier, sowie die köstlichen Charakterfiguren aus dem Jahr achtundvierzig mit abgerissenen Hosen und wilden Demokratenbärten, deren einer dem mitleidig mit Brot und Wurst nahenden Wohlthäter die tiefempfundene Antwort giebt: „Hunger hawwe mer keen, edler Volksfreund, awwer Dorscht, viel Dorscht!“

Nach Franzosien, nach Franzosien,
Wo die Rebellion ging losigen,
     Reißt es meine Jünglingsbrust,
Wo die Marselljäse strotzet,
Wo der Flüchtling friedlich trotzet
     Seiner Menschlichkeit bewußt –
Dahin, Alter, laß mich ziehn!

Nach Neuyorkien, nach Neuyorkien
Sollst du jetzt das Geld mir borgigen,
     Wo die Ware stumm sich kreuzt,
Wo genest der Europarier,
Wo der letzte Proletarier
     Sich in seid’ne Tücher schneuzt –
Dahin, Alter, laß mich ziehn!

Nach dem Rheine, nach dem Rheine
Wandr’ ich wieder, wenn ich weine,
     Wo des Teutschen Vaterland!

Teutscher Wein und teutsche Eichen!
Wo sich Volk und Fürsten reichen
     Ihrer Hände Hochverband! –

Dahin, Alter, werd ich ziehn!

Aus Eichrodts „Wanderlust“.

Die „Fliegenden Blätter“ standen damals auf konservativem Standpunkt und versäumten keine Gelegenheit, die demagogische Seite der achtundvierziger Revolution, ihre Volksredner und Freischärler lächerlich zu machen, aber die Redaktion war gut deutsch gesinnt und bewies dies durch manches Blatt voll bitter schmerzlicher Satire auf die Zustände der Zeit. Manchem der älteren Leser werden noch die geistreichen politisch-allegorischen Zeichnungen von Dyk in Erinnerung stehen, welche das Bundestagselend drastisch beleuchteten, sowie die, mit denen der hochbegabte Maler- und Musikdilettant, daneben k. Oberceremonienmeister Graf Pocci in der Figur des „Staatshämorrhoidarius“

Der Staatshämorrhoidarius.
„Aber Herr Federmayer, habe ich Ihnen nicht schon einmal diese moderne Schreibart untersagt?“

die kleinstaatliche reaktionäre Bureaukratie aufs unbarmherzigste verhöhnte. Wer von den Jungen die köstlichen Bilder des sorgenvollen Bureautyrannen nicht gesehen hat, kennt doch seinen zum Gattungsnamen gewordenen Titel. Es ist aber sehr der Mühe wert, seinethalben die alten Bände nachzuschlagen und die unvergleichlichen Ansprachen des Gefeierten an sein Personal (z. B. an den zum Leichtsinn neigenden Schreiber Federmayer) im Original nachzulesen.

Das hochreaktionäre Ministerium Reigersberg nahm derartige Scherze übel und ließ mehrmals das Blatt mit Beschlag belegen. Hierauf erschien darin an erster Stelle eine ernsthafte Erklärung, welche die Verlegung der „Fliegenden Blätter“ „ins Ausland“ verkündigte, da durch die wiederholten Konfiskationen die rechtzeitige Versendung zu sehr beeinträchtigt werde.

Und siehe! die ganze Gesellschaft der Titelzeichnung trug Turbane, ebenso alle im Blatt dargestellten Figuren: die „Fliegenden Blätter“ waren in die Türkei ausgewandert. Ein Bild zeigt den Redakteur Braun als Türken krank im Bette liegend, während ihm ein heilkundiger Anhänger des Propheten den betreffenden Artikel des Preßgesetzes in Gestalt eines großen Knödels eingiebt. Dann veranschaulicht Pocci in einer von Mutwillen sprühenden Bilderfolge die Uebersiedlung des Staatshämorrhoidarius mit Bureau und Akten nach Stambul; der leichtsinnige Jüngling Federmayer hat sein Haupt mit einem Fez geschmückt, während sein Chef unter einem Riesenturban würdevoll zur ersten Audienz beim Sultan schreitet etc. etc. Die „Fliegenden Blätter“ hatten die Lacher auf ihrer Seite und hinfort unterblieb die Konfiskation.

Aus Illes Zeichnungen zu Eichrodts Biedermaierliedern.
„Des Herrn Pfarrverweser Samuel Schlotterbeck Abschied von Kürnbach.“

Anfang der fünfziger Jahre erschien auch die „Wanderlust“ von Ludwig Eichrodt, der mit einem an Scheffel mahnenden Humor das damalige Auswanderungsfieber lyrisch verwertete, von Braun mit köstlichen Humor illustriert. Scheffels erste Gedichte stehen gleichfalls, wenn auch ohne Namen des Autors, in jenen Jahrgängen. Besonders ergötzlich sind die nachmals nicht in „Gaudeamus“ aufgenommenen Abenteuer des Bruder Straubinger. Der seiner Zeit viel citierte Vers:

„Zu Madras in dem Hindostan
Kehrt’ ich bei einer Kneipe an,
Gung hinein und schrie:
Ist keiner von Böblingen hie?
Nein, aber von Ellwangen! rief ganz hinten ein alter Brahmine.“

war auf einen studienhalber nach Indien gegangenen schwäbischen Philologen gemünzt. Und nachdem die Frankfurter Erlebnisse mit dem Reichskommissar, der „hernach behauptete, Gestalten gesehen zu haben“, und die Wiener Revolution abgehandelt sind, schließt der Erzähler seinen Bericht mit den wehmütigen Zeilen:

„Und jetzt nach diesen Leiden all
Sitz’ ich am Niagarafall
Und denk’ bei dem Schaum:
O du schöner Traum
Von der deutschen Einheit im Jahr achtundvierzig!“


Adagio. Von W. Busch.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_027.jpg&oldid=- (Version vom 3.1.2021)