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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


ihre Mängel verraten werden; man darf ja nicht vergessen, daß es sich bei ihnen um erste Versuche handelt. Sie eröffnen einen neuen Abschnitt in der Geschichte der Explosivstoffe. Während bis jetzt das Bestreben sich geltend machte, möglichst große Wirkungen zu erlangen, und während man sich dabei mit einem gewissen, aber nicht genügenden Grade von Gefahrlosigkeit begnügte, wird jetzt der Hauptnachdruck eben auf Erzeugung möglichst gefahrloser Sprengstoffe gelegt. Hoffen wir, daß die Lösung dieser Aufgabe gelingen, daß die furchtbare Gewalt der Explosion vom menschlichen Geiste ebenso wie einst der Dampf gebändigt werde!

Gelingt dies, dann wird die Sprengtechnik einen ungeahnten Aufschwung nehmen und die gewaltigen Kräfte der chemischen Verbindungen, die bei Explosionen sich entwickeln, werden nicht nur vorwiegend zu Zerstörungswerken, sondern auch zu aufbauender Arbeit verwertet werden können. Man hat ja bereits nicht nur den Gedanken ausgesprochen, sondern auch praktisch versucht, durch Sprengstoffe Maschinen zu bewegen. Wir möchten an den interessanten Versuch Trouvés erinnern, der vor kurzem einen aus Aluminium geformten Vogel eine Strecke weit durch die Lüfte fliegen ließ. Die Maschine, welche die Flügel des Vogels bewegte, wurde durch das Explodieren revolverartig aneinander gereihter Sprengpatronen getrieben. In den Explosivstoffen schlummern die gewaltigsten Kräfte; mit ihrer Hilfe schleudern wir heute unsere eisernen Kriegsgeschosse bergehoch – ein Dichter alter Zeiten hätte eine solche Leistung keinem sterblichen Helden, nur einem Kriegsgotte zugetraut. Wer weiß, ob nicht dereinst, von gebändigten Explosivstoffen getrieben, Flugmaschinen durch die Lüfte schwirren werden?

Allerdings, in diese Hoffnung auf die siegende Kraft des Menschengeistes mischen sich düstere Sorgen. Alle Vervollkommnungen, welche die Wissenschaft ersinnt, um die Sprengstoffe zu immer nützlicheren Hilfsmitteln der menschlichen Kultur zu machen, sie bedeuten zugleich eine Verschärfung der Waffe, deren sich frevelhafte Verbrecher nur zu gerne und mit steigender Häufigkeit bedienen. In ihren Händen wird der Stoff, der die Schätze der Erde erschließt, der dem Verkehr der Völker freie Bahnen schafft, zur Höllenmaschine, die Tod und Zerstörung ausstreut. Und die Wissenschaft ist frei, keine Macht der Welt wird es verhindern können, daß auch ein Schurke im verborgenen Winkel über denselben Problemen brüte, denen der für das Höchste begeisterte Forscher in seinem Laboratorium nachsinnt. Unsere Staatsgewalt kann nur die Anfertigung der Sprengstoffe wie den Handel damit aufs schärfste beaufsichtigen und den überführten Verbrecher die ganze Strenge des Gesetzes fühlen lassen. So bleibt uns nur das Vertrauen, daß das feste, auf tausendjährige Arbeit gegründete Gefüge unserer Kultur auch durch die verbrecherischen Anschläge einer Handvoll verworfener Gesellen nicht werde ins Wanken gebracht werden können und daß eine unermüdliche, zielbewußte Fortarbeit an der Hebung des allgemeinen Lebensloses auch diesen Ausgeburten menschlicher Roheit den Boden entziehen werde.




Die Perle.
Roman von Marie Bernhard.
(1. Fortsetzung.)


Sonnig und freundlich, ein kleines blühendes Eiland, lag das Gärtchen des Kapitäns Leupold da. Eben fing der Flieder an, aufzubrechen, die Schneeballen hatten dicke Knospen, der Goldregen war schon voll entfaltet. Die Wege zwischen den sorgsam gepflegten Blumenstücken waren sauber mit Kies bestreut und frisch geharkt, die Muscheln um die Beete hübsch geordnet. Im Hintergrund des Gärtchens, zwischen zwei hohen Fliederbüschen, stand eine weißgestrichene Bank; dorthin steuerte der alte Kapitän seinen Gast. Als sie saßen, holte Leupold seine kurze Kalkpfeife aus der Brusttasche und zündete sie an. Kamphausen sah aufmerksam den blauen Ringelchen nach, wie sie aufstiegen und sich in der klaren Luft zerteilten.

„Kapitän.“ begann er endlich, „wie geht’s Deinen Verwandten?“

Der Angeredete hob die buschigen Brauen.

„Seit wann interessieren Dich die? Wie soll’s ihnen gehen! Die Schwester liegt da und wartet auf den Tod, und der Schwager ist verzweifelt und kann das Gut nicht halten, was er auch anfängt. So geht’s denen!“

„Ich weiß, ich weiß!“ murmelte Albrecht, im Gegensatz zu seiner soeben gestellten Frage; er sah sehr niedergeschlagen aus. „Und die Kinder?“

„Der Junge besucht mich zuweilen – hat keine Ahnung davon, wie’s zu Hause steht, spricht von Mamas baldiger Genesung und ist felsenfest in dem Gedanken, er werde ’mal das väterliche Gut übernehmen. Nichts anderes als den Landwirt im Kopf, nichts anderes als das Familiengut! Ganz wie sein Alter! Das Mädel –“

Kamphausen richtete sich gerade auf, über seine männlichen Züge ging es wie ein Leuchten. „Isolde!“ sagte er ganz leise.

„Thu’ mir den Gefallen und gieb ihr nicht den verrückten Namen! Isolde – das war ein tolles Frauenzimmer mit Liebestränken – hab’ die Oper ’mal in Hamburg gesehen. Als der Junge geboren wurde, schlug ich vor, ihn Tristan zu nennen – heutzutag’ soll doch alles stilvoll sein – aber nein, das wollten sie nicht, Armin mußt’ er heißen. Na, wir haben ja ein befreites Deutschland auch ohne diesen jungen Helden! Das Mädel ist übrigens noch die Vernünftigste von allen, läßt sich wenigstens bloß ‚Ilse‘ rufen. Eitel wird sie natürlich auch sein –“

„Das glaube ich nicht, trotzdem ihre Schönheit ihr ein Recht dazu giebt,“ schaltete Kamphausen rasch ein.

Der alte Kapitän rauchte sehr scharf und sah seinen Gefährten mit einem sonderbaren Seitenblick an. „Schön, sagst Du? Ja, ja, sie hat’s von der Elisabeth. Sonst aber gleicht die Ilse ihrer Mutter wenig. Das Mädel ist ’was für sich, kerngesund an Leib und Seele, kein Stück Wachs, das man kneten kann, wie man will. Der Mann, der die ’mal bekommt, kriegt keine Puppe, sondern ’nen wirklichen Menschen. Bin übrigens neugierig, wen sie ’mal heiraten wird!“

„Mich!“ sagte Kamphausen kurz und fest.

Leupold fuhr herum und musterte den Sprecher mit einem langen Blick vom Kopf bis zum Fuß. „Wen?“ wiederholte er lauter.

„Mich!“ entgegnete Albrecht noch einmal, ebenso kurz und fest.

Der Alte sprach zunächst kein Wort, er wiegte nur sachte den Kopf hin und her.

„Siehst Du, Kapitän, deshalb bin ich ja hier. Ich wollte Dir sagen, wie das alles so gekommen ist –“

„Und ich will kein Wort davon hören, kein Sterbenswort! Heiraten? Du? Ist das erhört? Kaum zu Brot gekommen, und nun schon Weibergedanken! Genau wie bei Deinem Vater – der konnte auch nicht früh genug in sein Verderben.“

Albrecht ließ ihn nicht weiterreden; er stand auf und sah von seiner vollen stattlichen Höhe auf den eifernden alten Mann herab. „Ich will Dir etwas sagen, Kapitän! Du bist der beste Freund meines verstorbenen Vaters gewesen, hast meine Mutter unterstützt und Dich stets auch meiner angenommen – ich bin Dir sehr viel Dank schuldig, das hab’ ich immer empfunden, hab’ mich bemüht, Dir Ehre zu machen, und gedenke das weiter zu thun. Aber das Glück, das mein Vater an seiner Ehe gefunden hat, lass’ ich nicht antasten, und ob ich selbst heiraten will oder nicht und wen ich heiraten will, das geht mich allein an. Wenn ich Dir freiwillig von der Sache rede, so geschieht das in dem Glauben, daß Du Anteil nimmst an meinem Glück.“

Der alte Leupold war auch aufgestanden. „Du sprichst hübsch deutlich, Kapitän, das muß man Dir lassen! Was Du aber eben gesagt hast – richtig ist es schon gewesen. Mir hätt’ einer kommen sollen und mich warnen oder zurückhalten, als ich … aber ’s ist egal, lohnt nicht, davon zu reden. Und Dein Alter, wie ich dem in seine Heiratspläne dreinreden wollte, wurd’ borstig wie’n Stachelschwein; fehlte bloß noch, daß er blank zog und mir mit dem Messer auf den Leib rückte.“

„Du siehst also, Kapitän –“

„Ich sehe, daß die sogenannte Liebe ’n gewisses Stadium von Verrücktheit bedingt; erlaube, daß ich diese Ansicht behalte!“

„Bitte! Mir liegt nichts ferner, als Dich beeinflussen zu wollen. Nur mußt Du auch mir meinen Kopf lassen. Wie hoch ich in anderen Dingen Deinen guten Rat schätze, weißt Du.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_032.jpg&oldid=- (Version vom 11.3.2021)