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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Schweigend wandte sich Eberwein zum Tisch, faltete die Hände und sprach mit leisem Flüstern das Gebet. Herr Haunsperg lächelte kühl, doch er entblößte das Haupt. Auch die Brüder und mit ihnen die Knechte standen betend abseits. Man hörte nur das Murmeln der Ache, das Knistern des erlöschenden Feuers und die sachte Plauderstimme, die der leichte Windhauch in den Wipfeln der Bäume weckte. Dann saßen sie alle und aßen; die Herren am Tisch, Schweiker und Wampo neben dem Feuer, die Knechte tiefer im Wald. „He, Bruder!“ rief Herr Haunsperg. „Mich dürstet, gieb zu trinken her!“

Wampo lief und kam mit einer schweren Bitsche. Herr Haunsperg öffnete den Deckel. „Wasser? Damit bleib’ mir vom Leib, Bruder! Laß Wein anfahren! Ich hab’ doch bei der Ladung ein Fäßlein gesehen. Zapf’ an!“

Bruder Wampo machte ein verlegenes Gesicht, und hustend schielte er nach dem Pater. „Der Wein ist für Gottes Tisch bestimmt,“ sagte Eberwein. „Ach so,“ brummte Herr Haunsperg und hob die größte Forelle von der Platte.

Der Bruder kehrte zum Feuer zurück und nahm die unterbrochene Arbeit seiner Zähne wieder auf. Als die letzte Forelle und das letzte Restlein des Bratens verschwunden war, wischte er die Finger über die Kutte und seufzte.

„Was hast denn?“ fragte Schweiker.

„Ach, Bruder, mir schwant, als hätten wir heut’ auf lang’ hinaus zum letztenmal gegessen, wie’s einem Menschen wohlthut – mir schwant, als käm’ eine böse Zeit für uns!“

Lächelnd zuckte Schweiker die Schultern. „Es kommt halt, wie Gott will! Thu’ Dich trösten, Bruder, und laß den Mut nicht sinken! Laß uns gut und fromm bleiben und laß uns fest halten am lieben Herrn – so schickt er uns wohl in der höchsten Not einen Engel mit Himmelsbrot.“

Bruder Wampo seufzte abermals.

„Himmelsbrot!“ Schweikers Augen blickten träumend ins Blau. „Ich wär’ mit einem Bröserl schon zufrieden. Das thät’ bei mir reichen fürs ganze Leben.“ Leise, als spräche er die Worte eines anderen nach, mnrmelte er vor sich hin: „Wer gespeiset aus Gottes Hand, wer gegessen des Himmels Brot, siehe, der fühlt sein Herz erhoben in Freud’ und reiner Süßigkeit, ihn quälet nimmer Sorg’ und Kummer, und seine Seel’ ist voll des Glückes, das ihr Gott gegeben!“ Er atmete tief, und langsam strich er mit der schwieligen Hand über die Stirne.

Wampo sah ihn von der Seite an; dann erhob er sich, um den Tisch der Herren zu räumen, welche ihre Mahlzeit beendet hatten. Solange der Bruder zugegen war, schwieg das Gespräch; dann sagte der Kastellan mit kühlem Lächeln. „Ich will Euch meinen Rat nicht aufdrängen, aber wenn Ihr ebenso klug seid als fromm, dann richtet Ihr Euch nach meinen Worten. Ich kenne Herrn Waze. Er ist nicht besser und nicht schlechter als alle sind, die an solcher Stelle sitzen. Sein Graf war immer weit und hat sich um Land und Leut’ im Gadem den Teufel gekümmert.“

„Ihr redet derb, Herr Haunsperg!“ mahnte Eberwein in mühsam bekämpfter Erregung.

„Ich rede, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Ich wollte nur sagen: Herr Waze hat in seiner Einöd’ nie einen Druck von oben gespürt, und das hat ihn übermütig gemacht. Ich rate, findet Euch im guten mit ihm ab! Ueber die vierzig Jahre sitzt er als Spisar im Berchtersgadem …“

„Und das ist sein einziges Recht?“

„Ihr meinet, nach dem Landgesetz? Wenn ich die Wahrheit sagen soll – ja! Aber muß denn ein Recht immer ein geschriebenes sein? Das Herkommen, Pater, wenn es graue Jahr’ auf dem Buckel hat, ist auch ein Recht – und das hält oft besser als Eure geschriebenen Gesetze.“

„Ich will das Recht des Herkommens, auf das sich Herr Waze stützen mag, nicht verneinen. Ich hab’ es heute schon einmal gesagt, er soll in meinem Lande sein, was er bisher gewesen, er soll seinen gerechten Teil haben an Zins und Steuer und den Wildbann will ich ihm nicht beschränken. Doch soll er meinem Land ein guter Walter sein, nicht ein Wolf in der Herde.“

Herr Haunsperg verzog die Lippen. „Ach was, Wolf! Wen reißt er denn am Fell? Den Bauer! Mit Euch wird er zechen und jagen!“ Eine dunkle Röte flog über Eberweins Züge. „Mich lüstet nicht nach solcher Kurzweil. Mag Herr Waze Unbill über Unbill wider mich begehen, ich will es dulden. Aber das Wohl meiner Bauern, die Unschuld und das Recht in meinem Land werd’ ich vor ihm und seinen Söhnen zu wahren wissen.“

„Man merkt Euch an, Herr Pater, daß Ihr noch niemals Land und Leute in der Hand gehabt! Sonst würdet Ihr anders reden und den Bauer ein wenig billiger schätzen. Aber ich hab’ keine Sorg’ um Euch! Werdet nur erst warm auf dem Herrensessel und Ihr werdet bald hinter das Sprüchlein kommen: Bauernbutter ist Herrenfutter! Ich erleb’s noch!“

„Das glaub’ ich kaum, Herr Haunsperg, und wenn Euch der Himmel auch Methusalems Alter schenkt!“

„Dafür wär’ ich dem Himmel dankbar. Aber genug jetzt! Ich hab’ Euch meinen Rat gegeben, Ihr schlagt ihn in den Wind – über Jahr und Tag wollen wir uns wieder sprechen. Ich meine, Ihr werdet bald dahinterkommen, wie mit Herrn Waze am besten zu fahren ist. Mit Gewalt geht’s nicht, ich sag’s Euch noch einmal voraus!“ Herr Haunsperg lachte spöttisch. „Und ich meine, gerade Ihr hättet die geringste Ursache, seine Art zu schelten. Denn hätten die im Grafengadem nicht seit lang’ gespürt, wie schlecht sich mit Herrn Waze die Kirschen essen, so hätte Frau Adelheid von Sulzbach das fromme Gelübde ihrer Mutter wohl kaum erfüllt.“

Auf Eberweins Lippen schien ein zorniges Wort zu liegen; doch es wurde nicht laut. Ein tiefer Atemzug schwellte die Brust des Mönches, und ruhig klang seine Stimme: „Ihr redet übel, Herr Kastellan, und Euer bischöflicher Herr möchte solche Rede mit Zürnen vernehmen.“

„Meint Ihr?“ war die lachende Antwort.

„Ihr habt so scharfblickende Augen! Aber wie trüb und unklar sieht Euer Blick in dieser Sache! Wollten die frommen Frauen dem Himmel eine Freude machen, welch ein besseres Geschenk hätten sie wählen können als gerade dieses unwirtbare Thal mit seinen armen, von Unrecht und Gewalt bedrückten Menschen, denen noch kaum ein Schimmer des Heils geleuchtet, denen vom Brot des Himmels nur verstreute dürre Brosamen zugefallen sind. Daß zwischen dieser Menschen Hütten ein Gotteshaus sich erheben möchte, von dessen kreuzgeschmücktem First das Licht hinausstrahlt in die Dunkelheit, einen neuen freundlichen Tag erweckend – das, Herr Haunsperg, war der fromme Sinn der Schenkung, welche das Schicksal dieses Landes in meine Hand gelegt.“

„Gut, Herr Pater! Reichet das Himmelsbrot mit vollen Händen – Ihr scheint ja Ueberfluß zu haben. Ich meine nur, es wird Euch die Erfahrung nicht erspart bleiben, daß Eure neuen Herzenskinder den gewohnten Sterz und Sauerkäs besser vertragen als Euer feines Klostergebäck!“ Herr Haunsperg blickte nach der Sonne. „Die Zeit verrinnt, wir müssen an den Aufbruch denken.“

„Für diese Mahnung dank’ ich Euch! Wir haben mit Reden eine kostbare Stunde verloren. Ich könnte das offene Thal schon erreicht haben und Ihr auf dem Heimritt schon das Walser Feld.“

Betroffen blickte der Haunsperger auf. „Was heißt das? Ich reite mit Euch und wähle den Platz, auf dem die Klause stehen soll.“

„Ich danke für Euer Geleit. Reitet heim, Herr Kastellan, ich wähle selbst!“

„Das geht nicht an, Pater! Ihr seid ein Fremder im Land. Und mein Bischos will …“

„Hier gilt mein Wille!“ unterbrach Eberwein die grobe Rede; stolz richtete er sich auf. „Es ist mein Land, auf dem wir stehen.“

Dem Kastellan blieb das Wort in der Kehle stecken; mit eingekniffenen Augen maß er die Gestalt des Mönches. Dann lachte er „Ach so!“ und wandte sich gegen den Wald „He, Ruppert!“ Einer der Kriegsknechte kam gelaufen. „Die Pferde her! Wir reiten heim!“ Ohne Gruß und Abschied folgte Herr Haunsperg dem Knechte. Eberwein legte die Hände auf die Brust und atmete, als hätte er eine drückende Last von sich abgewälzt. „Bruder Schweiker!“ rief er. „Laß die Saumtiere beladen, wir brechen auf!“

Ein geschäftiges Treiben begann. Eberwein selbst überwachte die Ladung und griff mit kundigen Händen zu.

Herr Haunsperg war zu Pferd gestiegen; als er unter den Bäumen hervorritt auf den offenen Weg, trat ihm Waldram entgegen. Vom Pferd herunter reichte ihm der Kastellan die Hand. „Lebt wohl, Pater, wir reiten heim!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_039.jpg&oldid=- (Version vom 21.2.2019)