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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Waldram furchte die Brauen. „Seid Ihr schon müd’ geworden im Dienste Gottes?“

„Ich und müde?“ Herr Haunsperg lachte. „Wenn Ihr mich ungern scheiden seht, so müßt Ihr mit dem Propst vom Berchtersgadem rechten. Ihm ist der ‚Herr‘ zu Kopf gestiegen wie junger Wein – er hat mir bedeutet, wo die Grenzen seines Landes liegen.“ Der Kastellan gewahrte den finsteren Blick, der aus Waldrams Augen zu Eberwein hinüberfunkelte; er neigte sich im Sattel und dämpfte die Stimme. „Er ist mit dem Herrenspielen flink bei der Hand, Euer Propst, das werdet auch Ihr noch fühlen!“

„Ich werde tragen, was Gott mir auferlegt.“

„Eurer Frömmigkeit alle Ehre, Pater! Aber ich meine fast, die frommen Väter zu Raitenbuch hätten besser wählen können.“

„Sie wählten, wie es ihnen gut schien,“ sagte Waldram mit verlorenem Blick.

„Freilich, freilich! Aber ich rede, wie mein Bischof redet. Er hat Euch liebgewonnen, Pater! Gestern vor Schlafengehen sagte er zu mir: ‚Wenn ich zu walten hätte in dieser Sache – und wer weiß, ob die Zeit nicht kommen wird – dieser Waldram hätte mein Vertrauen! Ist das ein Mann! Göttliche Glut jeder Gedanke, göttliche Kraft jedes Wort!‘ Ja, Pater, so sagte er.“

Waldram schwieg; aber eine dünne Röte färbte seine bleichen Wangen, und heißer brannten seine Augen. Herr Haunsperg lächelte. „Ich weiß, Euer frommes Gemüt kennt die Eitelkeit nicht. Doch die Meinung meines hohen Herrn soll Euch Freude machen und Euren Mut heben. Ihr geht einem schweren Kampf entgegen. Und wann bei Eberwein die gähe Hitze verflogen ist, und es kommt bei ihm die Zeit der ratlosen Schwäche …“

Waldram hob mit geballten Fäusten die hageren Arme. „Dann will ich ihn stützen mit meiner Kraft.“

„Das ist ein Wort! Und nun lebt wohl, Pater; Ihr habt mich guten Mutes gemacht!“

„Gottes Geleit auf Euren Weg! Und bringet Eurem Herrn den Gruß seines frommen Knechtes!“

„Das will ich, Pater! Gott befohlen!“ Herr Haunsperg gab dem Pferd die Sporen und folgte den beiden Knechten, die schon ein gut Stück Weges vorausgeritten waren. Bei einer Wendung des Pfades blickte er noch einmal zurück und lächelte. „Geht nur! Rodet und pflanzet, pflüget und säet … wenn die Aehren stehen, komm’ ich wieder und lege meines Herrn große Hand auf Euren Schweiß.“




5.

Hochbeladen standen die vier Saumtiere inmitten der Wiese, jedes von einem Knecht am Leitzaum gehalten. Bruder Wampo, schon den Stab in der Hand, machte ein verdutztes Gesicht, als er den Kastellan davonreiten sah. Er trat zu Eberwein. „Der Haunsperger reitet heim nach der Salzaburg? Wer soll uns denn führen jetzt?“

„Eigel, der Kohlmann. Wo ist er?“

Keiner wollte ihn gesehen haben. Wampo und Schweiker riefen den Namen des Alten nach allen Richtungen, umsonst, es ließ sich keine Antwort hören. „Er ist nimmer da, Herr,“ jammerte Wampo, „jetzt hat uns der auch noch sitzen lassen, der weißhaarige Tropf!“ Aus Eberweins Augen traf ihn ein vermahnender Blick. „Verzeihet das schieche Wort, Herr,“ stotterte der Bruder, „es ist mir halt so herausgerutscht! Aber wer soll uns denn führen jetzt?“

„Einer, ohne dessen Wissen kein Schritt geschieht. Es liegt der offene Weg vor uns, wir wollen ihm folgen.“

Die Fahrt begann, Eberwein aber stand noch, den Stab in der Hand, und wartete auf Waldram; als der Pater kam, hafteten Eberweins Augen mit sorgendem Blick an dem bleichen Gesicht des Mönches. „Waldram, erzählte Dir der Haunsperger, daß wir in Unmut schieden?“

„Nein!“ sagte Waldram mit kaltem Wort und schritt vorüber.

Ein bitteres Lächeln glitt über Eberweins Lippen. Er wollte langsam folgen. Da stockte schon der Zug, und von der Spitze her hörte man die lauten Stimmen Wampos und Schweikers. „Herr, wir wissen nimmer weiter,“ sagte der letztere, als Eberwein hinzutrat, „da scheidet sich der Weg! Welcher ist der richtige?“

Man fragte die Führer der Saumtiere; sie waren Salzaburger Leute, doch keiner von ihnen hatte den Berchtersgadem je betreten. Eberwein lauschte nach der Richtung, aus welcher das Gemurmel der Ache sich hören ließ, und spähte in das dichte hohe Gestrüpp, das jeden weiteren Ausblick verwehrte. Schweiker zupfte ihn am Aermel und flüsterte: „Herr, ich mein’, wir müssen nach links hinaus. Dort auf der Linkseit’ geht eine Furt durchs Wasser.“

Eberwein nickte, und der Zug setzte sich nach der Linken in Bewegung. Sie erreichten die Ache und überschritten den Bach in seichter Furt. Zwischen hohem dichten Gestrüpp von Erlen und Weiden wand sich ein schmaler Pfad; der Boden war feucht, und zuweilen sperrten trübe Pfützen den Weg. Eine Stunde währte die Wanderung; es wurde immer schwieriger, einen Pfad noch zu unterscheiden, denn häufiger und dichter traten die Büsche aneinander, so daß nur schmale Lücken verblieben, durch welche die Saumtiere mit ihrer Ladung sich nur mühselig hindurchzwängten. Und schließlich verschwand jede Spur eines Weges.

Waldram, der den Zug geführt, stand eingekeilt zwischen wirrem Gezweig und suchte sich vorwärts zu kämpfen. Bald versagten seinem erschöpften Körper die Kräfte. Wo er stand, ließ er sich niedersinken. Eberwein drang zu ihm. „Was ist Dir? Hat eine Schwäche Dich befallen?“

Bleich und zitternd richtete Waldram sich auf. „Geh’! Ich habe Dich nicht gerufen zu meiner Hilfe!“ Er faßte das Kreuz an seinem Gürtel und warf sich in die Büsche.

Eberwein hielt ihn zurück. „Ich bitte Dich, Waldram, bleib’ und raste! Wir wollen den verlorenen Pfad wieder suchen.“ Er wandte sich um und rief die beiden Brüder; der eine sollte nach rechts, der andere nach links durch das Buschwerk dringen, er selbst gedachte in gerader Richtung zu suchen.

Bruder Wampo seufzte, blies die Backen auf und fuhr mit dem Kuttenärmel vom Nacken bis zur Stirn. „In Gottes Namen!“ murmelte er und begann, den einen Arm als Wehr über das Gesicht haltend, sich zwischen dichtem Gezweig hindurchzuwinden. Es war eine harte Arbeit, durch Geschling und Ranken und Sumpf sich durchzuarbeiten. Endlich gewahrte er im Schlamm Spuren von Dritten. „Da müssen doch Leut’ gegangen sein! Oder Küh’? Oder Geißen?“ Seufzend schüttelte er das runde, von Tropfen überronnene Köpflein und arbeitete sich weiter. Wieder geriet er in Sumpf und rettete sich auf einen Stein, der wie eine kleine weiße Insel aus dem Schlamm hervorragte. Aber wie nun weiter? Aus einem Wuste dürrer Blätter lugte ein schwarzer Klotz – es war wohl ein vermoderter Baumstrunk? Mit beiden Händen faßte Wampo zwei hängende Aeste und gab sich einen kühnen Schwung. „Hopsa!“ Glücklich erreichte er mit den Füßen den Klotz – aber das schwarze Ding unter ihm wurde jählings lebendig, sprang auf und rannte grunzend davon, während Bruder Wampo rücklings niederpurzelte in den Schlamm, Arme und Füße in die Höhe streckte und mit zeternder Stimme schrie. „Rette mich, Herr – unter mir thut die Höll’ sich auf und will mich schlingen! Hilfe! Hilfe!“

Da ging ein Rascheln, Knacken, Surren und Grunzen los in allen Büschen, überall ward es lebendig unter den welken Blättern, und nach allen Richtungen stoben die aus ihrem Mittagsschläfchen aufgescheuchten Wildschweine durcheinander in wirrer Flucht, mit breiten borstigen Rücken und dicken Köpfen, Alte und Junge. Schreiend raffte Wampo sich auf und überkollerte sich wieder … zwei Frischlinge waren ihm zwischen die Beine gefahren. Quieksend rannte das eine Tierchen davon, während Wampo mühsam sich aufrichtete, triefend von Schlamm. Im fernen Gebüsch verstummte das Brechen und Rauschen, und der Bruder stand da, zum Himmel aufblickend, mit seitwärts gestreckten Armen und gespreizten Fingern. „Herre, Herre! Deine Straf’ hat flinke Füß’ … schön hast mich eingetaucht für meine Sünden!“ Da rührte sich etwas vor seinen Füßen, ein ganz klein wenig nur, dann war’s wieder ruhig. Mit starren Augen blickte Wampo zu Boden und sah eine behaarte Ohrmuschel aus dem Schlamm hervorlugen. „Ei, ei, ei!“ stotterte er, griff mit beiden Händen zu und hob einen Frischling auf, den er im Sturz erdrückt hatte mit seines Leibes Gewicht. Nur einen Augenblick besann er sich, dann schwang er das Tierchen hurtig über die Schulter. „Das giebt einen guten Braten auf die Nacht!“ Und freundlich zwinkerte er zum Himmel auf. „Er schickt halt doch mit aller Not auch allweil einen Trost!“

Es rauschte in den Büschen. „Bruder, Bruder!“ klang die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_040.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)