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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Stimme Eberweins, der mit zwei Knechten kam, von Wampos jammervollem Geschrei herbeigerufen. Es hatte weithin durch Gebüsch und Wald geklungen.

Auch bis an Schweikers Ohr. Der hatte in lichterem Gebüsch einen Hügel erstiegen, als er das Geschrei vernahm. In Besorgnis lauschte er und wollte schon zurückkehren, da hörte er das laute Gelächter der Knechte und meinte: „Hat’s ein Unglück gegeben … arg kann’s wohl nicht sein, wenn die Leut’ so lachen mögen!“ Und beruhigt schritt er weiter. Immer lichter standen die Büsche auf dem steiler werdenden Gehänge, über das er emporstieg. Er hoffte, eine Höhe zu erreichen, die ihm einen freien Ausblick über das dicht bewachsene Thal gewähren möchte.

Da hörte er vom höheren Hang herab einen Jodelruf, der hell und rein wie ein Geigenstrich über das Thal hinweg klang, und dann setzte eine helle Mädchenstimme mit einer Weise ein, so flink und munter, so leicht und gaukelnd wie ein Schmetterling über sonniger Wiese:

„Ein Wassert, ein hell’s,
Huliö dilio,
Ein lustig’s und schnell’s,
Huliö dilio,
Das treibet im Bacherl
Die Steiner und Fels’,
Huliö dilijuchhaha ho!

Ein Trumm, so ein Glach[1],
Huliö dilio,
Liegt mitten im Bach,
Huliö dilio,
Der stemmt sich und wehrt sich
Und giebt nimmer nach,
Huliö dilijuchhaha ho!

Das Wasserl, das hupft,
Huliö dilio,
Und grabelt und schupft,
Huliö dilio,
Geh’ weiter! Kommst wieder,
So hat’s ihn derlupft,
Huliö dilijuchhaha ho!

Und da liegt er im Eck,
Huliö dilio,
Thut nimmer so keck,
Huliö dilio,
Ein Wasserl, ein richtigs,
Bringt alles vom Fleck,
Huliö dilijuchhaha ho!“

Dem Klang der singenden Stimme folgend, hatte Schweiker den Saum der Büsche erreicht und einen freien, von Geröll halb überschütteten Hang betreten. Da stand er nun, machte einen schiefen Kopf und riß die blauen Augen auf. Das heitere Lied und die fröhliche Weise, der frische jugendliche Laut der Stimme, über ihm die warme Sonne und der helle Himmel, und noch irgend etwas in ihm selbst … das alles hatte in Schweiker die Erwartung eines freundlichen Anblicks erweckt. Und was fand er? Im spärlichen Schatten eines kümmernden Dornstrauchs saß eine kleine schmächtige Gestalt, mit einer grauen Kotze dürftig bekleidet. Wie von einem Reisigbüschel war der Kopf von wirrem dick verfilzten Haar umstarrt, das keine Farbe zu haben schien. War es blond, braun oder grau? Und das Gesicht, war es hübsch oder häßlich? Schweiker grübelte, aber eine Lösung dieser Frage wollte ihm nicht gelingen. Denn Gesicht und Arme des Mädchens, alles an ihm, was die Kotze zu sehen gab, war dick überkrustet von veraltetem Schmutz. Neben dem Mädchen lag ein zottiger Geißbock und hielt den bärtigen Kopf mit dem krummen Gehörn an die Hirtin angeschmiegt; weiter draußen auf dem Hang, zwischen sonnigem Geröll, weideten vier gefleckte Ziegen.

Langsam hatte sich die Hirtin erhoben; sie schien erschrocken, denn der Stecken in ihren Händen zitterte, und die Augen waren weit aufgerissen, daß man rings um die Sterne das Weiße sah.

„Grüß’ Dich Gott, Kindl!“ sagte Schweiker und streckte zum Gruß die rechte Hand hin. Aber die Hirtin stand nur und zitterte und schaute. „Grüß’ Dich Gott, Kindl!“ wiederholte Schweiker und machte ein Gesicht, so freundlich, als er es mit aller Müh’ zuwege brachte. „Grüß’ Dich Gott!“ Die Hirtin schwieg. „So gieb mir den Gruß doch heim!“ Keine Antwort. „Aber so red’ doch! Mußt ja doch reden können … ich hab’ Dich ja singen hören.“

Keine Antwort.

Schweiker kraute sich hinter den Ohren. „Da muß ich halt selber schauen, wo ein Weg geht.“ Einen stummen Blick noch warf er auf den sprachlosen Schmutzfleck, schüttelte den Kopf und stieg über den freien Hang hinauf. Langsam drehte die Hirtin das Gesicht und folgte jedem Schritt des Mönches mit staunenden Blicken. Nun stand er, auf seinen Stab gestützt, in heller Sonne; sein Haar und Bart schimmerte wie Silber. Lauschend spähte er in das Thal hinunter, hörte die Stimmen Wampos und der Knechte, und am Schwanken der hohen Buschwipfel erkannte er die Stelle, an der sie sich befanden. Nun sah er auch, daß ein Ausweg aus dem Gestrüpp nicht schwer zu finden war. Schief gegen den ansteigenden Hügel mußte der Zug sich halten; so konnte man eine kleine Blöße erreichen, von welcher ein deutlich sichtbarer Weg hinausführte gegen einen lichteren Hochwald. Dem freien Hang, auf welchem Schweiker stand, lag dieser Wald noch näher; so dachte er, daß es am besten wäre, wenn er durch den Wald hinunterstiege und seinen Leuten auf dem Weg entgegenkäme, den sie zu nehmen hatten. Kaum hatte er die ersten Bäume erreicht, da hörte er hinter sich ein Knacken und Brechen, als er sich umblickte, stand die Hirtin vor ihm, und die Ziegen kamen ihr nachgerannt.

Schweiker lachte, spreizte den Stab vor sich hin und legte das Kinn auf die Hände. „Ja Kindl, warum laufst mir denn nach?“

„Hast ’was fragen wollen?“ sagte die Hirtin mit hellem und weichem Stimmlein.

„Schau, schau, jetzt kannst ja auf einmal reden! Aber was ich hab’ fragen wollen, weiß ich schon.“ Der Struwwelkopf senkte sich, und die grauen Hände drehten den Stecken. „Aber sag’, Kindl, wer bist Du? Und wie heißt Du denn?“

„Hinzula heiß’ ich.“

„Uuh! Das ist aber ein schöner Nam’! Der gefallt mir besser als …“ Schweiker hatte sagen wollen: „besser als Du“, doch er verschluckte das Wort. „Und wem gehörst denn, Kindl?“

„Dem Greinwalder.“

„Und wo hauset denn der?“

„Sell droben,“ sagte die Hirtin und deutete mit dem Stecken durch den Wald hinauf.

„Gelt, Kindl, hast wohl keine Mutter nimmer?“

„Freilich hab’ ich eine. Warnm fragst denn so …“ Jetzt verschluckte sie ein Wort.

„Ich hab’ halt gemeint … weißt … sag’, Kindl, wie lang’ hast Dich denn nimmer gewaschen?“

„Vier Jahr’,“ sagte sie, so kurzweg, als wäre das eine selbstverständliche Antwort.

Bruder Schweiker brach in helles Gelächter aus. Die Hirtin schien verlegen zu werden; sie stotterte: „Weißt, ich darf halt nicht!“

„Ja wer verbietet’s denn?“

„Die Mutter!“

Schweiker hörte zu lachen auf und schüttelte bedenklich den Kopf. „Kindl, Kindl, Du bist ein kleines Saubartele, aber Deine Mutter ist ein großes!“

„Warum thust denn schelten drüber? Es muß doch sein. Und … und warum sagst denn allweil ‚Kindl‘ zu mir?“ Die Hirtin hob zögernd das Gesicht. „Ich bin doch schon eine Dirn’!“ Sie atmete tief und streckte sich; unter der mürben Kotze verrieten sich schüchtern die sprossenden Formen des jungen Körpers.

Bruder Schweiker wurde rot bis unter die Haarwurzel. „So? So? Eine Dirn’?“ stotterte er. „Schau, das ist halt schwer zu merken gewesen. Bist ja schier noch so klein wie ein Kindl. Mußt halt noch ein lützel wachsen, gelt? Wohl wohl! Und jetzt – behüt’ Dich halt Gott jetzt!“ Schweiker nickte zum Gruß und ging davon. Aber Hinzula sprang ihm nach und hielt ihn am Aermel fest. „Und Du? Wer bist denn Du?“

„Ich?“ Bruder Schweiker machte ein ernstes Gesicht. „Ich bin ein Gottesmann. Wohl wohl! Und jetzt bauen wir im Berchtersgadem eine Klaus’ und ein Kirchl daneben. Paß nur auf, wirst das Glöckl schon läuten hören! Nachher komm’ nur und bet’ für Deine junge Seel’!“ Er machte mit der Hand das Kreuzzeichen über Hinzulas Gesicht und schritt dem Thal entgegen.

Als er zwischen den Bäumen schon die Helle der nahen Lichtung gewahrte, blickte er über die Schulter zurück. Dort oben, immer noch auf dem gleichen Fleck, stand die Hirtin wie angewurzelt. „Eine Dirn’, und hat sich vier Jahr’ lang nimmer gewaschen!“ Er schüttelte den Kopf und begann zu grübeln. Was hatte sie nur sagen wollen mit dem Wort: „Es muß doch sein?“

Schweiker blickte auf. Er mußte irrgegangen sein. Richtig, dort drüben lag die Blöße. Nun schritt er eilig aus und hörte auch bald die Stimmen der Seinigen. Durch das wirre Buschwerk kämpfte er sich zu ihnen. „Ich hab’ einen guten Weg gefunden!“

Bruder Wampo that einen tiefen Seufzer. „Gott sei Dank!“

Da fielen Schweikers Blicke auf ihn. „Ja mein, Bruder, wie schaust denn Du aus! Wie der Hinzula aus dem Gesicht geschnitten!“

„Wen Du meinst mit der Hinzula, weiß ich nicht. Aber wenn sie ausschaut wie ich, dann kann einem grausen vor ihr!“

Nun lachten sie alle.

„Aber red’ doch,“ fragte Schweiker, „was ist denn geschehen?“

Mit sprudelnden Worten erzählte Wampo sein Abenteuer;

  1. Grober Klotz.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_042.jpg&oldid=- (Version vom 21.2.2019)