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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

und theils vornehmen Persohnen alhie bekandt: Es wurde aber diese empörung, wann der Comet nicht were darzu kommen, villeicht bis zu den Waffen nicht außgebrochen, sondern auf ein ringere manier gestillt worden sein. Darbey zu notieren, daß dieser Comet zu Zürich wegen beständig trüben Wetters niemahle hat können gesehen werden ....: Also ist auch ihre Baurschafft Anno 1653 still gesessen.“

Um zu zeigen, wie solche aus alten Scharteken hervorgezogenen Betrachtungen gelegentlich Bedeutung für die Gegenwart erlangen können und wie der Glaube an die überirdischen Einwirkungen der Gestirne auf die Geschicke der Menschheit in der That heute noch wirklich solche Bewegungen hervorruft, setze ich hierunter sofort eine Stelle aus der „Bromberger Zeitung“, welche im Jahre 1886, als gerade zwei Kometen am Himmel sichtbar waren, die Runde durch verschiedene Blätter machte.

„Unter unserer ziemlich abergläubischen polnischen Landbevölkerung hat die schon seit Jahr und Tag von gewisser Seite geflissentlich verbreitete Prophezeiung von einem in diesem Jahre stattfindenden Weltuntergange die Gemüter in heftige Aufregung versetzt, welche sogar Ausschreitungen befürchten ließ. Die Polizeibehörde von Pakosch hat deshalb auch um Verstärkung der Polizeimannschaft gebeten.“

Aber meine Beispiele der Kometenfurcht sollen sich nicht auf die polnische Landbevölkerung beschränken. Ich will einen Fall anführen, der sich vor hundert Jahren in einem Centrum der Civilisation, nämlich in Paris, ereignete, wo ein Komet, und noch dazu ein eingebildeter, recht viel Unheil angerichtet hat.

Damals hatte man wohl durch die vereinigte Geisteskraft vieler aufgeklärter Köpfe eingesehen, daß die Kometen, so lange sie noch von aller Welt am Himmel gesehen werden, uns kein Leid zufügen können. Denn es wurde bekannt, daß man sie in den verschiedensten Ländern zugleich an ein und derselben Stelle des Himmels sah, woraus hervorging, daß sie sehr weit von uns entfernt sein müssen und jedenfalls nicht mehr unserer irdischen Dunsthülle angehören, wie man es bisher immer dem Aristoteles nachgebetet hatte. Als dann bald darauf Hevel, Dörfel, Bernoulli, Newton zeigten, daß die Kometen ebenso wie die altbekannten Planeten Bahnen um die Sonne beschreiben, welche sich nur in ihrer Form voneinander unterscheiden, da schwand allerdings bald der Nimbus des Wunderbaren von den Kometen, wenigstens insoweit, als man in ihnen Naturwesen erkennen mußte, die sich den Naturgesetzen fügen wie alle übrigen Mitglieder der Sonnengemeinschaft.

Aber ein Punkt blieb hier doch höchst bedenklich. Während nämlich die Planeten uns notwendig immer hübsch weit vom Leibe bleiben müssen, weil ihre Bahnen einander dauernd in weiten Abständen umschließen, so hatte die Rechnung in Bezug auf die Kometen unzweideutig gezeigt, daß ihre Bahnen gelegentlich dem Wege unserer lieben Erde um die Sonne sehr nahe kommen konnten. Wenn also einmal ein Komet und die Erde zugleich an solch einem heiklen Knotenpunkte eintreffen würden, so müßte das allerdings einen Zusammenstoß abgeben, dessen Folgen ohne nähere Kenntnis davon, was ein Komet denn eigentlich sei, gar nicht abzusehen waren. Da aber die unglückseligen Kometen nun einmal in möglichst schlechtem Rufe standen, so konnte man natürlich auch nur das Allerschlimmste, nämlich den Weltuntergang, von solch einem Zusammenstoß erwarten. Als nun der berühmte Astronom Lalande im Frühjahr 1773 einen Vortrag über „Kometen, welche sich der Erde nähern können“ halten wollte, hatte sich vorher, man weiß nicht durch welches hasenfüßige Klatschweib, von denen es, nebenher gesagt, auch recht viele männlichen Geschlechtes giebt, das Gerücht in ganz Paris verbreitet, Lalande habe auf den 12. Mai den Weltuntergang durch Zusammenstoß der Erde mit einem Kometen ankündigen wollen, sei aber von der Polizei daran verhindert worden – und dieses bloße Gerücht reichte hin, einen so panischen Schrecken zu verbreiten, daß nicht nur ganz Paris diesem Tage entgegenjammerte, sondern sogar infolge der Angst Erkrankungen, Todesfälle u. s. f. eintraten und unwürdige Geistliche, welche um schweres Geld Absolution anboten, die besten Geschäfte machten. So zu lesen in der „Geschichte der Astronomie“ von dem kürzlich zu Zürich verstorbenen Rudolf Wolf, Seite 706.

Diese neue Gestalt des Kometenaberglaubens ist selbst heute noch keineswegs vollständig erloschen. Man kann sich immer noch nicht von dem uralten Gedanken trennen, daß diese ungeheuerlichen Zeichen am Himmel auch etwas Ungeheuerliches bedeuten müssen, und da man an vielen so wunderliche und von dem gewöhnlichen Laufe der Natur abweichende, auch bis jetzt unerklärte Dinge beobachtete, so will es dem Laien nur zu leicht scheinen, als wüßten die Astronomen überhaupt noch nicht recht, was eigentlich ein Komet sei, und folglich auch nicht, was wir von einem solchen möglicherweise zu befürchten haben. Wollte ich nun an dieser Stelle alle die hieran geknüpften grundlosen Befürchtungen wieder erzählen und widerlegen, so möchte ich leicht damit einen Jahrgang der „Gartenlaube“ vollständig ausfüllen. Ich begnüge mich aber damit, zu sagen: wir wissen genau, daß der Schweif der Kometen mindestens mehrere millionenmal leichter und luftiger ist als unsere Luft und daß das ganze Gewicht des Millionen von Meilen langen Schweifes vielleicht ein paar Centner nicht übertrifft; ja, sehr vielfach neigt man heute der Ansicht zu, daß der ganze Schweif nichts als eine elektrische Erscheinung sei, ähnlich der in den bekannten Geislerschen Röhren, die desto stärker hervortritt, je leerer die Röhren gemacht werden. Der hellleuchtende Kern der Kometen allerdings enthält jedenfalls etwas festere Stoffe: Meteorsteine und kleine Sternschnuppenkörperchen, von denen auch gelegentlich verlorene Stücke auf unsere Erde herabfallen, ohne irgend welchen Schaden anzurichten. Jener Steinkern der Kometen ist immer von einer ausgedehnten Dunsthülle aus Kohlenwasserstoff-, Natrium- und Wasserdämpfen umgeben, und das Ganze hat im Durchmesser selten eine Ausdehnung von mehr als dem fünften Teile unseres Erddurchmessers. Ueber diesen „Kern“ lagern allerdings noch andere Dunsthüllen, die „Hauben“ des Kometen, welche indes so durchsichtig sind, daß unsere Atmosphäre als ein dicker Herbstnebel dagegen erscheinen würde.

Nun kann die Wissenschaft zwar nicht bestreiten, daß solch ein Kometenkopf gelegentlich einmal so unhöflich sein könnte, geradeswegs gegen die Erde loszufahren. Durch einen Teil eines solchen sind wir in der That am 27. November 1885 und ein anderes Mal genau dreizehn Jahre vorher hindurchgeflogen. Glänzende Sternschnuppenfälle waren beide Male die wundervolle Wirkung dieses seltenen Ereignisses. Sonst ist durchaus nichts vorgefallen. Dies ein praktisches Beispiel. Wenn man aber der ohnehin übermütigen Phantasie die Zügel schießen lassen will, so könnte man ja behaupten, einmal könnte auch ein so gewaltig großer Komet kommen, daß er kleine Planeten als Meteorsteine in seinem Bauche heranschleppte, und wenn er uns mit solchen Steinen bombardierte, könnte das am Ende der Erde doch nicht gar wohl bekommen. Verschiedene Löcher in ihrem Leibe würden ihr glühendes Lebensblut fließen lassen, die Meere würden aus ihren Becken überlaufen, um mit den glühenden Fluten zischend und schäumend einen furchtbaren Kampf zu beginnen. Alles das – meint wenigstens ein Herr Graf von Pfeil in einem Buche, das „Kometarische Strömungen“ heißt und, 1879 zuerst erschienen,[WS 1] seither sogar mehrere Auflagen erlebt hat – sei in der That schon zu verschiedenen Malen passiert und die Sintflut wie auch alle geologischen Umwälzungen seien die Folge dieser Zusammenstöße gewesen. Vorläufig sind zwar solche große Kometen noch niemals sichtbar geworden. Von den kleineren, die uns zu Tausenden bekannt sind, deren es aber unzweifelhaft in nicht allzu großer Entfernung im Sonnensystem viele Millionen giebt, von diesen ungefährlichen kleinen Weltbummlern hat bis jetzt unzweideutig nur ein einziger den luftigen Mantel der Erde so ganz obenhin gestreift. Das kann ja indessen auch einmal besser kommen; wenn es aber einmal so kommen wird, nun dann, dann wird es allerdings auch nichts schaden. Darum wird der Leser auch vor dem Falbschen Zusammenstoß am 13. November 1899 keine allzugroßen Befürchtungen hegen.

Es ist den Astronomen längst bekannt und auch in alle populären Bücher übergegangen, daß die Ursache der regelmäßigen Sternschnuppenfälle am 12. und 13. November jeden Jahres ein sich auflösender Komet ist, der zuletzt 1866 erschien und eine Umlaufszeit von 33 Jahren besitzt, wodurch in diesem zeitlichen Zwischenraum die sogenannten „Leoniden“-Sternschnuppen immer besonders glänzend auftreten. Falb addierte nun zu 1866 diese 33 Jahre und prophezeite nach dieser rechnerischen That, was alle schriftstellerischen Astronomen vor ihm gethan haben, daß der Komet 1899 wieder kommen müsse. Unter welchen näheren Umständen dies geschehen wird, ist rechnerisch weder von ihm noch von anderen näher festgelegt worden. Die Bahn dieses ganz unscheinbaren Himmelskörpers durchschneidet die Erdbahn; die Folge davon wird eben wieder ein prächtiger Sternschnuppenregen sein, der vor Thorschluß des Jahrhunderts uns, wenn wir’s erleben, alle entzücken wird.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. gemeint ist hier wohl: Friedrich Ludwig Graf von Pfeil-Burghauß (1803–1896): „Kometische Strömungen auf der Erdoberfläche“, 1879, ²1881, ³1883, 1891.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_044.jpg&oldid=- (Version vom 22.6.2023)