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verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

den Blick hinaus, und erst allmählich konnte ich mich überwinden, mir den Verführer und den Verführten näher anzusehen.

Ich habe selten einen unangenehmeren Eindruck empfangen.

Der Baumeister hatte grobe sinnliche Züge. Er war gekleidet etwa wie ein Pferdehändler und fortwährend beschäftigt, seinem Körper eine möglichst bequeme Stellung zu verschaffen.

Der andere war klein, hatte einen dichten Bart, der seine Züge versteckte, machte aber einen sympathischen Eindruck und war gewählt gekleidet. Nur die ängstlich unruhigen Augen verrieten, was in ihm vorging.

Als wir in Kassel ankamen, fand, wie ich sah, gleich eine heftige Auseinandersetzung zwischen den beiden Freunden statt, die mit den Worten des Baumeisters endete:

„Na, komm’ nur erst ’mal mit hinauf nach Wilhelmshöhe. Was willst Du Dir den schönen Pfingsttag verderben! Wir nehmen einen Wagen und trinken oben Kaffee.“

Und so geschah’s. Aber vorher hatte auch ich noch eine kurze Aussprache mit dem mein Mitleid tief erregenden Fremden.

„Wie ist’s? Will er Ihnen helfen?“ hob ich an.

„Nein – er will nicht, obgleich er gegen 11000 Thaler gewonnen hat. Er will auch nicht mit nach C. zurück. Er will noch einmal nach Homburg.“

„Also nichts zu machen? Sie armer Mann –“

„Ja, arm –! Aber wissen Sie was? Wenn der Kerl mir nichts giebt, nicht wenigstens die Hälfte, dann versetze ich ihm da oben eine Kugel, erst ihm und dann mir. Leben soll er auch nicht!“

„Um Gotteswillen, Sie sind nicht bei Sinnen! Beruhigen Sie sich und bedenken Sie, was Sie thun wollen! Reden Sie ihm noch einmal zu! Ueberlegen Sie ein Darlehnsgeschäft auf Abzahlungen –“

Diese und andere Worte blieben zwar nicht ohne Eindruck auf den Unglücklichen. Dann aber schüttelte er doch wieder den Kopf, und ein so verzweifelter und zugleich erregter Ausdruck trat in seine Mienen, daß mir schier unheimlich zu Mute wurde.

Eben trat polternd der Baumeister herzu, mahnte, vorwärts zu machen, und fragte mich, ob ich mich nicht anschließen wollte.

Erst zögerte ich. Ich war schläfrig, wollte eigentlich einen Gasthof aufsuchen und erst im Laufe des Tages die Wilhelmshöhe besuchen. Aber Menschenpflicht, Sorge um den unglücklichen verwirrten Mann bestimmten mich, Ja zu sagen.

Während wir hinauffuhren, traten wiederholt Bettler an uns heran. Ich gab, der Baumeister verweigerte, der dritte suchte nach einem Geldstück, ohne eines zu finden. Der Baumeister schwatzte alles mögliche, erzählte mit umständlicher Breite, wie billig er sich den Anzug, den er trug, gekauft habe, und dergleichen mehr. Er schien schmutzig geizig zu sein; nur beim Spiel riß er alle Taschen auf. Wiederholt erklärte er auch seinen Entschluß, am Nachmittag nach Homburg zurückkehren zu wollen.

Er sah nicht die in wundervollem grünen durchsichtigen Frühlingsschmuck prangenden Bäume, nicht die Lichter, welche die Sonne verschönend und verklärend hineinwarf, er achtete nicht auf die kleinen Morgensänger, er sah nichts von der Pracht, die uns entgegentrat, wohin wir blickten. Aber ich schaute auf alles und auch auf den geknickten Mann, dem plötzlich, obschon er es zu verbergen suchte, eine Thräne unter die Wimpern trat. Ob er der Seinen gedachte, die arglos an diesem Festtage aufwachen, den Daseinsfreuden sich hingeben und – vielleicht durch eine entsetzliche Nachricht in Dunkel und Verzweiflung hinabgestoßen werden würden?

Erst als wir im Freien saßen, schien seine Seele wieder aufzuleben, und fast munteren Sinnes trat er, einen gleichgültigen Vorwand vorschützend, hinüber in das große Logierhaus. Da ich ihm aber nicht traute, weil gerade seine heitere Miene meinen Argwohn hervorrief, eilte ich ihm bald nach, trat ins Gastzimmer, hörte, daß er einen Cognac getrunken habe und hinten zum Hause hinausgegangen sei. Doch so viel ich mich auch umschaute, so eifrig ich auch suchte, ich fand ihn nicht und mußte endlich in beispielloser Spannung an unseren Tisch zurückkehren.

Wenig später brachte der Kellner dem Baumeister ein Blatt, in das dieser hineinschaute mit einem Blick der Erstarrung – fast zu gleicher Zeit ertönte hinter den Bäumen ein Schuß, und wir beide jagten, von einer wahnsinnigen Unruhe erfaßt, in der Richtung dahin, wo er gefallen. –

Ich habe in des Toten Angesicht geschaut und den Ausdruck nie vergessen. Es lag darin eine grausige Abwehr, gleichsam eine stumme Anklage gegen den, der ihn in den Tod getrieben. Ich habe nicht in das Briefblatt geblickt, da jener nicht den Mut besaß, es mir zu zeigen, ich sah jedoch an den fliegenden Gliedern und an den entsetzlich verstörten Mienen, daß sich die rächenden Furien ihm bereits an die Fersen geheftet hatten.

Lange blieb mir der Eindruck dieses Vorfalles. Ich konnte das grauenhafte Bild des Mannes mit dem zerschossenen Schädel nicht loswerden, und was ich erlebt, hat mich in der Folge vor jeder Versuchung behütet, nach einer Karte zu greifen, die für ein Hazardspiel gemischt war.

Zufällig habe ich später noch einmal von dem Baumeister gehört. Ein paar Jahre nach jenem Vorfall hat auch er auf ähnliche Weise wie sein einstiges Opfer geendet.



Blätter und Blüthen.


Das Schloß in Bernburg. (Zu dem Bilde S. 45.) Das alte Schloß zu Bernburg, das am 6. Januar der Schauplatz eines so tragischen Brandunglücks geworden ist, stammt zum Teil aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts und erhielt im 16. bis 18. Jahrhundert die Gestalt, die es im wesentlichen bis zu dem Tage der zerstörenden Feuersbrunst zeigte. Wie ein Märchenschloß ragte es mit den vielen Giebeln, Türmen und Erkern über die bewaldeten Terrassen empor und die mannigfache Gliederung und abwechslungsreiche Bauart verlieh ihm besonders vom gegenüberliegenden Ufer der Saale aus einen geradezu bezaubernden Anblick. Der Weg zur Burg führt neben der Saale entlang an einer schroffen Mauer vorüber stark ansteigend bis zur Zugbrücke. Von dieser blicken wir hinab in den Burggraben, den sogenannten „Bärgraben“, in dem noch als Wahrzeichen der Stadt zwei Bären gehalten werden. Den Eingang zum Burghof bewacht ein alter viereckiger hoher Turm, der mit den angrenzenden Bauten den ältesten Teil der Burg bildet. Gegenüber liegt der Hauptbau, das „lange Gebäude“ genannt: an dieses schließt sich nach der Saale zu der Christiansbau an, während sich nach der Stadtseite zu der dicke runde Burgfried erhebt. Er ist mit dem „langen Gebäude“ nur durch einen schmalen Brettergang verbunden und stand früher frei im Burghof. Das Volk nennt ihn den „Eulenspiegel“, und eine Sage erzählt, daß der lustige Vogel dieses Namens hier lange Zeit Turmwächter und Bläser gewesen sei, wovon der Turm seinen Namen bekommen habe. Er hat ein hohes Alter und mag wohl manchem prunkenden Turnier da unten auf dem Platze und manchem lustigen Zechgelage, aber auch manchem harten Strauß, der sich vor seinen Mauern abspielte, zugeschaut haben.

Das Schloß ist von dem Herzog von Anhalt vor einiger Zeit an den Kreis Bernburg verkauft worden. In den von der Kreisverwaltung eingenommenen Amtsräumen im mittleren Teil des Schlosses ist das Feuer zum Ausbruch gekommen, dem zwei Menschenleben, der Kreisdirektor Hagemann und sein Kutscher Könnecke, so jäh zum Opfer gefallen, sind.

Gefrorene Schellfische. Eine Frage von höchster Wichtigkeit für die Volksernährung ist seit vorigem Jahre befriedigend gelöst: es ist möglich geworden, die ungeheuren Massen von Schellfischen in der Nähe des Nordkaps dadurch auszunutzen und auch dem deutschen Markt zuzuführen, daß man sie steif und hart gefrieren läßt und sodann in Kühlräumen großer Dampfer nach Hamburg schafft. Das bekannte Mißtrauen gegen derartige Neuerungen machte sich dort zwar anfangs so stark geltend, daß es trotz des sehr niedrigen Preises (11 Pfennig das Pfund) nicht gelang, die erste Ladung abzusetzen. Aber sowohl die Hamburg-Altonaer Großhändler, als die norwegische Gesellschaft, von welcher die Unternehmung ausging, verloren den Mut nicht. Die anfangs noch mangelhafte Kühlung der Schiffsräume wurde verbessert, die Fischereizeitungen wurden für die Sache interessiert, Proben der gelieferten Fische an Institute, Professoren und Privatleute versandt, und der Erfolg erwies sich als ein glänzender. Geheimrat v. Ziemssen in München schreibt, auch als Referent der sämtlichen, mit den gefrorenen Fischen versorgten Krankenhäuser: „Die Fische sind von vorzüglichem Geschmack und haben die appetitliche Beschaffenheit, wie sie sonst nur Fische besitzen, welche, frisch aus dem Wasser kommend, gekocht werden. Die Nordkapgesellschaft erwirbt sich ein großes Verdienst um die Versorgung der ärmeren Klassen mit einem so billigen und zugleich so nahrhaften und schmackhaften Nahrungsmittel.“

Es ist nun dringend zu wünschen, daß von diesem der ausgiebigste Gebrauch gemacht werde. In allen großen Städten des Nordens waren die Fische im vorigen Winter zum Preis von 15 Pfennig das Pfund bereits auf dem Markt. Nach den kleineren und den süddeutschen Städten muß der Versand, dem gar keine Schwierigkeiten entgegenstehen, wenn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_051.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2023)