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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Schilf in den Weiher und dunkles Röhricht umschloß auch die kleine Insel, welche, der Falkenwand zu Füßen, den Eingang in den See verschloß. Träumende Schattenstille lag über dem Weiher. Nur die zwischen dünnerem Schilf dem See entströmende Ache rauschte eintönig, und zuweilen klang, von Wazemanns Haus herunter, ein gellender Pfauenschrei oder das heisere Gekläff der Hunde.

In der Ecke zwischen See und Ache erhob sich aus dem Waldgrund ein freier Hügel, welcher rings um den Fuß von hohem Hag umzogen war. Nur wenige Bäume standen auf dem Hügel, aller übrige Grund war blumige Wiese; hier schwang ein Knecht die Sense, und eine Magd raffte das gefallene Gras in ein Stück Netz und trug es auf dem Kopf in den niederen Stall. Zwischen Stall und Wohnhaus lag ein ebener Platz, auf welchem die Geräte zum Fischfang unter einem langgestreckten Dächlein an Stangen hingen. Das Wohnhaus war aus mächtigen, vor Alter schon grau gewordenen Balken gefügt, plump und schmucklos, nach der Seeseite blickte die offene Thür; vor ihr war ein breiter Gang mit groben Felsplatten gepflastert, und ihr zu beiden Seiten zogen sich schwer gezimmerte Bänke an der Wand entlang. Ueber der Thüre, in einer Runse des Gebälkes, staken dürre Kräuter und Stäudlein, die „Heilbuschen“, welche das Haus vor Blitzschlag bewahren und die bösen Geister von der Schwelle scheuchen sollten. Unter den Bänken lagen die aus Weidenruten geflochtenen Fischreusen, die „Burden“, darüber waren zwei Fischgeier mit ausgespannten Flügeln und eine lange Reihe eingeschrumpfter Fischotterköpfe an die Wand genagelt.

Nah vor der Thüre war der Brunnen gegraben, ein Flechtwerk umzog den offenen Schacht, und unter einem Dächlein war die Winde angebracht, mit welcher der Eimer an dickem Hanfseil gesenkt und gehoben wurde. Nicht weit davon – wo der Hügel sich gegen die Lände senkte – stand eine Gruppe von sieben Eichen; die größte, zwischen deren knorrigen Wurzeln ein eckig behauener Stein hervorragte, mochte wohl zweihundert Jahre zählen, während die jüngste nur erst ein kleines Bäumlein war, kaum über die fünfzehn Jahr’ alt. Von den Eichen führte ein aus Balken und Aesten gefügtes Gerüst über den Abfall des Hügels hinüber zur Höhe des Hags, ein luftiger Altan mit einem Tischlein und zwei Bänken. Das war ein freundliches Plätzchen, gleich einer Laube vom niederhängenden Geäst der Eichen überwölbt.

Auf diesem Lugaus saß ein junges Mädchen, kaum dem Kindesalter entwachsen, ein schlankes zartes Figürchen mit schüchtern knospenden Formen. Ein blau gefärbtes Röcklein aus körnigem Hanftuch floß bis auf die Knöchel nieder und ließ die mit zierlichem Geschick aus Bast geflochtenen Schuhe frei. Um die junge Brust spannte sich ein Miederchen aus braunem Hirschleder, welches locker genestelt war mit dünnen Riemschnüren, zwischen denen das weißgebleichte Pfaid mit kleinen Puffen hervorlugte. Eine Schnur mit blinkenden Otterzähnen hing als Schmuck um das schlanke Hälschen, und an den rosigen Ohrläppchen baumelten zwei bräunlich glänzende Beinringe, jeder gefügt aus den zwei krummen Nagezähnen eines Murmeltiers. Das war Edelrot, Sigenots Schwester, sie glich ihrem Bruder – freilich wie ein junger Trieb dem Baum. wie eine Quelle dem Bergbach. Ein Gesichtchen wie von Milch und Blut, mit träumerischen Kinderaugen und einem schwellenden Mündlein: lockig fiel das lichtbraune Haar um die Schultern, und mit den schimmernden Strähnen spielte der laue Windhauch, den der nahende Abend vor sich her schickte.

Edelrot saß über ihre Arbeit gebeugt; aus feinen hanfenen Fäden flocht sie eine Angelschnur. Während sie so saß, hurtig flechtend, kam drüben am Waldsaum ein junger Bursch unter den Bäumen hervorgegangen; er war ein Freier, denn das schwarze glänzende Haar war ungeschnitten und reichte bis zur Schulter; und der Sohn eines Bauern mußte er sein, denn er trug den grauen ärmellosen Spenzer aus zottigem Loden, den Ledergurt mit Messer und Maserlöffel in hölzerner Scheide, die kurze Berghose und die schweren Schuhe, deren Holzsohlen klumpig benagelt waren. Ein Sträußlein von Almenrosen schmückte die mit weißem Lammfell umsäumte Kappe und ein dicker Rosenstrauß war oben an den Schaft des langen Bergstocks, des „Grießbeils“, angebunden.

Hastig eilte der Bursche über die Lände hinweg – der weiche Sand dämpfte seine Schritte – und als er den Hag erreichte, duckte er sich und löste flink die Almenrosen vom Grießbeil. Rasch sich aufrichtend warf er sie mit beiden Händen in die Höhe, daß die Blumen, auseinanderfallend, wie ein blühender Regen über Edelrots Köpfchen niedergingen. Erschrocken sprang sie auf und blickte ratlos umher. Aber der Bursche konnte das Kichern nicht halten. Edelrot lauschte und streckte das Hälschen über den Zaun.

„Ruedlieb! Du! Hab’ mir’s doch gleich gedacht!“

Lachend gab sich der Bursch einen Schwung, haschte den Ranft des Gerüstes, und hui, saß er auf dem Tisch und ließ die Füße über den Zaun hinunterbaumeln. Da lachte auch das Mädchen. „Bei Dir geht’s aber flink! Gut, daß Du kein Wolf bist ... für Dich wär’ der Hag noch allweil nicht hoch genug.“

Seine ganze Antwort war wieder nur ein Lachen. Mit leuchtenden Blicken hingen seine Augen an dem Gesicht des Mädchens und folgten jedem Griff der kleinen Hände, welche die zerstreuten Blumen zusammenlasen. Als sie alle auf dem Tische lagen, eilte Edelrot zu den Eichen hinüber, pflückte ein paar lange Schmelen und begann die Röslein mit diesen Halmen aneinander zu winden.

„Gelt, die sind schön!“ sagte Ruedlieb, und als Edelrot nickte, streckte er die Hand hin. „Krieg’ ich kein Vergelt’s dafür?“

„Wohl wohl!“ Sie legte ihre Hand in die seinige. „Vergelt’s!“ Sie befreite ihre Hand, die er festhielt, und griff nach einer Rose. „Wie so was Schön’s nur wachsen kann aus der schwarzen Erd’.“

„Meinst wegen der Farb’? Weißt, die Almenros’ ist halt ein Blutblümel.“

Sie blickte fragend zu ihm auf. „Ein Blutblümel?“

„Ja. Oder weißt gar nicht, wo die Röserln herkommen?“

„Sie wachsen halt.“

„Jetzt, freilich, weil ein jedes wieder Samen tragt. Aber einmal, da hat’s eine Zeit gegeben, wo noch kein Almenröserl geblüht hat. Und selbigsmal, da hat eine junge Dirn’ gelebt, eine arme Wittib ist ihre Mutter gewesen, und das Dirndl war so gut wie ein Täuberl und so lieb zum anschauen, wie ... wie ... ich weiß nicht, wie!“ Ruedlieb fand keinen Vergleich, obwohl seine Augen an Edelrots Zügen hingen.

„Wie hat’s denn geheißen, das Dirndl?“

„Das weiß ich auch nicht. Aber ich mein’ halt, sie hat Rösli geheißen, weil die Blümerln da den Namen von ihr haben. Ja, und wie das Dirndl achtzehn Jahr’ geworden ist, da hätt’ sie einen Buben heuern sollen, den hat sie lieb gehabt, und der Bub das Dirndl auch, treu und fest. Und kein Glück hat’s noch auf der Welt gegeben, wie die zwei eins gehabt haben. Aber selbigsmal, da hat auch ein Jäger gelebt, ein Herrischer, der hat Unfirm geheißen und hat ein Aug’ auf das Dirndl geworfen.“

„Das muß aber einer gewesen sein! Recht ein schiecher!“

„Ja, Rötli, da hast recht! Das war einer! So einer, wie ...“ Ruedlieb verstummte und langsam blickte er über die Schulter hinüber nach Wazemanns Haus. „Auf Schritt und Tritt ist er dem Dirndl nachgegangen, aber sie hat von ihm nichts wissen mögen. Da hat die Mutter gefürchtet, ihr Dirndl möcht’ nimmer sicher sein, und hat es hinaufgeschickt auf die Alben. Aber der Unfirm hat das Dirndl aufgespürt und ist hinaufgestiegen auf die Alben. Das Dirndl, wie’s ihn kommen sieht, hat geschrien in der Angst, aber kein Mensch ist in der Näh’ gewesen, und so hat sie zu laufen angefangen und ist allweil zugelaufen und allweil zu ... und weil sie so arm gewesen ist, daß sie keine Schuh’ gehabt hat, so haben ihr die Stein’ und Stauden die Füß’ zerrissen. Das helle Blut ist davon getropft ... und wo ein Tröpfl hingefallen ist, hat der Boden das unschuldig Blut getrunken und ein Blümerl ist gewachsen, wie Blut so rot ... wohl wohl, und seit der Zeit sind die Albenröserln in der Welt.“

„Aber das Dirndl?“ stammelte Edelrot.

„Der Unfirm ist halt flinker gewesen, weißt ... und das Dirndl hat nimmer gewußt, wo aus und wo ein, und vor ihr sind die Wänd’ hinuntergefallen in den See. Da ist sie hinuntergesprungen, mit einem lauten Schmerzensruf, zu tiefst ins Wasser – und kein Mensch mehr hat von dem Dirndl ’was gehört.“

Edelrots Lippen zitterten, ihre Augen waren mit Thränen gefüllt. „Und der Bub’? Hat sich der denn gar nicht gerührt, daß er dem armen Dirndl geholfen hätt’?“

„Gelt, ja? Das hab’ ich auch gefragt, wie mir der alte Eigel die Geschicht’ erzählt hat!“ Ruedliebs Augen blitzten, und seine Wangen wurden heiß. „Wär’ nur ich der Bub’ gewesen, der Unfirm hätt’ was zu spüren gekriegt zwischen Ripp’ und Fleisch!“ Seine Hand zuckte nach dem Messer.

„Ruedlieb!“ stammelte Edelrot erschrocken und haschte die Hand des Buben, als sähe sie die Klinge schon blitzen, das Blut

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_054.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2019)