Seite:Die Gartenlaube (1894) 058.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


„Dann schau nur, daß Du bald unter Dach kommst!“ Lachend drehte Recka dem Fischer den Rücken und schritt davon. Raschen Ganges gelangte sie zur Lände am See. Edelrot hatte sie schon gewahrt und kam mit einem Ruder aus dem Hagthor hervorgeschlüpft. „Ich hab’ eine Stang’ mitgebracht!“ flüsterte sie. „Aber ich mein’, wir sollten nimmer fahren. Horch’ nur, wie’s im Röhricht zischelt … Du, das ist kein gutes Zeichen!“ Und scheu blickte sie zum Himmel. „Der König Eismann hat schon die Haub’.“

Recka lächelte. „Hast Du Furcht?“

Edelrot schüttelte das Köpfchen. „Furcht nicht, aber der Bruder wird schelten.“

„So laß ihn schelten! Komm’!“ Mit dem Knie schob Recka den leichten Fischernachen, den „Gransen“, ins Wasser und bestieg das Schifflein. Edelrot folgte, und während sie im Spiegel des Nachens das Ruder in den Weidenring schob, setzte sich Recka auf das Schnabelbrett, legte das Federspiel mit den weißen Taubenflügeln, das sie in lederner Tasche getragen hatte, vor sich hin, nahm die unruhig gewordenen Beizvögel auf ihren Schoß und streichelte ihnen mit einer langen Feder Hals und Rücken.

„Gelt,“ fragte Rötli, „da ist Dein ‚Schätzel‘ nicht dabei?“

Recka lachte. „Schau doch, Du kannst ja schon den Stockfalk unterscheiden vom Edelfalk! Gieb acht, Du wirst noch ’was lernen! Mein ‚Schätzel‘ sitzt daheim … ich hab’ die groben Stößer mitgenommen, die taugen besser auf das Wasser und machen flinke Arbeit. Aber jetzt tauch’ an!“

Stehend führte Edelrot das Ruder, gleichmäßig und geschickt, wenn auch mit schwachen Kräften. Sachte, mit leisem Plätschern, glitt das Schifflein hinaus auf die glatte schattenstille Flut. Ueber dem Wasser webte der violette Schimmer des entschlummernden Tages, tiefblau lagen in der Ferne die Gehänge des Untersberges, und über die Zinnen des Göhl hin leuchtete noch ein letzter Anflug helleren Lichtes. Doch zwischen dem hochtreibenden Gewölk, dessen wallende Säume in allen Farben spielten, lag es schon wie dunkle Nacht. Eine finstere Wolkenhaube hatte sich über den Schneegipfel des König Eismann gestülpt. Dort oben quollen und wirbelten die Nebelmassen durcheinander wie Dampf über einem Kessel – aber im Thal und über dem Wasser rührte sich noch kein Lufthauch.

Da raschelte es im Röhricht, und ein leises Geschnatter ließ sich vernehmen. „Da drinnen sind sie,“ flüsterte Rötli.

„Die Enten? Die lassen wir heut’ in Ruh’. Ich weiß uns bessere Jagd! Ein Elbißpaar[1] ist eingestrichen in den See, von meinem Fenster hab’ ich sie erschaut. Halt’ hinüber in die Ecke, wo aus der Tiefe der kalte Brunn aufsteigt – dort liegen sie im Schilf.“

„Recka,“ stammelte Edelrot, den Gransen verhaltend. „Du wirst doch nicht die Elbiß’ beizen!“

„Was soll mich hindern?“

„Die Leut’ sagen: wo der Elbiß rauscht, da ist der Bid nicht weit.“

„Ich fürcht’ ihn nicht,“ entgegnete die Wazemannstochter lächelnd. „Fahr’ zu!“ Rötli zögerte. „Fahr’ zu!“ wiederholte Recka ungeduldig. Unter stockendem Atem tauchte Rötli das Ruder ein und schob den Gransen. Nahe bei der Insel kamen sie vorüber, und Edelrot lugte mit scheuen Blicken in das Röhricht. „Schau,“ lispelte sie, „dort schau hin! Siehst die kleinen Weglein im Geröhr? Da steigt er aus und ein, der Bid.“

Recka lachte. „Närrlein, das sind Ottersteige! Fahr’ weiter!“

Rötli gehorchte; der Nachen glitt über eine Stelle des Wassers, an welcher sich auf dem Spiegel kleine wallende Kreise zeigten; hier stiegen die Quellen auf. Immer näher glitt das Schiff dem Röhricht. Recka hatte sich auf die Knie erhoben und setzte die Stößer auf den rechten Arm; durch die Schleifen der Falkenhauben hatte sie eine Schnur gezogen, um die Kappen lösen zu können mit einem Ruck. „Mach’ Lärm mit dem Ruder!“ flüsterte sie. Rötli war bleich und zitterte; aber sie folgte der Weisung. Es rauschte im Röhricht, klatschende Flügelschläge ließen sich hören, und die beiden Singschwäne hoben sich schweren Fluges über das Schilf, mit offenen Schnäbeln fauchend, die Hälse lang gestreckt. Schneeweiß leuchtete ihr Gefieder in der dämmernden Luft. Rasch löste Recka die Falkenhauben und hob den Arm. Die Stößer drehten hastig die Köpfe, und ihre gelben, bösartig blickenden Augen funkelten … jetzt wurden sie starr, das Gefieder sträubte sich – sie hatten die Schwäne eräugt. Und in diesem Augenblick sprang Recka auf und unter jauchzendem Ruf warf sie mit kräftigem Armschwung die Vögel. Pfeilschnell schossen die Stößer ihrer Beute nach. Schon hatten sie den Schwänen die Höhe abgewonnen, da fiel ein Windstoß aus den Lüften und rauschte an der Falkenwand entlang.

Mit klagendem Laut teilten die Schwäne ihren Weg, der eine suchte das Land, den tieferen See der andere. Diesen hatten die Stößer zu ihrem Opfer gewählt und schlagend fielen sie ihm an den Hals. Im Fluge trug sie der klagende Schwan und tauchte mit ihnen um die Ecke der Falkenwand.

„Er fällt in den Weitsee!“ schrie Recka in brennender Erregung. „Gieb mir das Ruder … wir müssen nach, oder der Schwan ist verloren und meine Vögel dazu!“ Sie hörte nicht auf Rötlis Stammeln und Bitten, mit ungestümen Händen griff sie nach dem Ruder und schlug das Wasser, daß vor dem Schnabel des Nachens eine weiße Welle aufrauschte. Wieder fiel ein Windstoß aus den Lüften, dumpf und brausend, und über das ganze Wasser lief ein jähes Zittern.

Hinter der Insel verschwand das Schiff mit den beiden Mädchen.

Im Röhricht erwachte ein Glucksen und Plätschern, jählings war aller Glanz von der Flut gewichen, grau und finster lag das Wasser, überwirbelt von kleinen stoßenden Wellen. Und weit aus dem Thal herein, plötzlich, hörte man das Rauschen der Ache.

Es kam der Sturm.

(Fortsetzung folgt.)




Kochdünste.
Eine hauswirtschaftliche Skizze.0 Von C. Falkenhorst.

In einer der schönsten Lagen der Stadt, inmitten freundlicher Gartenanlagen, steht eine Reihe schmucker Wohnhäuser. Wir haben in einem derselben zu thun und treten in das Thor, nicht ohne ein stilles Gefühl des Neides; denn in dieser freien Lage muß es sich herrlich wohnen und die glücklichen Mieter müssen für Stadtverhältnisse die denkbar reinste Luft genießen können. Aber wie enttäuscht steigen wir die hohen Treppen zu den obersten Stockwerken empor! Die Fenster sind weit aufgerissen, und trotzdem empfangen uns allerlei sonderbare Düfte: im Erdgeschoß riecht es nach abgebrühtem Kohl; im ersten Stockwerk würzt das Aroma von gebratenen Zwiebeln jeden Atemzug, den wir schöpfen; im zweiten Stockwerk dringt uns vollends der unausstehliche Dunst von verbrannter Milch entgegen; immer schlimmer wird es, je höher wir steigen, und aus dem offenen Küchenfenster des dritten Stockwerkes läßt sich eine durchdringende Stimme vernehmen über die „Wirtschaft“, die da unten geführt wird.

Wir haben genug gerochen und gehört; in diesem schmucken Hause lagert in den Vormittagsstunden der dichte Nebel der Kochdünste und ballt sich anscheinend zu einer Gewitterwolke zusammen, die sich über den Häuptern der Hausfrauen zu entladen pflegt. Schade nur, daß die blitzenden Worte Unschuldige treffen, daß die guten Frauen sich befehden, anstatt vereint gegen einen anderen Missethäter vorzugehen!

Wir möchten wetten, daß in diesem Hause wie in vielen anderen die Hausfrauen die unschuldigsten Engel und an dem Mißstand der Kochdünste lediglich der Baumeister und Ofensetzer schuld sind, die nicht für den richtigen Luftwechsel in den Küchenräumen gesorgt haben. Es ist allerdings unvermeidlich, daß beim Kochen Dünste sich entwickeln, aber durchaus unnötig, daß sie sich in der Küche, in den Wohnräumen und im ganzen Hause ausbreiten. – In dem von uns aufgesuchten Hause, das von wohlhabenden Bürgerfamilien bewohnt wird, sind die Kochdünste noch verhältnismäßig leicht zu ertragen; sie gestalten sich aber zu einer schweren gesundheitlichen Schädigung in den Mietskasernen, wo die minder bemittelten Familien dichtgedrängt wohnen und die Hausfrauen aus Mangel an Mitteln gezwungen sind, in dem eigentlichen Wohnraume zu kochen. In solchen Zimmern mischt sich der Kochdunst mit den Ausdünstungen der oft zahlreichen Familie; man prallt förmlich zurück, wenn man, aus dem Freien kommend, einen dieser überfüllten Räume betritt, so dick und unrein ist in ihm die Luft, und es ist in der That kein Wunder, daß an einem derartigen häuslichen Herde ein blasses, kränkliches Geschlecht heranwächst.

Lange Zeit glaubte man, daß sich gegen diese Luftverderbnis in den kleinsten Wohnungen nicht ankämpfen lasse. Als aber der Sinn für gemeinnützige Thätigkeit erwachte und die hygieinische Wissenschaft fortschritt, fand man Mittel, diesen Uebelstand zu mildern, den Aufenthalt einer Familie in einem einzigen Wohnraum zu einem erträglichen, besseren zu gestalten.

Im Verlauf ihrer Bestrebungen, die gesundheitliche Lage der minder bemittelten Stände zu heben, erließen zwei Körperschaften, der Verein zur Förderung des Wohles der Arbeiter „Concordia“ und der Deutsche Verein für öffentliche Gesundheitspflege vor zwei Jahren ein Preisausschreiben für die beste Konstruktion eines in Arbeiterwohnungen zu verwendenden Zimmerkochofens. Es wurden dabei an den Techniker ziemlich hohe Anforderungen gestellt. Der Musterofen sollte so eingerichtet sein, daß minder bemittelte Familien innerhalb ihres Wohnzimmers Speisen zubereiten könnten, ohne

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1894, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_058.jpg&oldid=- (Version vom 26.5.2019)
  1. Wilde Schwäne.