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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

zu umkleiden, der etwas durchaus Gewinnendes, Eigenartiges hat. Dabei wird sie von einem klangreichen Organ, einer anmutenden Persönlichkeit unterstützt.

Ebenfalls dem Deutschen Theater gehört Lilli Petri-Anno an, welche längere Zeit Mitglied des Berliner Lessingtheaters war. Vorher hatte sie, nachdem sie die Theaterschule von Kürschner besucht hatte, an den Theatern von Weimar und Leipzig Anstellung gefunden. In Leipzig war sie ein Liebling des Publikums geworden, ihre reizenden Mädchenbilder sind dort noch unvergessen. Da war von Schablone nicht die Rede. Wenn der Darstellerin auch die deutsche Herzinnigkeit ferner lag, so wußte sie doch ihr „Aschenbrödel“ und ähnliche Charaktere stets anziehend zu gestalten durch den Liebreiz ihres Wesens. Ihre eigentlichen Triumphe aber feierte Lilli Petri auf dem Gebiete des modernen Salonstücks, und als Susanne in der „Welt, in der man sich langweilt“ hatte sie einen so nachhaltigen Erfolg, daß dadurch das Stück sich lange auf dem Repertoire erhielt. Ein eigentümlich feiner und würziger Duft lag über diesen und ähnlichen Rollen der Künstlerin, welche sich in Aufgaben der deutschen klassischen Dichtung fast nie versuchte. Nur ihr Götterknabe Euphorion ist den Leipzigern durch seine poesievolle Erscheinung in der Erinnerung geblieben. In Berlin hat sie sich dafür ein neues Gebiet erobert, auf dem sie es zur allgemein anerkannten Meisterschaft brachte: es sind dies die weiblichen Charakterrollen, und gerade die gewagtesten Aufgaben der neufranzösischen und skandinavischen Dramatik hat sie zu Kabinettsstücken ihrer Kunst gemacht. Außer in diesen großen Aufgaben zeigte Lilli Petri auch in kleineren Rollen ihre eigenartige Auffassung und die Gabe, zu charakterisieren, so als Suse in „Freund Fritz“, der sie einen sehr bezeichnenden bäuerischen Beigeschmack gab, so als die launenhafte verwöhnte Signe im „Fallissement“ von Björnson, als übermütige, abenteuerlustige und doch dabei innerlich nicht haltlose Cyprienne in dem Sardouschen Drama dieses Namens. Sie wurzelt ganz in dem Boden des neuen Gesellschaftsstückes; und je schwieriger eine Aufgabe, desto glänzender bewährt sie ihr ursprüngliches Talent in der Lösung derselben.

Eine Berlinerin ist Agnes von Mito-Sorma, welche seit dem September 1891 dem Berliner Theater angehört, nachdem sie von September 1883 bis Anfang 1890 Mitglied des Deutschen Theaters gewesen war. Ihre künstlerische Entwicklung, die sich vor den Augen des hauptstädtischen Publikums vollzog, bewegte sich in aufsteigender Linie. Sie begann mit den Rollen der Hedwig Raabe, als muntere Liebhaberin, gefällig, aber nicht bedeutend, bestechend durch ihr zierlich geschmeidiges Wesen, ihr bewegliches Mienenspiel, ihre glänzenden Augen; sie entwickelte sich aber von Jahr zu Jahr kräftiger und selbständiger. Jetzt ist sie für die Heldinnen des modernen Dramas eine hervorragende Kraft geworden; Ibsens Nora, Sardous Dora spielt sie mit Feuer und fein ausgearbeiteter Charakteristik. Ihre Haltung, ihre Spielweise und Auffassung sind modern realistisch ohne jede Spur eines großen Stils. Mit vielem Geschick weiß sie sich hervorragenden Mustern anzuschmiegen und dem Bilde doch zugleich eigene Züge hinzuzufügen. Sie ist temperamentvoll und wandlungsfähig und weiß die Affektscenen der neueren Dramatik oft in zündender Weise zur Geltung zu bringen.

In Frau Stella Hohenfels vom Wiener Hofburgtheater tritt uns eine sehr gewinnende Darstellerin entgegen, die von Jahr zu Jahr an der Wiener Hofburg festeren Fuß gefaßt hat. Sie ist 1857 zu Florenz geboren, in Paris erzogen und trat zuerst 1873 am Berliner Nationaltheater auf als Käthchen von Heilbronn und Luise in „Kabale und Liebe“. Nachdem sie von August Förster, der sich auf einer Rundreise nach jungen Talenten befand, dem damaligen Direktor des Burgtheaters, Dingelstedt, empfohlen worden war, führte sie sich als Desdemona erfolgreich ein und wurde dort dauernd gefesselt. Anfangs war ihr Wirkungskreis beschränkt; erst Adolf Wilbrandt als Direktor verschaffte ihrem Talent volle Geltung; seit 1887 ist sie mit lebenslänglichem Vertrag an der Burg angestellt. Im Jahre 1889 verheiratete sie sich mit dem damaligen artistischen Sekretär des Burgtheaters Dr. Alfred Freiherrn von Berger. Bezeichnend für die Bedeutung ihres Talents ist es, daß sie mit Nebenrollen Aufsehen zu machen wußte, so mit dem Ariel in Shakespeares „Sturm“ und besonders mit der Katharina in „König Heinrich V.“, die sie mit köstlicher Naivetät spielte. Zarte Mädchencharaktere wie Ophelia und Desdemona weiß sie mit Innigkeit darzustellen; frische Ursprünglichkeit, Heiterkeit, warme Herzenstöne und zugleich leidenschaftliches Spiel in der Eifersuchtsscene zeigte sie als Susanne in der „Welt, in der man sich langweilt“. Aber auch schlichte, deutsche Mädchenrollen wie die Thusnelda in den „Zärtlichen Verwandten“ von Benedix führt sie mit Gemüt und Grazie durch. Die willkommensten Aufgaben fand sie in Wilbrandts Lustspielen, als Helene in „Jugendliebe“, als Marianne im „Unterstaatssekretär“, und einen Triumph feierte sie in der Darstellung der fünf Frauenrollen des „Meisters von Palmyra“, die sie alle höchst charakteristisch durchführte.

Ueber die erste Liebhaberin des Dresdener Hoftheaters, Clara Salbach, haben wir bereits im Jahrgang 1888 (Nr. 6) biographische Mitteilungen gebracht; doch darf diese anmutige Blume im Kranze der gleichstrebenden Künstlerinnen nicht fehlen. Damals gehörte sie dem Leipziger Stadttheater an, zuerst als sentimentale Liebhaberin, die durch das Zarte, Innige, Liebliche ihres Spiels und ihrer Erscheinung die Herzen des Publikums gewann. Man traute ihr anfangs keine Rollen zu, die einen größeren Kraftaufwand verlangen; doch allmählich gewann ihr darstellendes Talent an Energie, ihr Rollenkreis erweiterte sich, und ehe sie Leipzig verließ, spielte sie Rollen, die an das Heroische streifen, mit schönem Erfolg. Und so spielt sie auch an der Dresdener Hofbühne nicht bloß Maria Stuart, sondern auch die Jungfrau von Orleans. Stellt man daneben ihre ausgezeichnete Leistung als Claire im „Hüttenbesitzer“, so sieht man, welchen weiten Kreis von Rollen ihr Talent umschreibt. Und überall ist ihr Wesen, ihr Spiel gleich harmonisch, nicht überwältigend durch dämonische Kraft, aber bestechend durch innigen Ausdruck des Gefühls und durch die künstlerische Haltung der Gesamtleistung.

Als Lustspielliebhaberin des Dresdener Hoftheaters hat die liebenswürdige Charlotte Basté durch ihre graziöse Erscheinung und Spielweise sich ein dankbares Publikum gesichert. Sie stammt aus einer Künstlerfamilie; 1867 wurde sie in St. Petersburg geboren und spielte schon als Kind in Schneiders „Kurmärker und Picarde“ die drollige Französin. Es regnete Bonbondüten und sonstige Geschenke auf die Bühne, und auch ein Lorbeerkranz fehlte nicht; Marie Seebach hatte ihn der jüngsten Debütantin gespendet. Diese bewies ihre künstlerische Pflichttreue dadurch, daß sie über eine platzende Bonbondüte hinweggelangte, ohne sich nach dem verstreuten Inhalt zu bücken; erst als das Stück beendet war und sie hervorgerufen wurde, sammelte sie die süßen, auf der Bühne umherliegenden Gaben ein. Im Alter von 15 Jahren trat sie zuerst am Berliner Hoftheater auf, war darauf zwei Monate in Leipzig, wo sie für die erkrankte Vertreterin ihres Faches einsprang, und wurde dann für St. Petersburg gewonnen, wo sie den Rollenkreis von Goethes Klärchen bis zu den Naiven neuesten Stils beherrschte. In St. Petersburg blieb sie zwei Jahre, dann wurde sie vom Dresdener Hoftheater unter sehr günstigen Bedingungen engagiert. Sie spielt vorzugsweise die Naiven, aber darin geht ihre Kunst nicht auf; sie gebietet auch über einen glücklichen Humor, über einen feinen geistreichen Salonton und hat Rollen wie die Marianne in Wilbrandts „Unterstaatssekretär“ mit glänzendem Erfolg gespielt.

Die jüngste dieser Darstellerinnen, die erste Liebhaberin der Leipziger Bühne, Marie Immisch, hat durch eine sich über das Durchschnittsmaß erhebende Künstlerschaft die einstimmige Anerkennung von Publikum und Kritik gefunden. Geboren 1868 in Weimar, hat sie ihre ersten Studien in Oldenburg unter Otto Devrients Leitung gemacht, war dann zwei Jahre in Danzig und gehört jetzt seit drei Jahren dem Leipziger Stadttheater an. Sie ist eine Darstellerin, die Kopf und Herz auf dem rechten Fleck hat, ihre Rollen mit feinem Verständnis durcharbeitet und die zarteren mit echt poetischem Duft umgiebt; das gilt z. B. von ihrer Thekla, welche der idealen Gestalt des Dichters durchaus entspricht. Vorzüglich ist ihre Julia, ihre Bertha in Grillparzers „Ahnfrau“. Für das Zarte und Schwärmerische trifft sie einen sehr anmutenden Ton; aber sie ist auch hinreißend im Ausdruck einer starken Empfindung. Das schöne Talent dieser Künstlerin wird gewiß noch in weiteren Kreisen von sich reden machen. †      


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_067.jpg&oldid=- (Version vom 23.6.2023)