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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


wie ihre Namen – sind längst dahin. Heute faßt man das Verbrecherleben Italiens unter dem Gesamtnamen „Malavita“ zusammen.

Ihre Sonderarten sind, wie wir aus allerjüngsten Prozessen erfahren, in Andria „L’infame Legge“ (das schimpfliche Recht oder Gesetz), in Barletta die Verbrüderung der „Picciuotti“ (Jünglinge), in Bari und Neapel die speziell sogenannte „Malavita“, die richtigen Töchter der noch heute durch ganz Süditalien in Ansehen stehenden Camorra oder der sicilianischen Maffia, was schließlich auf eins herauskäme, denn diese wie jene sind Verbindungen oder Genossenschaften zum Zwecke des Verbrechens gegen das Eigentum und gegen die Personen.

Das ist die juridische Begriffsbestimmung, sie paßt auch auf alle Zweigverbindungen, sie mögen heißen, wie sie wollen; diese unterscheiden sich voneinander nur durch ihre Satzungen, deren Hauptgrundzüge aber überall die gleichen sind.

Blinder, rascher, unerschütterlicher Gehorsam gegen die Obern.

Unbedingtes Schweigen über die Mitglieder der Verbindung und über ihre verbrecherischen Unternehmungen.

Körperliche, moralische und pekuniäre Hilfe für die Genossen, besonders die eingekerkerten.

Ueber alles und jedes Benachrichtigung der Obern, unter keiner Bedingung Anrufung der Behörde.

Die Uebertretung einer dieser Hanptvorschriften gilt als Verrat und wird mit dem raschen, sicheren Tode bestraft.

Mitglied kann werden, wer einen „Notfall“ zu entschlossener Erledigung bringen will; erst muß er Beweise geben von Unempfindlichkeit, Tollkühnheit und – Unterwerfung worauf er sich einem längeren oder kürzeren Noviziat zu unterziehen hat.

Zwei Orang-Utans von der Insel Borneo.
Nach der Natur gezeichnet von H. Leutemann.

Die Einführungsgebräuche sind in den verschiedenen Provinzen verschieden. Dypisch sind die bei den Maffiosi von Girgenti. Hier wird der Neuling den Sektionsvorstehern durch zwei wohlverdiente Mitglieder vorgestellt. In dem Zimmer tritt er vor den Tisch, auf dem irgend ein Heiligenbild liegt. Seine Paten stechen ihn in den Daumen der Rechten und lassen das Blut über das Heiligenbild tröpfeln. Darauf muß der Neuling den folgenden Eid leisten: „Ich schwöre auf meine Ehre, der Brüderschaft treu zu sein, wie die Brüderschaft sich mir treu erweisen wird. Wie man dieses Bild mit meinem Blute verbrennt, so werde ich mein Blut für die Brüderschaft vergießen, und wie diese Asche nicht wieder Papier werden und dieses Blut nicht wieder flüssig werden kann, so kann ich die Brüderschaft nicht wieder lassen.“

Hierauf wird das Bild an der angezündeten Kerze verbrannt. An anderen Orten kommt es vor, daß der neu zu Weihende auf ein Kruzifix einen Schuß abgeben muß, um darzuthun, daß er nicht zögern würde, irgendwelche Person, selbst die ihm teuerste, zu töten.

Die Mitglieder der Malavita in Bari leisteten folgenden Eid: „Mit einem Fuße im Grabe und mit dem andern an der Kette, schwöre ich, Vater und Mutter zu verlassen, um den Zweig der ‚Umiltà‘ (Demut, Unterwerfung im schlechtesten Sinne) zur Blüte zu bringen und die Sekte der Ehrlosen zu zerstören.“

Nach diesem Eide wird der Geweihte als „Gevatter“ begrüßt und hat die Ehre, der erste zu sein bei der nächsten von der Hauptversammlung beschlossenen Unternehmung.

Colacino berichtet noch mehr über die „Sprache“ der Verbündeten. Ist ein „Bruder“ in Gefahr, so ruft er: „Hundert hab’ ich durchgemacht und mit diesem hundertundeins!“ Hört ihn einer der Brüder, so muß er ihm Hilfe und Schutz angedeihen lassen. Um sich zu erkennen zu geben, dient die an den andern gerichtete Frage: „Habt Ihr ein Cigarrenstümpfchen? Mich schmerzt der Backenzahn.“ Die Antwort ist: „Ich hab’ eins.“

Oder das Gespräch nimmt folgenden Verlauf:

„Wie spät habt Ihr?“ – „Meine Uhr geht dreißig Minuten nach.“

„Seit wann geht sie so?“

„Seit dem 25. März.“

„Wo wart Ihr an jenem Tage?“

(Hier wird der Ort genannt, wo er eingeweiht wurde.)

„Wer war da?“

„Schöne Leute.“

„Zu wem betet Ihr?“

„Zu Sonne und Mond.“

„Wer ist Euer Gott?“

„Aremi“ – eigentlich „Oremi“, eine „Farbe“ im italienischen Kartenspiel, unserem „Schellen“ (Carreau) entsprechend.

Die Maffia hat ihre unmittelbaren Oberhäupter und ihre geheimen Beschützer, mittelbare Helfershelfer, die den Großhehlern im Brigantaggio entsprechen. Diese werden zu solchem Amte getrieben teils durch Furcht, teils durch Ehrgeiz, teils durch Bosheit oder durch all diese Gründe zusammengenommen. Sie gehören jener Klasse an, die ihren Einfluß gewinnt aus dem Namen und dem Reichtum, die voll leidenschaftlichen Ehrgeizes danach trachtet, die Uebermacht zu haben, die keine Beleidigung verträgt, sich grausam rächt und dabei auch einen unrechten Gewinn nicht verschmäht.

Wer auf Sicilien seine Ehre und seine Habe respektiert sehen will, muß eine bewaffnete Macht von einiger Bedeutung zur Verfügung haben und wissen und fühlen lassen, daß er sie hat. Dafür einige Beispiele in einem zweiten Artikel.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_077.jpg&oldid=- (Version vom 25.10.2019)