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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Auch ich liebe die ‚Perle‘, aber hundertmal mehr noch hängt mein Herz an Dir!“

Er entgegnete nichts darauf, ihm war das Herz zu voll. Er konnte nur die Lippen und die Augen küssen, die ihm das sagten. „Und Du glaubst nicht,“ nahm er nach einer Weile das Wort, „daß jetzt, gerade jetzt der geeignete Zeitpunkt wäre, vor Deinen Vater zu treten und ihm zu sagen: hier ist ein Mann, der um Ihre Tochter wirbt, kein Millionär und kein Graf, aber einer, der sein Alles dransetzt, sie glücklich zu machen, dem nichts zu schwer und nichts zuviel ist für sie und die Ihrigen! Du glaubst nicht, daß es jetzt gut wäre, so zu sprechen? Du schüttelst den Kopf?“

Bittend faltete sie die Hände auf seiner Brust. „Ach, Liebster, wir müssen Geduld haben, müssen abwarten, wie sich alles gestaltet. Das ist schwer für mich, unendlich viel schwerer noch für Dich, den Mann, der sich sein Schicksal selbst schaffen möchte. Aber um meinetwillen, bitte, versuch’ es um meinetwillen, ruhig und geduldig zu sein! Ich kann es nicht über mich gewinnen, Leid um Leid auf den armen gebrochenen Papa zu häufen, und meine kranke Mama darf ich nicht verlassen, solange sie lebt – sie kann nicht ohne mich sein, ich weiß es! Der Arzt sagt, ihr Leben hänge an einem Faden; wie darf ich da ....“

„Sprich nicht weiter, Ilse! Du hast recht, ich muß versuchen, geduldig zu sein – um Deinetwillen! Darf ich doch den unerschütterlichen Glauben an Dich festhalten!“

„Das darfst Du, Albrecht! Ich danke Dir!“

Sie sahen einander tief in die Augen – da schlug die kleine helltönige Stehuhr die siebente Stunde. Ilse fuhr erschrocken zusammen und flüsterte: „Schon?“ Kamphausens Gesicht wurde trübe, seine Hand fuhr in eine Seitentasche seines Uniformrocks und brachte ein Sammettäschchen zum Vorschein, das er in Ilses Rechte legte. Fragend sah sie zu ihm auf.

„Es gehört Dir. Oeffne es nur!“

Innen, auf dem blauen Atlaspolster, lag eine feingegliederte Goldkette, daran ein Medaillon, in dessen Mitte ein einziger großer Brillant wie eine blitzende Thräne funkelte. Mit vorsichtigem Finger drückte Ilse auf den Deckel des Medaillons – Albrechts Züge, die den gewohnten, männlich kühnen Ausdruck trugen, blickten ihr aus der kostbaren Fassung entgegen.

„Albrecht – Du Lieber, Guter, wie soll ich Dir danken! Damit Du siehst, daß auch ich an Dich gedacht –“ sie zog ein Büchlein hervor, außen kunstvoll in Gold und Seide gestickt, die Innenseiten wiesen Ilses Photographie und eine Locke ihres Haares, die sorgsam mit Goldfäden befestigt war.

„Ilse!“ Kamphausen umschlang zärtlich die geliebte Gestalt. Im nächsten Augenblick jedoch ließ ein ingrimmiges Räuspern in der „Nebenkajüte“ die beiden auseinanderfahren. Mit schwerem wiegenden Tritt trat Kapitän Leupold ein. „Bitt’ unterthänigst um Vergebung! Komme, um meinem Fräulein Nichte etwas zu zeigen, was sie aller Wahrscheinlichkeit nach interessieren wird. Komm’ ’mal her, Prinzeß Ilse, setz’ Dich neben mich – so! Ich werd’ Dich nicht beißen! – Uff!“

Er hatte einen ganzen Pack Land- und Seekarten unter dem Arm und ließ ihn jetzt schwer auf einen eichenen Arbeitstisch niederfallen – so ziemlich das einzige Möbel im ganzen „Achterdeck“, das kein ausländisches Gepräge an sich trug.

„Damit Du weißt, wo er bleibt, der Herzallerliebste! Da! Ich hab’ Dir seinen Kurs eingezeichnet und will Dir alles sagen. Wenn Du willst, schreib’ Dir’s auf!“

„Ob ich will! Das ist gut von Dir, Onkel!“

„Zu danken brauchst Du nicht, es geschieht bloß der Ordnung wegen, ’ne richtige Seemannsbraut, die muß doch wissen, woher und wohin – sonst taugt sie den Teufel ’was.“

Mit aufmerksamen Blicken folgte Ilse dem deutenden Finger des Alten und seinen Erklärungen. Er hatte alles am Schnürchen, zeigte, kramte allerlei Erinnerungen aus, während Ilse eifrig zuhörte und sich in ihrem kleinen Taschenbuch Notizen machte. Kamphausen warf hin und wieder ein erläuterndes Wort dazwischen, im ganzen war er schweigsam und ließ seinen alten Freund reden. Flüchtig, verstohlen streiften seine Lippen die Hand, das Haar, die Stirn seiner Geliebten. Ein paarmal schaute Leupold zufällig auf, wenn dies geschah, und eine herbe spöttische Grimasse legte Zeugnis von den Empfindungen ab, die ihn bei solchem Anblick bewegten.

Als die Belehrung beendet war und Ilse sich über das „Woher und Wohin“ ihres Verlobten gehörig unterrichtet zeigte, erhob sich der alte Kapitän schwerfällig, mit einem schmerzhaften Zucken des Gesichts – der Rheumatismus zwickte ihn trotz des schönen Frühjahrs tüchtig, was unfehlbar einen Umschlag der Witterung bedeuten mußte – packte seine Karten wieder zusammen und empfahl sich mit einem anzüglichen: „Viel Vergnügen, aber nur bis acht Uhr! Du weißt, Prinzeß Ilse, gleich nach Acht mußt Du pünktlich an Bord ... will sagen, bei Deinem Vater im Gasthof sein.“

Er ging ins Nebenzimmer, holte sich die neueste Reisebeschreibung hervor – er las viel, natürlich nur Bücher, die einigermaßen in sein „Fach“ schlugen – und vertiefte sich mit Eifer in die Seltsamkeiten, die der Verfasser, ein englischer Naturforscher, berichtete. Förmlich erschreckt fuhr er empor, als plötzlich die Thür, die zum „Achterdeck“ führte, ungestüm geöffnet wurde und Albrecht Kamphausen an ihm vorüberstürmte. Des jungen Mannes Gesicht war blaß, die Lippen hatte er fest zusammengepreßt und die Hand geballt. Die Augen glühten ihm wie im höchsten Zorn, und doch kämpfte er nur gegen die Thränen, die heiß aufquellenden Thränen. An seinem alten Freunde lief er vorüber, als sähe er ihn nicht, sein Blick ging wie drohend unter den finster gefurchtea Brauen in die Weite. Draußen angekommen, gab er mechanisch seinem „Korsar“ mit der Hand ein Zeichen, ihm zu folgen, und eilte mit fliegenden Schritten davon.

Erich Lenpold hatte keinen Versuch gemacht, Kamphausen zurückzuhalten; er wollte ihn ja morgen noch zum Bahnhof begleiten, und daß es heute, nach einem solchen Abschied, den Freund nicht mehr nach einem andern „vernünftigen“ Gespräch verlangte, das konnte sich der alte Seebär denken, wenn er es auch keineswegs billigte. Kopfschüttelnd setzte er sich aufs neue an seine Lektüre und wartete auf „Prinzeß Ilse“.

Es dauerte eine ganze Weile – sie kam nicht. Der Kapitän merkte endlich, daß er weiter und weiter las, ohne den Sinn der Worte zu fassen. Aergerlich warf er das Buch beiseite, horchte zum Nebenzimmer hin und „schlich“ sich dann „auf den Zehen“ zur Thür. Aber was der Kapitän „schleichen“ nannte, war immerhin noch ein so wuchtiger Schritt, daß die Dielen knarrten.

Die Thür zum „Achterdeck“ war halb offen geblieben, und durch den Spalt gewahrte Leupold, wie seine Nichte, hilflos auf einen Stuhl hingesunken, die Arme quer über die Platte des Eichentisches geworfen und das Gesicht darauf gelegt hatte. Goldene Sonnenstrahlen irrten über das schöne Haar und dies Haar zitterte und bebte, denn das Mädchen weinte, weinte leidenschaftlich und bitterlich, jetzt, da der Liebste von ihr gegangen, jetzt, da sie allein war.

Als sie das Kommen des Alten vernahm, richtete sie sich hastig empor, sah verwirrt um sich, wie wenn sie nicht recht wisse, wo sie sich befinde, und sagte dann mühsam, mit dem kläglichen Versuch, tapfer zu sein: „Verzeih’ mir, Onkel Erich!“

Der Angeredete hob die Achseln. „Du scheinst mich überhaupt für gar keinen Menschen anzusehen. Da es ’mal so weit kommen mußte, da er nun ’mal Dein Liebster ist und da es für Euch ’ne Trennung giebt, die vielleicht auf immer ist – so ist’s am Ende natürlich, daß Du“ – er wollte sagen: „heulst“, besann sich aber noch beizeiten und endigte: „daß Du in Thränen schwimmst. Wenn ich Dich aber daran erinnere, daß Dein Herr Papa im Gasthof sitzt und sich wahrscheinlich sehr über Dich wundert ... ich möchte nämlich nicht, daß er auf die Suche nach Dir ginge und Dich bei mir fände. Du weißt, mit Deinem Herrn Vater hab’ ich nun ’mal nichts im Leben zu teilen!“

Ilse erhob sich rasch. „Ich gehe, Onkel Erich. Du hast recht, wenn Papa Mißtrauen hat, wird uns das bißchen Glück in Zukunft noch viel schwerer gemacht. Also Du hältst Wort und vermittelst unsern Briefwechsel, und wenn Du etwas über Albrecht und das Schicksal der ‚Nixe‘ erfährst, dann läßt Du mich’s wissen – nicht wahr?“

„Was bleibt mir anderes übrig? Bin ich der Narr gewesen, solchen Unsinn zu versprechen, muß ich auch der Narr sein, es zu halten.“

„Tausend Dank, Onkel! Seh’ ich sehr verweint aus?“

„Und ob! Kein Wunder! Wenn man seinen Thränendrüsen soviel Arbeit giebt, setzt es allemal rote Augen!“

Sie hauchte hastig in ihr Taschentuch und führte es wiederholt an die Augen. Dann, mit einem schweren Seufzer, hielt sie dem Onkel die Hand zum Abschied hin.

„Willst Du das Ding da um den Hals behalten, damit Dein Herr Papa seine Freude dran hat?“ fragte der Kapitän und berührte mit einem Finger die neue Goldkette.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 79. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_079.jpg&oldid=- (Version vom 3.10.2022)