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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


Da lag schon wieder tiefes Dunkel um ihn her, und über die Wolken rollte der Donner hin. Eberwein erhob sich und streifte, tief atmend, mit der Hand über die Stirn. „Ich habe zu lange gewacht. Meine Augen sehen, was nicht ist.“

Er ging dem Zelte zu, aus welchem noch immer Waldrams betende Stimme klang. Da blendete ein grelles Licht seine Augen. Ueber den waldigen Hügel, welcher jenseit der Ache lag, fuhr ein Blitzstrahl nieder und stand in der Luft gleich einem brennenden Riesenbaum, der in den Wolken gipfelte und mit flammenden Aesten nach allen Seiten griff. Himmel und Erde, Berge, Thal und Wälder, alles schien in Feuer zu schwimmen – und ein Donner rasselte, als wäre der Gipfel eines Berges eingestürzt und schüttete seine springenden Trümmer über brechende Bäume.

Jetzt erwachte auch Schweiker in seinem Zelte. „Da hat’s eingeschlagen, nicht weit von uns!“ schrie er und kam hervorgestürzt. Bruder Wampo folgte ihm, stotternd und die Hände ringend. Alle beide rannten nach dem andern Zelt.

In der Finsternis, welche auf die blendende Helle folgte, trat ihnen Eberwein entgegen. „Was sucht Ihr?“

„Gott sei Dank! Weil ich nur Eure Stimm’ hör’!“ rief Schweiker. „Ich hab’ schon gemeint, es müßt’ ’was geschehen sein!“

Aus dem Wald klang das Schreien der Knechte; eines der Saumtiere war scheu geworden und hatte sich losgerissen. Schweiker wollte zum Lager der Knechte eilen, aber schon nach wenigen Schritten stand er wieder. „Schauet, Herr,“ rief er und deutete über die Ache hinüber nach der Höhe des finsteren Waldhügels, „der Blitz muß in einen dürren Baum geschlagen und gezündet haben!“

Nahe den beiden Felszacken, welche schwarz aufstiegen aus dem Wald, breitete sich eine rötliche Helle über die Wipfel, und es währte nicht lange, so stieg eine schlanke Feuergarbe in die Nacht empor, schwankend und lodernd im wehenden Sturm.

„Ein Zeichens des Himmels!“ stammelte Eberwein. „Gott rodet den Wald für sein heiliges Haus. Wo jene Flamme brennt, soll unsere Klause stehen.“

Da klang hinter ihm die Stimme Waldrams. „Ja, ein Zeichen des Himmels, das ich erflehte in brünstigem Gebet. Gott erhörte meine Bitte ... was stehet Ihr noch und staunet das Wunder an! Nieder auf die Knie und preiset den Herrn!“ Mit ausgebreiteten Armen sank er zu Boden und begann mit hallender Stimme den Ambrosischen Lobgesang. Die Brüder knieten nieder und fielen ein in den Gesang; nur Eberwein stand, die Hände auf der wogenden Brust, und blickte schweigend empor in die Nacht der Wolken. Als der Gesang verstummte, sagte er: „Nun wollen wir ruhen und schlummern, bis der Morgen graut, denn der kommende Tag will uns bei Kräften finden!“

Sie traten in die Zelte. Schwere Tropfen begannen zu fallen, es dämpfte sich der Sturm, und in rauschendem Regen löste sich das Ungewitter.




9.

Nach der finsteren Sturmnacht war ein heller Morgen aufgeblüht, schimmernd in aller sommerlichen Schönheit: der Himmel wolkenlos und blau, die Lüfte frisch und ohne Hauch, alle Farben satt und tief, jeder Zweig und jedes Gras behängt mit funkelnden Tropfen, die Berge von blauen Schatten überschleiert oder leuchtend in goldigem Frühschein, sie alle überragt vom König Eismann, dessen steile von ewigem Schnee umgossene Zinne im vollen Licht der Sonne glänzte gleich einer riesigen Silberstufe. Schräge Lichter fielen schon zwischen die Wipfel des dichten Waldes, in welchem der Zug der Saumtiere sich langsam fortbewegte. Nur Waldram und Bruder Wampo hielten den gleichen Weg mit den Knechten. Eberwein und Schweiker waren nach verschiedener Richtung in den Wald gezogen, um die Feuerstätte der vergangenen Nacht zu suchen.

Zwischen den ragenden Urwaldbäumen schritt Eberwein dahin, mit seinem Stab die Stauden und Ranken teilend, welche häufig seinen Weg versperrten. Da klang in der Nähe, vom lichteren Wald her, das Wiehern eines Pferdes. Eberwein blickte auf, und eine Furche des Unmuts grub sich in seine Stirne. „Soll ihr Weg denn immer meine Straße kreuzen!“ So murmelnd, wandte er sich ab und nahm eine andere Richtung. Hinter seinem Rücken ließ sich ein Lachen hören. Aber das war eine Männerstimme. Eberwein blickte zurück und gewahrte einen Reiter, welcher zwischen den Bäumen nur flüchtig auftauchte in schmalen Lücken und auf trabendem Pferd verschwand.

„Wer war das? Einer von ihren Brüdern?“ Eberwein fand nicht Zeit, dieser Frage nachzudenken, denn durch die Bäume her scholl Schweikers lauter langgezogener Ruf. „Hoidoooh! Hoidoooh!“; er mußte die Feuerstatt gefunden haben.

Eilenden Ganges folgte Eberwein dem Ruf; er schritt einer Lichtung zu. welche zwischen den Bäumen schimmerte, und geriet auf einen Fußpfad. Da kam Schweiker ihm schon entgegen, mit lachendem Gesicht. „Kommt, Herr, und schauet nur, was ich gefunden hab’! Der feurige Weiser hat uns gut gewiesen!“ Eberwein führend, eilte er voran, und bald erreichten sie den Waldsaum. Eine weite, von hohen Bäumen umstandene Blöße lag vor ihnen, fast eben, mit Moos und Heidekraut überwachsen – eine stille freundliche Insel inmitten des dunklen Wäldermeeres. Ueber der Lichtung drüben stieg gegen den Untersberg ein bewaldeter Hang empor, über welchen eine in der Sonne blitzende Quelle niederrieselte in einen kleinen schimmernden Teich; zu beiden Seiten des Hanges erhoben sich zwei graue Felszinnen. Inmitten der Lichtung stand der vom Feuer halb verzehrte Baum, einsam, gleich einer schwarzen Säule; nur die Stümpfe der beiden untersten Aeste hafteten noch an dem verkohlten Stamm und ragten seitwärts wie die Arme eines Kreuzes. Asche und Kohlenreste bedeckten den Felsblock, der zwischen den Wurzeln des verbrannten Baumes sich erhob.

„Schauet hin, Herr,“ sagte Schweiker, „das ist ein behauener Block! Ein Heidenstein!“

Raschen Ganges überschritten sie die Lichtung und standen vor dem Felsblock. Mit roher Arbeit war der vorderen Fläche des Steines das Zeichen einer Flamme eingemeißelt. „Ein Stein des Loki!“ sagte Eberwein in tiefer Bewegung. „Hier loderte die Flamme und floß den falschen Göttern das Blut der Opfer. Hier wollen wir die lautere Flamme des wahren Glaubens entzünden und dem Himmel opfern, auf den wir hoffen. Rufe die Brüder, Schweiker – ich will die Messe lesen auf diesem Stein.“

Ueber Schweikers Backen kollerten zwei dicke Zähren; er fuhr mit der Faust über Augen und Nase und rannte davon. Noch eh’ er den Waldsaum erreichte, kamen ihm Waldram und Wampo mit den Knechten und Saumtieren schon entgegen. Nun standen sie alle vor dem Stein, dann wanderten sie auf der Lichtung umher; bei der Quelle kosteten sie das Wasser, es schmeckte frisch und erquickend; nur Eberwein wies den Trunk zurück und sagte: „Nach der Messe.“

Mit vergnüglich zwinkernden Augen stand Bruder Wampo vor dem kleinen, von bunten Blumen umblühten Teich. „Lieb schaut sich das Wasserl an,“ meinte er, „es fehlen nur die Ferchen drin, die Karpfen und Hecht’.“

„Geh, Du!“ brummte Schweiker. „Mußt denn allweil an die Schüssel denken – es giebt doch andere Ding’ auch noch auf der Welt!“

Man nahm den Saumtieren die Ladung ab, und während Eberwein, Waldram und Wampo mit dem Oeffnen der Ballen beschäftigt waren, säuberte Schweiker den Stein und räumte die Asche fort; zwei Knechte halfen ihm; neben dem Stein errichtete er aus Stangen ein Gerüst für die kleine Glocke, welche eines der Saumtiere als halbe Ladung getragen hatte.

Stunde um Stunde verging in reger Arbeit. Die Sonne stand schon nahe der Mittagshöhe, als Eberwein, bekleidet mit Chorhemd und Stola, den Heidenstein zum Altar Gottes weihte. Dann las er die „stille Messe“, bei welcher Schweiker ministrierte. Waldram saß auf einer Wurzel der halbverkohlten Eiche, Bruder Wampo und die Knechte knieten an seiner Seite. Lautlose Stille lag über der sonnigen Lichtung, nur manchmal zwitscherte ein Vogel am Waldsaum, und gedämpft klang aus dem Thal herauf das Rauschen der Ache. Als Eberwein zur Wandlung den Kelch erhob, zog Schweiker die Glocke. Zitternd schwebten ihre hellen Klänge durch die stille Luft und fanden ein Echo im Wald. Kleine Vögel kamen herbeigeflogen, als hätte der Klang sie neugierig gemacht, und mit erregtem Gezwitscher umflatterten sie den verkohlten Baum. Am Waldsaum erschien ein Reiter; einen kurzen Blick nur warf er über die Lichtung, dann riß er das Pferd herum und verschwand wieder.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_088.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2019)