Seite:Die Gartenlaube (1894) 092.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)


nach 1871, „da es keine Kunst mehr gewesen“, wird widerlegt durch die schon 1849 bis 1866 entstandenen, in die erste Sammlung von 1856 (und in die zweite) aufgenommenen Vaterlandsgedichte. Meine deutsche, liberale, den Partikularismus wie die Ultramontanen bekämpfende Gesinnung war mir in Bayern von 1852 an gar vielfach ein Hemmnis; hielt man doch an entscheidender Stelle die „Könige der Germanen“ für eine die Vorherrschaft Preußens empfehlende Arbeit (sie schließt mit dem Jahre 814!). Ebenso falsch ist der Vorwurf, mein Drama „König Roderich“ sei ein erst während des „Kulturkampfes“ (1874) zu dessen Verherrlichung geschmiedetes Tendenzdrama. Ein Mann, der 1874 schon etwa 15 Jahre vom Studium des Mittelalters hinter sich hatte, brauchte wahrlich nicht erst den Kulturkampf, um auf den echt tragischen Stoff des Kampfes zwischen Staat und Religion aufmerksam zu werden, den ja schon ziemlich früher der selige Sophokles in seiner „Antigone“ behandelt hat. Könng Roderich ist entstanden, als ich 1869 bis 1871 den Untergang des Westgotenstaates studierte, also lange vor jenem Kampf; daß die Aufführung seit 1874 vermöge jener Aufregungen stärkeren Erfolg hatte, ist selbstverständlich. Meine übrigen Dramen, „Markgraf Rüdiger“ (1875), „Deutsche Treue“ (1875), „Staatskunst der Frauen“ (1877), „Sühne“ (1879), der „Kurier nach Paris“ (1883), „Skaldenkunst“ (1882), hatten nicht den gleichen Erfolg wie „König Roderich“, der in Berlin, Hamburg, Königsberg und anderwärts zusammen etwa hundertzwanzigmal gegeben ward. Zwar gefielen sie, wo und wann sie aufgeführt wurden, aber sie wurden eben nicht oft aufgeführt! Neben recht vielen äußeren Gründen dieses Nichterfolges wiegt am schwersten der innere, daß meine Stoffe, die Zeit, in der sie spielen, die heutigen Theaterbesucher eher abstoßen als anziehen, und was jene anzieht, dessen ekelt es mich.

Ganz unmöglich ist es, hier auch nur die Namen alle aufzuzählen der Männer, die als Gelehrte und Dichter (und Freunde wie Scheffel und Steub) auf mich eingewirkt haben: von Rückert, den Berliner Tunnelgenossen, den Münchener „Krokodilen“ (Geibel vor allen, dann Wilhelm Hertz) bis zu den Würzburgern, Königsbergern und Breslauern (d. h. den in diesen Städten Lebenden, die aber oft ganz wo anders her waren und sind). Hierfür muß ich auf die „Erinnerungen“ verweisen.

Felix und Therese Dahn.
Nach einer Aufnahme von N. Raschkow jun., Hofphotograph in Breslau.

Ziehe ich nun die Rechnung meines Lebens, so sahen wir, daß ich in München um Haaresbreite gezwungen ward, die akademische Laufbahn und alle Geistesfreiheit aufzugeben. Die Hauptursachen einer späten und langsamen „Karriere“ sind der Mangel an jeder ... nun, sagen wir Betriebsklugheit in mir und dann das „verfluchte Dichten“, das ja den echten und gerechten Profeffor Kaste verlieren läßt unter seinen Amtsgenossen.

Habe ich also in der praktischen Lebensgestaltung nie Glück gehabt – was ich errang, hab’ ich schwer arbeitend errungen – so ward mir doch das unaussprechliche Glück, den Traum meiner Knaben- und Jünglingszeit, die Herstellung des Deutschen Reiches, sogar die Wiedergewinnung der Reichslande zu erleben, ja die großartige dramatische Entscheidung des Kampfes mit Frankreich bei Sedan mit Augen zu sehen. Das allein würde alle nicht geringen Schmerzen meines Lebens voll aufwiegen! Und ich habe das ebenfalls unaussprechliche Glück gehabt, meine Therese gefunden und schließlich erkämpft zu haben; ich glaube nicht, daß es eine glücklichere Ehe geben kann, als die unsere seit nun zwanzig Jahren ist.

Als Dichter ward ich bis auf „König Roderich“ und den „Kamps um Rom“ überhaupt nicht beachtet, später hat man mich dann wohl auch überschätzt (zumal wegen des „Kampfs um Rom“, dem ich aber „Odhins Trost“ „Rolandin“ und „Sind Götter?“ vorziehe). Denn ich bin nur ein Dichter dritten Ranges, wenn Goethe und Schiller ersten, Uhland, Rückert, Platen, Scheffel zweiten Ranges sind. Ich glaube, diese meine aufrichtige Selbsteinschätzung ist nicht eitel und unbescheiden.

Aber eins wird bleiben und nachwirken im deutschen Volke, wann meine Dichtungen vielleicht vergessen sind: das ist der Same von Idealität und Begeisterung, der Same von Enthusiasmus für Wahrheit, für Aufopferung, eben für „Heldentnm“ im Dienst des Vaterlandes und der Idee, den ich seit nun zweiundsiebzig Semestern in junge Seelen gestreut habe. Ich habe Glück als Lehrer mit den jungen Leuten, weil sie spüren, daß ich ein Herz – ach immer noch ein junges! – für sie habe und daß ich’s gut mit ihnen, ernst mit der Wahrheit meine. Es ist eine stattliche Schar von „Gefolgen“, von denen ich sagen darf, daß ich entscheidend auf ihre Entwicklung eingewirkt habe. Und diese meine ideale Einwirkung auf deutsche Jünglinge und Männer wird fortdauern, wann vielleicht meine anderen Leistungen tot liegen. So werde ich – unbemerkt und ganz bescheiden – fortleben in meinem Volke.




Auf vulkanischem Boden.

Zeitbilder aus Sicilien von Woldemar Kaden.
II.

Die allgemeine Schilderung der Zustände auf Sicilien, welche wir in unserem ersten Artikel gegeben haben, sei im folgenden durch ein paar aus dem Leben gegriffene Beispiele ergänzt, deren Sprache deutlich genug ist. In Siculiano, einem Bezirksvorort in Kreis und Provinz Girgenti mit etwa 6500 Einwohnern, ist Herr und König, d. h. Besitzer des Gesamtbodens, der Baron Aniello, mehrfacher Millionär, der aus seinem Schlosse hervorgeht genau wie die mittelalterlichen, noch von Manzoni in seinem Roman „Die Verlobten“ geschilderten gewaltthätigen Barone: begleitet von zwölf schwerbewaffneten uniformierten „Bravi“, könnte man sagen, denn Maffiosi sind sie ohne Ausnahme, aber trotzdem gemeine Vasallen, da sie (wie alle sicilianischen abhängigen Bauern!) gezwungen werden, ihren Bart zu scheren, den erst der freie Brigant wieder wachsen läßt. Das Schloß ist durch eiserne Thore, Fallgitter und Zugbrücken von der Außenwelt abgesperrt, nur eine Person auf einmal hat Zulaß. In ähnlicher Weise halten sich viele Grundbesitzer eine Art von Leibwache. Sicher ist so ein Herr aber doch nie und seine eigenen Kreaturen scheuen den Verrat nicht, wenn es gilt, ihm gehörig zur Ader zu lassen, zu welchem Zwecke dann die Maffia ihre besten Truppen, den Brigantaggio, ins Gefecht führt. Der Feldzugsplan wird stets im Hauptlager entworfen und von diesem geht der Befehl zum Angriff aus.

Hier vorerst ein leichter Fall aus jüngster Zeit.

Der Baron Antonio Spitalieri, ein allbekannter catanesischer Großgrundbesitzer, begab sich am 21. August 1893 in Begleitung seines Sohnes von Catania aus auf eines seiner Grundstücke in der Nähe von Paternò, 21 km von Catania, am Aetna. Der Abend kam, und um der hier herrschenden Malaria auszuweichen,

suchte der Baron Nachtquartier im Landhause seiner ihm befreundeten

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_092.jpg&oldid=- (Version vom 22.6.2023)