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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894)

Noch immer schwiegen die anderen. Ruedlieb, der die Kraxe wieder niedergestellt hatte, trat zu den Leuten, sein Gesicht brannte und seine Stimme bebte. „Die Klosterleut’ sind gegen die Wazemannsbuben, hat der Eigel gesagt ... ich mein’, wir müßten den Wald ausschlagen, daß sie freien Weg haben überall im Thal!“

Da nickten sie alle, und der Köppelecker rief: „Keiner von uns Mannerleut’ hat die richtige Red’ gefunden – ein Bub’ hat sie finden müssen!“

Ruedlieb wollte sprechen; aber der Vater schob ihn zurück. „Sei still, Liebli, Du hast noch allweil nicht die Jahr’ zum Mitreden.“

„Aber die Fäust’ hätt’ ich zum Dreinschlagen, und dazu wär’s schon lang an der Zeit gewesen!“ Ruedlieb wandte sich ab und ließ sich neben der Kraxe auf die Hausbank nieder. Die Leute erschraken über diese Rede und der Kinill blickte mit scheuen Augen im Hof umher und gegen das Hagthor, ob nicht ein unberufenes Ohr in der Nähe wäre. Der Waldhauser aber trat vor den Schönauer hin und sagte: „Du bist der Richtmann im Gadem – sag’ Du uns, was wir thun sollen.“

„Was wir all’ thun sollen, das wird ausgeredet in der Thingnacht. Ich für mein’ Teil schick’ den Buben hin mit Brot und Käs’, mit Honig und Met und laß ihnen guten Einstand wünschen im Gadem.“

„Natürlich! Nur gleich zinsen am ersten Tag!“ schrie der ältere Hanetzer mit rotem Gesicht. „Daß sie nur ja gleich drauf kommen, wie’s schmeckt!“ Die einen nickten zu dieser Rede, die anderen schüttelten die Köpfe.

„Ich mein’, wir können mehr von ihnen haben als sie von uns!“ sagte der Schönauer. „Und wer Milch ziehen will von der Kuh, der muß ihr zuerst das Futter legen.“

„Wohl wohl! Aber eine Kuh ist etwas anders! Bei der weiß ich, wie ich dran bin. Aber wer die Herrenleut’ melken möcht’, ich mein’, der braucht keinen großen Milchamper.“ Der Hanetzer schob die Hände unter die Kotze und ging davon; sein Bruder wurde verlegen, aber er folgte dem Aelteren. Die einen lachten und die anderen schalten. das wär’ doch keine Sache, die man abthäte mit einem spöttischen Wort.

„Laß’ Deinen Buben ein’ Weil’ noch warten, Schönauer,“ sagte der Köppelecker, „ich spring’ heim und leg’ dazu, was ich g’raten[1] kann!“ Er eilte davon.

„Ich gäb’ auch gern, wann ich nur ’was hätt’!“ sagte der Urstaller. „Aher eh’ mein Bub nicht abtragt von der Alben, hab’ ich selber schier kein Brösel mehr im Haus.“

„Brauchst was?“ fragte der Schönauer. „Ich hilf’ Dir schon aus.“

Der Urstaller schüttelte den Kopf. „Morgen muß der Bub’ kommen.“ Dann ging er; und mit ihm ging der Grünsteiner, der kein Wort zu reden wußte.

„Ich hab’ ein’ Stück Fleisch daheim,“ sagte der Kirngasser, „und auf ein paar süße Käs’ kommt’s mir auch nimmer an.“

„Wohl wohl, ich geh’ auch heim und red’ mit meinem Weib,“ stotterte der Bärenlochner, „ich mein’, sie wird schon ein lützel ’was hergeben.“

„Die Deinig’ schon,“ brummte der Kaganhart und verdrehte die Augen, „aber die meinig’ wird ein schieches Gesicht dazu machen.“

„Sag’ ihr halt, sie soll ihre Zähn’ scheren!“ lachte einer der Winkler Buben. „Da fallen so viel’ Haar’ ab, daß die Klosterleut’ ein Häs davon kriegen.“ Er wandte sich zum Schönauer. „Ich bring’ von meiner Mutter ein Stückel Hanftuch.“

Nun gingen sie alle; der Schwaiger wollte ein Mäßlein Honig bringen, der Waldhauser Eier und Schmalz.

„Da krieg’ ich die Krax’ voll, daß ich gut zu tragen hab’,“ meinte Ruedlieb. „Aber es dürft’ so schwer wiegen wie ein Kalb ... ich schlepp’ alles hin! Die Klosterleut’ sollen Augen machen!“ Er begann an der Kraxe den Strick zu lösen, um noch aufpacken zu können, was die andern bringen würden.

„Und Du, Gobl?“ wandte sich der Schönauer an den Greis, der, das Kinn auf den Stab gestützt, mit halbgeschlossenen Augen den Gehenden nachblickte. „Warum hast denn Du nicht gered’t?“

Der Alte hob langsam das Gesicht. „Weil ich kein Wörtl gewußt hab’, das der Müh’ wert gewesen wär’.“

„Und willst nicht auch ’was dazu geben?“

Ein müdes Lächeln glitt über die dürren Lippen des Greises. „Geben? Warum denn noch geben?“ Er schüttelte den Kopf. „Wer ’was will, der kommt schon und nimmt. Ich hab’ mein Weib nicht geben brauchen ... der Krank[2] hat sie genommen. Ich hab’ meine Buben nicht geben brauchen ... den ein’ hat Herr Waze erschlagen, den andern hat die Lahn verschütt’t, den letzten haben die Wölf’ gerissen. Ich hab’ meine Heilka nicht geben brauchen, meine liebe Dirn’ ... die Windach hat sie verschluckt. Warum denn noch geben? Und was denn? Gestern ist meine letzte Geiß verreckt. Mein Hüttl mag keiner ... da wandern schon die Mäus’ und Ratzen aus. Ich halt, ich bin noch übrig. Und der mich nimmt, der kommt schon, wohl wohl, wenn ich auch lang’ auf ihn warten muß. Der thut einen Segesschlag[3] ... und ich lach’ dazu und sag’: jetzt hat’s ein End’!“ Er nickte und schritt dem Hagthor zu.

Der Schönauer ging ihm nach und hielt ihn am Arm zurück. „Gobl! Gobl! Wie Du, so sollt’ doch ein Mensch nicht reden!“

„Warum nicht?“ Der Alte hob die roten Lider und starren Blickes sah er mit seinen müden Augen dem andern ins Gesicht.

„Schau, Gobl, Dir selber blüht wohl nimmer auf, was von Dir hat abfallen und faulen müssen. Aber denk’ an die anderen, Gobl – verschlag’ ihnen den Mut nicht mit Deinen Reden! Schau ... ich hab’s vor den Leuten nicht sagen mögen, denn sie reden gleich alles aus und schreien um ... aber zu Dir sag’ ich’s. ich halt’ viel vom gestrigen Tag, der uns die Klosterleut’ gebracht hat. Sie kommen als Herren ins Thal, und das wird denen in Wazemanns Haus droben in die Nas’ steigen. Gieb acht, zwischen den beiden hebt ein Raufen und Raiten an. Frißt Herr Waze die Klosterleut’ auf, so kann’s nicht schlechter kommen, als wie’s allweil schon war. Ducken die Klosterleut’ den Waze, so kann’s nur besser kommen, und die gute Zeit steht ein.“

„Gute Zeit? Da müßt’ sich erst ’was rühren im Berg!“ Der alte Gobl schüttelte den Kopf. „Wir, Schönauer, wir erleben’s nimmer. Die Zeit steht in der Halbscheid’ ... das Alt’ ist halb und das Neu’ ist halb. Mein Stall ist abgebronnen, da hat kein Heilbuschen geholfen ... und vom Ramsauer Kirchl hat der Blitz das Kreuz geworfen. Die Heilbuschen sind dürr, und das Kirchenkraut hat steinigen Boden. Herr Wute schlaft im Berg und der ander’ im Gewölk ... bis einer anfwacht, müssen die Berg’ sich rühren.“

„Das ist müdes Gered’, Gobl!“ sagte der Schönauer.

Der Alte nickte. „Hast recht! Drum laß’ mich heimgehen. Wie einer auch red’t, so oder so ... es hat kein Wörtl einen Sinn. Die nimmer reden können, die wissen das Best’. Das ist mir eingefallen unter dem Apfelbaum.“ Mit tastendem Stabe schritt der Greis dem Hagthor zu.

Da erschien ein junger Bauer im Thor, erregt, das Gesicht vom raschen Lauf gerötet. Es war der Schapbacher, dessen Hube zwischen der Schönau und Ramsau tief im Walde lag, Der alte Gobl blickte auf die Seite, als der Bauer an ihm vorüberlief.

„Schapbacher! Was bringst?“ fragte der Richter.

„Ich such’ einen guten Rat. Meine Albendirn’ ist heimgekommen von der Oedhütt’, ganz verweint ... der Geißbub’ geht ab seit gestern Mittag.“

„Der Huze?“

Unter dem Thor blieb der alte Gobl stehen; er wandte nicht das Gesicht, doch er lauschte.

„Ein paar Geißen müssen sich verstiegen haben,“ sagte der Schapbacher. „Die ist er suchen gegangen und ist nimmer heimgekommen. Aber die Dirn’ hat nicht den Mut gehabt, daß sie ihm nachsteigt.“

„Warum nicht?“

„Der Bub’ ist eingestiegen unter die Eismann-Wand.“

„In Wazemanns Bannberg!“ fiel der Schönauer erschrocken ein. Der alte Gobl wollte den Hof verlassen, aber der Schönauer ging ihm nach und faßte den Greis am Arm. „Hörst nicht, Gobl, hörst denn nicht? Es geht um der Heilka ihren Buben her!“

In dem starren Gesicht des Alten rührte sich kein Zug; aber seine Stimme klang heiser. „Was geht mich der Bub’ an! Weswegen red’st denn mit mir von ihm ... geh’ hinauf in Wazemanns Haus! Red’ mit dem Henning!“ Er riß sich los und verließ den Hag.

„Gobl! Gobl!“ mahnte der Schönauer. Doch der Alte

hörte nicht mehr; und der junge Schapbacher sagte. „Laß ihn,

  1. entbehren.
  2. Der Dämon Krankheit.
  3. Sensenschlag.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1894). Leipzig: Ernst Keil, 1894, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1894)_103.jpg&oldid=- (Version vom 25.12.2019)